0,4 Packungen pro Kopf

Gutachten: Die Hotspots der Versender Carolin Ciulli, 15.01.2025 15:35 Uhr

Der Versand von Rx- und OTC-Arzneimitteln betrug einer Studie zufolge 2023 rund 95 Millionen Packungen. Foto: Shop-Apotheke
Berlin - 

Die Versandapotheken haben ein Gutachten in Auftrag gegeben, um zu belegen, dass sie eine „tragende Säule der Arzneimittelversorgung“ sind und künftig eine entscheidende Rolle bei der Sicherstellung der flächendeckenden und kosteneffizienten Versorgung einnehmen können. Jenseits solcher gefärbter Botschaften enthält die Studie einige interessante Fakten.

Aufgelistet wird in der Studie die Entwicklung der gelieferten OTC- und Rx-Arzneimittelpackungen auf Produktebene zwischen 2019 und 2023. Demnach belief sich der Absatz zuletzt auf 95 Millionen Stück – ein Plus von 7 Prozent im Vorjahresvergleich. 2019 lag die Zahl der abgegebenen Packungen noch bei 61,3 Millionen. Davon entfallen 89,5 Millionen Packungen auf OTC-Präparate, 2019 waren es 53,4 Millionen. Im Rx-Bereich war der Trend rückläufig: von 7,9 Millionen Packungen im Jahr 2019 beziehungsweise 8,2 Millionen Packungen im Jahr 2020 auf 5,4 Millionen Packungen im Jahr 2023.

Hinter den Zahlen stehen laut Gutachten 29,8 Millionen Bestellungen, 2016 waren es noch 16,4 Millionen. Pro Kopf ergibt sich eine Quote von 0,37 Bestellungen; verglichen mit 0,2 Aufträgen im Jahr 2019.

Bestellungen pro Kopf

Jedes einzelne PLZ-Gebiet mit mehr als 33 Einwohnern wurde beliefert, das Ausmaß unterscheidet sich dabei stark: Etwa die Hälfte der PLZ-Gebiete erhielt bis zu 2000 Lieferungen pro Jahr, es gab aber auch vereinzelte PLZ-Gebiete, die weniger als 9 oder mehr als 20.000 Mal beliefert wurden. Durchschnittlich wurden jeweils zwischen 2000 und 3700 Bestellungen pro Jahr zugestellt.

Dabei gibt es Unterschiede: 0,406 Bestellungen wurden in Gegenden mit geringer Bevölkerungsdichte („ländliche Zellen“) ausgelöst, 0,33 in Regionen mit hoher Bevölkerungsdichte (mindestens 1500 Einwohner pro km2 und insgesamt mindestens 50.000 Einwohner). Am meisten wird mit 0,42 Bestellungen pro Kopf allerdings in Gegenden mit mittlerer Bevölkerungsdichte bestellt (mindestens 300 Einwohner pro km2 und insgesamt mindestens 5000 Einwohner).

Heißt: Im Jahr 2019 erhielten die Einwohnerinnen und Einwohner dünner bevölkerter Gebiete 11 Prozent mehr Arzneimittellieferungen als die Einwohnerinnen städtischer Räume. 7,8 Millionen Lieferungen gingen an die in städtischeren Räumen lebende Hälfte der deutschen Bevölkerung, 8,6 Millionen an die in ländlicheren Räumen lebende Hälfte der Bevölkerung. Im Jahr 2023 betrug der Unterschied bei steigendem Gesamtniveau bereits 15 Prozent. 13,9 Millionen Lieferungen versorgten den städtischen Raum, 16,0 Millionen Lieferungen den ländlicheren.

Versand statt Vor-Ort-Apotheke

Ein Ergebnis der Studie ist nach Ansicht der Autoren und ihrer Auftraggeber, dass durch den Versandhandel auch Versorgungslücken geschlossen werden. Fazit der Gutachter: „Je geringer die Vor-Ort-Apothekendichte, desto intensiver die Belieferung mit OTC-Arzneimitteln durch Online-Apotheken.“

Mehr noch: Während in Gegenden ohne Apotheke vor Ort im Median 1,303 Packungen pro Kopf geliefert wurden, waren es in Regionen mit Apotheke vor Ort nur 1,162 Packungen. In 27 Prozent der betrachteten PLZ-Gebiete gibt es laut Gutachten keine öffentliche Apotheke. Die durchschnittliche Bevölkerungsdichte dieser 2189 PLZ-Gebiete ohne öffentliche Vor-Ort-Apotheke liegt mit 151 Einwohnerinnen und Einwohnern je km2 deutlich unter dem Durchschnitt der betrachteten PLZ-Gebiete von 925 Einwohnerinnen und Einwohnern je km2.

