Nein, dass im Gepäckraum ganze Paletten mit Potenzmitteln mitflogen, wussten die Urlauber in der ersten Maschine von Malta nach Frankfurt nicht. Ganz legal übrigens. Denn um Mitternacht lief der Patentschutz für das Potenzmittel Cialis (Tadalafil) ab. Um möglichst früh Ware an Großhandel und Apotheken liefern zu können, hatten sich die Generikahersteller die ersten Flüge des Tages gebucht.
Am Vormittag landeten die Flugzeuge aus Malta und Griechenland, wo die Generikaanbieter ihre Tadalafil-Tabletten schon deponiert hatten. „Ein paar Paletten“ habe man auf der Mittelmeerinsel stehen gehabt, sagt Tom Waldmüller, Marktingleiter bei Hennig. Vor Kurzem war der Einkaufsleiter des Mittelständlers sogar vor Ort, um die Qualität zu kontrollieren und einen Teil der Ware für den Einflug und die schnelle Einführung zu selektieren. Der Rest der Ware soll dann eine Woche später eingeflogen werden.
So und so ähnlich läuft es bei den meisten Anbietern: „Die Ware wurde in den frühen Morgenstunden aus dem patentfreien Raum eingeflogen und wird über unser externes Logostikzentrum verteilt“, sagt Sabine Müller, zuständige Produktmanagerin bei Puren. Auch bei Stada ist geplant, dass die ersten Packungen das Logistikzentrum noch heute verlassen und morgen beim Großhandel eintreffen.
Der Vertrieb hat lange Tage vor sich. Denn angesichts des bevorstehenden Konkurrenzkampfes will jedes Unternehmen so schnell wie möglich in Praxen und Apotheken präsent sein. Nicht nur der Außendienst schiebt bei allen Firmen Sonderschichten: „Es gibt weit mehr Aktivitäten“, so eine Stada-Sprecherin. „Die Fachzielgruppen Apotheker und Ärzte werden zusätzlich durch Maßnahmen wie Call-Center-Aktivitäten, Print und Online-Plattformen informiert.“ Puren hat außerdem Wannenbeileger für Überweiseraufträge bei bestimmten Großhändler vorbereitet.
Da die Produkte – wie alle Generika – austauschbar sind, geht es zumindest in der Kommunikation darum, der eigenen Marke einen seriösen, aber dennoch möglichst pfiffigen Anstrich zu verpassen. Bei allen Herstellern haben die Marketingabteilungen daher vorab Marktforschung durchgeführt und Apotheker, PTA und Endverbraucher befragt.
Eine Neuauflage des Maskottchen-Duells zeichnet sich bereits ab. Aliud hat seinem Hengst Flügel wachsen lassen und spendiert den Apotheken nicht nur Poster, Broschüren und einen Beratungsleitfaden. Unter dem Motto „Energie für spontane Höhenflüge“ werden zusätzlich kostenlose Energiesticks verteilt. Ein kurzer Film soll im Kino gezeigt und für Kampagnen auf Facebook und Youtube genutzt werden. Auf der Website können sich Verbraucher ab Januar von einem Sexualtherapeuten beraten lassen. Bei der Schwesterfirma Stadapharm gibt es stattdessen eine DVD „Männersprechstunde“ rund ums Thema erektile Dysfunktion.
Hexal arbeitet in der Fachkommunikation ebenfalls weiter mit dem Claim „Für uns Männer“ und mit einem Key Visual – anstelle des Gockels hat man sich für das Mufflon entschieden. Die Wahl war kein Zufall, handelt es sich beim Wildschaf doch um ein Jahrtausende altes Symbol für Männlichkeit und Fruchtbarkeit: Der Widder kann nicht nur bis zu 50 Begattungen am Tag vornehmen, er gilt auch als wehrhaft und kämpferisch – dringt ein fremder Bock in die Herde ein, kann das schon mal tödlich enden.
Der Hahn werde noch heute von Ärzten und Apothekern positiv erinnert, sagt eine Konzernsprecherin. Jetzt will der Hersteller mit dem Widder auffallen. Und für alle, die trotz Pharmaziestudium oder PTA-Ausbildung im Tierreich nicht so bewandert sind, wurde dem Prachtexemplar sicherheitshalber noch violette Reizwäsche an ein Horn gehängt. „Wir haben gelernt, dass man in diesem Markt auffallen und das Thema trotzdem ernst nehmen muss.“
Auffallen wollen auch andere Hersteller: „Der einfache Weg nach oben“, schreibt Puren auf Flyern und Postern. Abgebildet ist ein dicker Elefant von hinten. Der sitzt entspannt auf einem Ast und – naja, den Rest kann man sich denken. Hennig kommt – wie schon bei Sildenafil – in der Fachkommunikation mit dem Löwen daher. Allerdings wurde das Motiv ausgetauscht: Der Löwe aus dem Jahr 2013, den einer der beiden Firmenchefs selbst auf einer Safari abgelichtet hatte, wurde durch ein „professionelles Model“ ersetzt.
Ratiopharm verschickt Postkarten an die Apotheken mit einem „kostenfreien Muster- und Serviceangebot“. Darauf ist eine Parkuhr abgebildet; die Zeit ist auf 36 Stunden eingestellt – die Wirkdauer von Tadalafil und „genug Zeit für Heldentaten“. Auch Blisterhüllen, Postkarten („Helden brauchen auch mal Hilfe.“, „Bis zu 36 Stunden Zeit für Heldentaten.“, „In 36 Stunden kann viel passieren“) und der Ratgeber „Liebesrezepte“ können bestellt werden.
