Hand in Hand wollen der Hausärzteverband Nordrhein und die Apothekerkooperationen Alphanet und Migasa zusammenarbeiten und mit einem gemeinsamen Medikationsmanagement die Versorgung der Patienten sicherstellen. Dazu wurde eine gemeinsame Gesellschaft gegründet. „Wir hoffen, dass wir nächstes Jahr neue Maßstäbe setzen und mit unserem Projekt Arzneimittelgeschichte schreiben,“ sagt Dr. Oliver Funken, Vorsitzender des Hausärzteverbands Nordrhein im Interview mit APOTHEKE ADHOC. Eine Kooperation mit der Apothekerkammer Nordrhein kam nicht in Frage. Das Athina-Konzept der Kammer hat laut Funken keine Zukunft: Das sei zwar „nicht AMTS-Mittelalter, aber man wird bald sagen, schön dass es Athina gegeben hat.“
ADHOC: Sie haben ein neues Medikationsmanagement-Projekt aus der Taufe gehoben. Warum kooperieren die Hausärzte in Nordrhein mit Alphanet und Migasa und nicht mit Athina der Apothekerkammer Nordrhein?
FUNKEN: Wenn man die Standesorganisationen der Apotheker einbindet, stößt man immer wieder auf Bedenken und Probleme: Man muss Kompromisse eingehen, die oft Prozesse und Entwicklungen verlangsamen. Das kann sinnvoll sein, aber in unserem Fall liegt das ganze Know-How für unser Medikationsmanagement-Projekt vor. Wir wollten schnellstmöglich loslegen. Mit den ausgewählten Partnern konnten wir zeitnah das Konzept planen und mit der dafür notwendigen GmbH starten. Die Rahmenbedingungen für das Medikationsmanagement sind ja allseits bekannt und durchdekliniert. Es geht jetzt nicht mehr um politischen Konsens, sondern darum zu testen, ob sich das Produkt im Markt bewährt. Datenschutz und Datensicherheit, der Work flow in den Praxen und der Mehrwert für jede Praxis, für die Patienten und für die beteiligten Apotheken und die Krankenkassen sind für uns Hausärzte entscheidend. Mit Migasa und Alphanet haben wir einen guten Weg gefunden, wir sind auf der selben Wellenlänge.
ADHOC: Warum macht Alphanet mit, deren Apotheken überwiegend in Norddeutschland beheimatet sind?
FUNKEN: Wir haben uns für Alphanet und Migasa entschieden, weil wir es hier nicht mit komplexen Firmenstrukturen und mit vielen Entscheidungsebenen zu tun haben. Die Achse NRW Hamburg passt auch zu den Strukturen wichtiger Krankenkassen wie zum Beispiel der AOK Rheinland Hamburg. Außerdem sind regionale Abstände im Zeitalter der Digitalisierung und Telemedizin kein Problem mehr.
ADHOC: Haben Sie für ihr Projekt bereits Krankenkassen an Bord geholt?
FUNKEN: Nein, so weit sind wir noch nicht. Wir sind jetzt in der ersten Umsetzungsstufe, der Testphase zwischen Apotheken und Ärzten. Los geht es Anfang 2020. Im nächsten Schritt gehen wir dann auf Krankenkassen zu.
ADHOC: Wie funktioniert ihr Medikationsmanagement in der Praxis? Wer macht was?
FUNKEN: Im ersten Schritt etablieren wir den Datenaustausch zwischen Arztpraxen und Apotheken. Die Übertragung muss sicher sein, beide müssen auf die Daten zugreifen können. Im zweiten Schritt folgt die Verarbeitung der Daten in den Apotheken. Dann binden wir die Warenwirtschaftssysteme ein. Die Kommunikation zwischen Praxen und Apotheken organisieren wir über eine Standardschnittstelle mit sicherem VPS-Tunnel, der verschlüsselt ist. In die TI der Gematik wollen wir später integrieren. Dafür ist es noch zu früh.
ADOC: Welche Daten fließen zwischen Praxen und Apotheken?
FUNKEN: Die Medikationsdaten im Rahmen des Medikationsplans. Dann können beide Seiten die Daten ergänzen. Die Apotheker tragen die OTC-Medikation ein, Fachärzte tragen ihre Verordnungen ein, die wir teilweise ja nicht kennen. Dann checken wir über eine Medikationsdatenbank die AMTS. Neu daran ist, dass wir die AMTS-Prüfung mit Künstlicher Intelligenz verbinden. Es geht darum, komplexe Interaktionsstrukturen zu prüfen und dabei zu lernen. In der Grundkonzeption steuert Migasa die AMTS-Software bei, die Schritt für Schritt weiterentwickelt wird. Unser System geht weit über die sonstigen am Markt befindlichen AMTS-Produkte hinaus.
