Haniel rechnet mit Oesterle ab APOTHEKE ADHOC, 20.04.2011 10:27 Uhr
Offiziell haben sich Celesio und der langjährige Konzernchef Dr. Fritz Oesterle in gegenseitigem Einvernehmen getrennt. Das hindert Aufsichtsratschef Professor Dr. Jürgen Kluge nicht, jetzt öffentlich mit Oesterle abzurechnen: „Die Zahlen des vergangenen Jahres waren zufriedenstellend, es bleibt allerdings die große Frage, mit welcher Strategie die starke Abhängigkeit von den staatlich regulierten Arznei- und Gesundheitsmärkten dauerhaft kompensiert werden kann“, sagte Kluge im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).
Nicht nur den Aktienkurs von Celesio sieht Kluge kritisch, sondern auch die Marktposition: „Das Unternehmen war einmal mit Abstand die Nummer eins im Markt. Heute sieht die Welt anders aus, stehen Wettbewerber bei vielen Themen viel besser da.“
Kluge ist als Chef des Hauptaktionärs, des Duisburger Mischkonzerns Haniel (Metro, CWS boco, Takkt, ELG), Vorsitzender des Kontrollgremiums bei Celesio. Kurz vor dem Amtsantritt von Kluge flogen in Stuttgart wegen der Übernahme des brasilianischen Großhändlers Panpharma zwischen Vorstand und Aufsichtsrat die Fetzen; doch auch nach dem personellen Wechsel blieb die Stimmung dem Vernehmen nach angespannt.
Nach der Einschätzung von Kluge ist der Haniel-Clan heute mit Panpharma sehr zufrieden. „Auch den noch weiter zurückliegenden Kauf der Versandapotheke DocMorris halte ich aus langfristiger Sicht für richtig“, so Kluge gegenüber der FAZ. „Anders liegt der Fall zum Beispiel bei der 2009 erworbenen Pharmexx, einem Marketingdienstleister für die Pharmaindustrie.“
Mit größeren Zukäufe ist laut Kluge bei Celesio vorerst nicht zu rechnen: „Erstens hat der Großaktionär Haniel nicht das dazu erforderliche Geld, um laufend große Akquisitionen vornehmen zu können. Zweitens muss man dann ja auch erst einmal etwas Passendes finden. Und zu guter Letzt macht es aus unserer Sicht keinen Sinn, sich aus Problemen herauszukaufen.“ Zunächst müssten die Probleme im Kerngeschäft geklärt und die jeweiligen Bereiche auf Vordermann gebracht werden, erst dann sollte man weitersehen.
Einen Verkauf der Anteile an Celesio kommt für Haniel derzeit offenbar nicht in Frage: „'It takes two to tango'“, so Kluge: „Wenn es einen besseren Eigentümer gäbe, der Preis stimmen würde und wir eine bessere Anlagealternative hätten, ja. Aber das ist rein theoretisch. Jetzt kümmern wir uns erst einmal um die Neuorientierung.“
Helfen soll ein neuer Konzernchef, der laut Kluge mit Hochdruck gesucht wird: „Er oder sie sollte ein guter Stratege sein, der zugleich auch umsetzungsstark ist. Ein guter Teamplayer, der bestens mit den Kapitalmärkten kommunizieren kann. Kurz: Haniel hat großes Interesse an einer langfristig erfolgreichen Neuaufstellung des Unternehmens. Denn, wie gesagt, der Kurs macht uns derzeit keine Freude.“
Die öffentlichen Äußerungen von Kluge kommen nicht nur inhaltlich, sondern auch zeitlich überraschend: Oesterle ist noch bis Ende Juni im Amt; außerdem steht die Hauptversammlung vor der Tür, auf der Kluge und Oesterle eigentlich gemeinsam auftreten müssen. Kein Grund also, Celesio öffentlich madig zu machen - es sei denn, ein potenzieller Käufer wäre gerade an einem niedrigen Aktienkurs interessiert. Vielleicht revanchiert sich der Chefaufseher aber auch einfach nur für den Auftritt des Konzernchefs bei der Bilanzpressekonferenz: Inhaltlich korrekt, im Ton zunehmend genervt hatte Oesterle bei Fragen zur Zukunft von Celesio immer wieder auf Kluge verwiesen und schlussendlich dessen Telefonnummer in den Raum geworfen.