Die Schwesterfirma AbZ nutzt denselben Claim, ist aber in der Kommunikation auf die PTA ausgerichtet. Das Mailing kommt in Pink, mit Zauberhut und Zauberstab – wegen des zauberhaften Preisvorteils. Um das PTA-Wissen bezüglich des Wirkstoffes aufzufrischen, wartet man in Ulm mit einem humorvollen Erklärfilm „Wie wirken eigentlich PDE-5-Hemmer“ auf. Zusammen mit dem PTA-Rat wurden Kitteltaschenberater entwickelt.
„Auf geht‘s“ wirbt schließlich Aristo und zeigt eine Frauenhand, die einen Samtvorhang beiseite schiebt. Ansonsten kommt der Hersteller – wie schon bei Sildenafil – betont nüchtern daher. Auch Stada setzt auf den Vorhang („Stadaaaa!“) und bildet in den Werbematerialien ein älteres Pärchen ab („Unbeschwert leben – unbeschwert lieben!“).
Einige Produktvorteile sollen die Anwendung erleichtern: So gibt es in der Wirkstärke à 20 mg bei vielen Herstellern eine Bruchkerbe. Puren und Stada werben außerdem damit, dass die Tabletten dem Original in Farbe und Form ähnlich sehen. So soll die Compliance des Verwenders gefördert werden. Die niedrige Dosierung von 5 mg zur Konstanztherapie bieten neben Lilly nur Mylan, Ratiopharm, AbZ, Hexal und 1A.
Allerdings trumpfen gleich mehrere Firmen mit XXL-Packungen auf. In der gängigsten Wirkstärke à 20 mg bieten Ratiopharm, Hennig, 1A, AbZ, Aliud und Ratiopharm 48er-Packungen an, Stadapharm geht bis 36 Pillen. Hormosan hat bis zu 24 und Aristo immerhin noch 20 Pillen pro Packung im Angebot. Nur Puren und Mylan bieten – wie Lilly – maximal 12 Pillen pro Packung an.
Bleibt also noch der Preis: Hier brilliert zum Start Hennig. Für die von allen angebotene Packungsversion mit zwölf Pillen à 20 mg ruft der Mittelständler nur 39,98 Euro auf. Das Unternehmen wirbt mit einem Preisvorteil gegenüber von bis zu 90 Prozent pro Tablette.
Platz 2 hält Stadapharm mit 59 Euro – deutlich teurer ist das Produkt der Schwesterfirma Aliud mit 123 Euro. Die Variante von AbZ kostet 82 Euro; wer Ratiopharm will, muss 125 Euro zahlen. Am tiefsten greifen Kunden bei 1A und Hexal in die Tasche: 159 Euro werden bei den beiden Schwesterfirmen fällig. Allerdings ist es gut möglich, dass der Preis demnächst noch angepasst wird. „Wir werden in den kommenden Wochen noch einen Preisrutsch erleben“, erwartet Dr. Stefan Koch, Geschäftsführer von Aristo.
Dass die Generikafirmen dem Patentablauf soviel Aufmerksamkeit schenken, hat auch damit zu tun, dass es sich um ein Selbstzahlerprodukt handelt. 540.000 Packungen im Wert von knapp 30 Millionen Euro zu Herstellerabgabepreisen (ApU) wurden in den vergangenen Monaten abgegeben. Davon entfallen 24 Millionen Euro auf den Originalhersteller Lilly, der Rest auf Reimporte. Auf Basis der Apothekenverkaufspreise (AVP) ist der Markt rund 52 Millionen Euro schwer.
Und es kann vermutet werden, dass der Markt noch wächst. So geht man bei Ratiopharm davon aus, dass viele Patienten, die nach Patentablauf zu Sildenafil gewechselt sind, aufgrund der längeren Wirksamkeit wieder auf Tadalafil umsteigen, sobald es preisgünstiger verfügbar ist.
Von Sildenafil wurden zuletzt 1,9 Millionen Packungen im Wert von 36 Millionen Euro verkauft. Seit Patentablauf im Juli 2013 ist der Preis um 88 Prozent gefallen. Marktführer ist 1A vor Aristo und dem Originalpräparat Viagra (Pfizer). Dahinter folgen AbZ und Hexal, Basics, Neuraxpharm, Hormosan, Ratiopharm und Zentiva.
Cialis wurde 2002 in Europa zugelassen, die US-Gesundheitsbehörde FDA gab das Präparat 2003 zur Behandlung von erektiler Dysfunktion frei. 2014 verbündete sich Lilly mit Sanofi, um einen OTC-Switch durchzusetzen. Bislang ist Tadalafil nirgends rezeptfrei. Sildenafil kann in Neuseeland seit 2014 als OTC-Produkt abgegeben werden, in Polen ist der Wirkstoff seit einem Jahr nicht mehr verschreibungspflichtig. 2008 hatte der Originalhersteller Pfizer den OTC-Switch bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) beantragt, war aber auf Bedenken gestoßen und hatte den Antrag zurückgezogen. Bayer hat beim australischen Gesundheitsministerium einen Antrag eingereicht, um sein Potenzmittel Levitra (Vardenafil) aus der Verschreibungspflicht zu entlassen.
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