Mit der Übernahme der Andreae-Noris Zahn AG (Anzag) hat der britische Pharmahandelskonzern Alliance Boots den langersehnten Markteintritt in Deutschland geschafft. Firmenchef Stefano Pessina ließ die Branche prompt wissen, dass er zum „bevorzugten Partner der Apotheken“ werden will. Mit APOTHEKE ADHOC sprach Pessina über die Bedeutung von Deutschland für Alliance Boots, die Zukunft des Pharmagroßhandels und seine Sicht zum Thema Apothekenketten.
ADHOC: Wie wichtig ist für Sie der deutsche Markt?
PESSINA: Deutschland ist der wichtigste Markt in Europa, Deutschland ist das Herz Europas. Ich habe mein halbes Leben lang Kontakte mit deutschen Marktpartnern gepflegt. Schon als wir in den 1980er und 1990er Jahren expandierten, haben wir immer wieder versucht, Geschäftsbeziehungen mit deutschen Firmen aufzubauen.
ADHOC: Bei der Anzag waren Sie fast zehn Jahre lang in Warteposition.
PESSINA: Unsere ersten Anzag-Aktien, immerhin 10 Prozent, brachte UniChem bei der Fusion Ende der 90er Jahre mit. Wir haben oft mit der Sanacorp diskutiert. Die Situation bei der Anzag war einfach ungesund: Man kann doch nicht von seinen Wettbewerbern kontrolliert werden. Diese Konstellation musste früher oder später explodieren.
ADHOC: Wieso hat es so lange gedauert?
PESSINA: Wir haben uns nach der Fusion mit Boots auf den Einzelhandel fokussiert. Wir haben eine Milliarde Pfund in die Verbesserung der Filialen und in die Marke investiert. Wir haben das Geschäft profitabel gemacht und können uns jetzt wieder stärker dem Großhandel zuwenden.
ADHOC: Ihre Großhandelssparte heißt international „Alliance Healthcare“. Unter welcher Marke wird die Anzag künftig geführt?
PESSINA: Erst einmal bleibt der Name bestehen. Ob das langfristig so bleibt, ist noch nicht heraus. Das spielt aber letztlich auch keine Rolle. Wichtig ist, dass wir ein effizientes Unternehmen haben, das gute Dienstleistungen erbringt.
ADHOC: Sie haben gestern angekündigt, dass die Anzag ein „noch größeres Leistungsspektrum“ bieten soll. War das eine Kampfansage an den Markt?
PESSINA: Mir ging es eher darum zu sagen, dass man bestimmte Dinge, die wir in anderen Märkten machen, in Deutschland adaptieren kann. Darüber hinaus gilt: Wir haben gestern erst einmal die Übernahmevereinbarung bekannt gemacht. Wir haben ja noch nicht einmal grünes Licht von den Behörden, und wir müssen auch die Anzag erst einmal kennen lernen und verstehen. In einigen Wochen können wir sicher Konkreteres sagen.
ADHOC: Inwiefern kann oder muss die Anzag denn besser werden?
PESSINA: Ich kann Ihnen sagen, dass unsere Kunden international mit unserem Service zufrieden sind. Gute Ideen werden wir nach Deutschland bringen und dadurch die Qualität verbessern. Es gibt viele Synergien, die man nutzen kann, zum Beispiel in der Zusammenarbeit mit den Herstellern. Wenn ich über Synergien spreche, meine ich vor allem die Einnahmeseite, nicht die Kostenseite.
ADHOC: Wird es Einschnitte bei der Anzag geben?
PESSINA: Das kann man noch nicht sagen, aber wir sind nicht angetreten, um ein Kostensenkungsprogramm zu starten. Grundsätzlich haben wir den Eindruck, die Anzag ist ein effizientes Unternehmen. Ich sehe derzeit keine Notwendigkeit, dem Management dramatische Veränderungen vorzuschlagen.
ADHOC: Wird es personelle Veränderungen geben?
PESSINA: Von unserer Seite besteht dazu kein Anlass. Die Anzag hat ein sehr kompetentes Management, das wir in unsere internationalen Gremien integrieren wollen. Das entspricht übrigens unserer Strategie: Das Großhandelsgeschäft unterscheidet sich in den einzelnen Ländern zwar nicht grundlegend, aber die Märkte sind eben nicht identisch. So bleiben wir flexibel.
ADHOC: Der britische Markt hat sich sehr verändert. Ist das ein Modell für Deutschland?
PESSINA: Wir sehen uns in Großbritannien immer noch als Vertriebsunternehmen. Aber die Bedürfnisse einiger Hersteller haben sich geändert, und wir haben Antworten geliefert. Das zahlt sich aus: Wir sind mittlerweile mit weitem Abstand Marktführer. Ob sich das Konzept auf Deutschland übertragen lässt, hängt einerseits von den Wünschen der Hersteller ab, andererseits vom gesetzlichen Rahmen. Insgesamt sehe ich den deutschen Markt als deutlich stabiler, deutlich kontrollierter und koordinierter als den britischen.