ADOC: Wie unterscheidet sich das vom Athina-Projekt der Apothekerkammer Nordrhein?
FUNKEN: Bei Athina wird noch weitgehend händisch gearbeitet. Das ist gelebte Wirklichkeit, es gibt ja noch nichts anderes. Daher ist das nicht AMTS-Mittelalter, aber man wird bald sagen, schön dass es Athina gegeben hat. Die Realität verändert sich rasant. Wir hoffen, dass wir nächstes Jahr neue Maßstäbe setzen und mit unserem Projekt Arzneimittelgeschichte schreiben.
AHOC: Wie lange soll die Testphase laufen?
FUNKEN: Das legen wir noch endgültig fest. Wir starten mit fünf bis sechs Ärzten und Apotheken und planen, dass die Testphase im Sommer abgeschlossen werden kann. Dann gehen wir zügig an den Markt. Wir sind dabei offen für weitere Kooperationen und Projekte, das E-Rezept. Wie planen natürlich auch den Weg in die TI der Gematik.
ADOC: Es geht bei AMTS immer auch um das Honorar: Wer soll das bezahlen, wer erhält das Geld?
FUNKEN: Ärzte und Apotheker werden dafür honoriert werden müssen, das ist klar. Beide machen ja die Arbeit. Dafür wird es einen Verteilungsschlüssel geben. Bei gleicher Intensität Arbeit wird man das einigermaßen Pari Pari machen. Wir sehen aber vor allem bei der Einarbeitung der OTC-Medikation einen größeren Mehrwert bei den Apothekern. Darüber müssen wir noch nachdenken. Das ist noch nicht in trockenen Tüchern.
AHOC: Wie viel sollen die Kassen nach Ihrer Vorstellung für Ihr AMTS-Angebot zahlen?
FUNKEN: Wir haben den Kostenblock noch nicht festgelegt. Wir gehen aber für alle Beteiligten pro Monat von einem niedrigen dreistelligen Betrag aus. Auf Seiten der Krankenkassen gibt es ein riesiges Einsparpotenzial wegen vermeidbarer Krankenhauseinweisungen und anderer Folgen von Fehlmedikation. Wenn man alles gegenrechnet, kommt man auf einen hohen dreistelligen Betrag. Wir müssen aber die Kirche im Dorf lassen.
ADHOC: Nach Westfalen-Lippe lassen nun auch die Hausärzte in Nordrhein die apothekerliche Standesvertretung links liegen. Haben Sie Verständnis für deren Verärgerung?
FUNKEN: Wir in Nordrhein kooperieren nicht mit DocMorris. Wir verfolgen einen anderen Ansatz. Wir wollen die Apotheken vor Ort mit unserem AMTS-Projekt stärken. Wir Hausärzte gehen davon aus, dass wir die Versorgung vor Ort stemmen müssen. Dafür brauchen wir die Zusammenarbeit von Apothekern und Hausärzten in einem gemeinsamen Verbund. Das ist für beide Heilberufe von Vorteil.
ADHOC: Nach der Testphase sollen weitere Apotheken hinzukommen. Wie soll das geschehen?
FUNKEN: Das ist dann die Aufgabe unserer gemeinsamen Firma Viandar. Da halten wir Hausärzte uns raus. Wir besitzen an Viandar nur eine Minderheitsbeteiligung, eine Sperrminorität. Uns geht es um die Funktionsfähigkeit des AMTS-Tools. Die Vermarktung wird dann Viandar übernehmen.
ADHOC: Was kostet das ganze Projekt?
FUNKEN: Man muss schon drei bis fünf Millionen Euro in die Hand nehmen. Gemessen am Mehrnutzen ist das allerdings ein vertretbarer finanzieller Einsatz. Wir haben uns natürlich alle anderen Projekte angeschaut. Keines geht so weit und so in die Tiefe wie unser Angebot. Wir sind zuversichtlich, dass sich unsere Investitionen auszahlen.
ADHOC: Was sind die High-Lights ihres Projekts?
FUNKEN: Ärzte und Apotheken vor Ort arbeiten zusammen, stemmen die Versorgung auf hohem Niveau, haben ein gemeinsames Ziel. Unsere Schnittstelle geht direkt in die Praxis- und Apothekensoftware und der Datenschutz ist durch einen VPS-Tunnel gesichert. Unsere Kooperation ist durch die gemeinsame Firma dauerhaft angelegt und ausbaubar. Ganz wichtig ist auch die Einbindung der Universität Münster. Dadurch sichern wir uns eine wissenschaftliche Begleitung. Das gibt es sonst in Deutschland nicht.
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