ADHOC: Rechnen Sie damit, dass die Anzag nach der Übernahme Kunden verliert?
PESSINA: Ich wüsste nicht warum. Wir beliefern täglich mehr als 140.000 Apotheken, dispensierende Ärzte und Kliniken in Europa. Was für Apotheken überall in Europa zählt, sind Preis und die Qualität der Dienstleistung und der Geschäftsbeziehung.
ADHOC: Vielleicht stören sich deutsche Apotheken an Ihrem Geschäftsmodell?
PESSINA: Wir sehen keine Veranlassung, Apotheken zu eröffnen, auch wenn uns dies von dem Einen oder Anderen unterstellt wird. Sicher, wir sind der größte Einzelhändler für Arzneimittel in Europa. Aber wir betreiben Apothekenketten nur in wenigen Ländern - in weniger Ländern als unsere Wettbewerber. Der britische Markt beispielsweise funktioniert komplett anders, weil Ketten hier immer erlaubt waren. Das System basiert auf Apothekenketten. Wir sind zufrieden, dass wir in solchen Ländern mitspielen, aber wir wollen das Modell nicht übertragen. Egal was Ihnen die Leute sagen: Ich bin kein großer Fan von Apothekenketten.
ADHOC: Und wenn Ketten in Deutschland erlaubt würden?
PESSINA: Dann hätten wir ein großes Problem. Um wirkliche Marktmacht aufzubauen, müssten wir Hunderte oder Tausende Apotheken kaufen. Das würde Jahre dauern und wäre ein gewaltiges Investment, das sich vermutlich niemals auszahlen würde.
ADHOC: Warum internationalisieren Sie die Apothekenmarke Boots?
PESSINA: Boots ist mehr als eine Apothekenkette, Boots ist auch eine Marke mit eigenen Produkten. Das müssen wir nutzen. Aus diesem Grund haben wir die Produkte auch in Ländern eingeführt, in denen es keine Boots-Geschäfte gibt.
ADHOC: Wird es Boots-Produkte also bald auch in Deutschland geben?
PESSINA: Wir werden sehen. Die Herausforderung ist, dass wir mit Boots-Produkten nicht nur in wenigen Apotheken vertreten sein wollen, sondern in so vielen wie möglich.
ADHOC: Ihre Wettbewerber entwickeln alternative Geschäftsmodelle, etwa im Bereich Homecare. Ist das für Sie ein Thema?
PESSINA: Nein, solche Modelle planen wir nicht. Wir haben einen Webshop in Großbritannien, aber dort werden vor allem Boots-Produkte verkauft, keine Arzneimittel. Medikamente eignen sich aus meiner Sicht nicht für so etwas, wir haben also keine Pläne für Deutschland.
ADHOC: Sie sind neuer Marktführer in Europa. Ist das ein Meilenstein?
PESSINA: Nein, denn inklusive unserer Beteiligungen waren wir bereits vorher die Nummer 1. Größe ist - neben Profitabilität - in ökonomischer Hinsicht sehr wichtig, vor allem wenn es um die Beziehung zu Lieferanten und den Einkauf geht. Aber als Großhändler sind wir seit Jahren führend, insofern ändert sich jetzt an unserem Einfluss und an unserer Einkaufskraft wenig. Wir sind übrigens immer noch deutlich kleiner als unsere Kollegen in den USA.
ADHOC: Warum war dann die Anzag-Übernahme so wichtig?
PESSINA: Die Anzag gibt uns eine Bedeutung in Europa. Wir sind in den fünf größten Märkten - Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien - unter den Top 3 vertreten. Auch in der Türkei und in Russland sind wir groß. Außer in Polen sind wir in allen wichtigen Märkten vertreten.
ADHOC: Ist die Zukunft des Arzneimittelvertriebs paneuropäisch oder global?
PESSINA: Definitiv global. Verstehen Sie mich nicht falsch, wir respektieren alle Länder, aber wenn ich die Wahl hätte, in einem kleineren europäischen Land oder in China zu sein, dann Letzteres. Es ist eine globale Entwicklung: Sie müssen in den großen Märkten präsent sein, um große Volumina handeln zu können.
ADHOC: Wo sehen Sie die Herausforderungen?
PESSINA: Wir müssen die Meinung der Patienten stärker berücksichtigen. Das heißt nicht zwangsläufig, dass wir mit ihnen direkt interagieren müssen. Aber wir müssen den Apothekern alle Werkzeuge an die Hand geben, damit diese es tun können.
ADHOC: Was sind die Pläne für die Eigentümer von Alliance Boots?
PESSINA: Ich kann mir gut vorstellen, dass KKR früher oder später zumindest den Anteil reduziert und wir Alliance Boots dann an die Börse bringen. Aber zunächst müssen wir uns konsolidieren. Wir wachsen gut, mit zweistelligen Raten. Wir haben sicher noch fünf Jahre Zeit. Das heißt nicht, dass wir die ausnutzen werden. Aber wir sind nicht unter Druck.
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