Regionale Unterschiede

Auffällig ist allerdings auch, dass in den neuen Bundesländern tendenziell deutlich weniger Packungen pro Kopf bestellt werden als in den alten Bundesländern. Am intensivsten beliefert werden Rheinland-Pfalz, Bayern, Hessen und Baden-Württemberg. Die Apothekendichte ist laut Abda-Zahlen in diesen Bundesländern im unteren Bereich, auch Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sowie Bremen und Berlin weisen eine ähnlich hohe oder niedrigere Apothekenzahl pro Einwohner:in aus.

Konkret ergibt sich folgendes Bild:

  • Baden-Württemberg: 0,4 Bestellungen pro Kopf
  • Bayern: 0,41 Bestellungen pro Kopf
  • Berlin: 0,31 Bestellungen pro Kopf
  • Brandenburg: 0,37 Bestellungen pro Kopf
  • Bremen: 0,27 Bestellungen pro Kopf
  • Hamburg: 0,32 Bestellungen pro Kopf
  • Hessen: 0,41 Bestellungen pro Kopf
  • Mecklenburg-Vorpommern: 0,32 Bestellungen pro Kopf
  • Niedersachsen: 0,37 Bestellungen pro Kopf
  • Nordrhein-Westfalen: 0,36 Bestellungen pro Kopf
  • Rheinland-Pfalz: 0,42 Bestellungen pro Kopf
  • Saarland: 0,38 Bestellungen pro Kopf
  • Sachsen: 0,31 Bestellungen pro Kopf
  • Sachsen-Anhalt: 0,31 Bestellungen pro Kopf
  • Schleswig-Holstein: 0,38 Bestellungen pro Kopf
  • Thüringen: 0,32 Bestellungen pro Kopf

Entlastung durch Versender?

„Die Potenziale von Online-Apotheken für die zukünftige Arzneimittelversorgung wurden im bisherigen politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurs durchaus (verhalten) anerkannt. Dies erfolgte jedoch häufig vor dem Hintergrund strukturerhaltender Bestrebungen. Stärken und Chancen digitaler Angebote für eine qualitativ hochwertige, flächendeckende und zukunftsfeste Arzneimittelversorgung wurden bislang wenig adressiert“, heißt es im Gutachten.

Schon heute stellten Online-Apotheken eine „wichtige Säule und passgenaue Ergänzung in der Arzneimittelversorgung“ dar. „Angesichts der Bevölkerungsentwicklung, steigender Betriebskosten und sinkender Fachkräftepotenziale können Online-Apotheken das Gesundheitssystem entlasten und die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung flächendeckend sicherstellen und verbessern – insbesondere auch in ländlichen und abgelegenen Regionen sowie für bestimmte Kundengruppen.“

Mit einer Literaturrecherche im Rahmen der Erhebung wolle man auch zeigen, dass die Versandapotheken nicht der Grund für den Rückgang der Vor-Ort-Apotheken seien. Eine Auswertung wissenschaftlicher Studien zeige, „dass der Rückgang ein komplexes Zusammenspiel mehrerer Faktoren ist“. Dazu zählten der Fachkräftemangel in pharmazeutischen Berufen, wirtschaftliche Herausforderungen sowie die Konkurrenz zwischen Apotheken oder die Schließung von Arztpraxen.

Drei Thesen sollten entsprechend bestätigt werden:

  • Online-Apotheken tragen schon heute zu einer kosteneffizienten und flächendeckenden Arzneimittelversorgung in Deutschland bei.
  • Online-Apotheken sind nicht die Ursache für den Rückgang von Vor-Ort-Apotheken, sondern vielmehr die Lösung für eine flächendeckende Arzneimittelversorgung.
  • Eine Ausweitung des Angebots sowie die Inanspruchnahme digitaler Bezugsquellen, Versorgungs- und Beratungslösungen leisten einen Beitrag zu einer effizienten, nachhaltigen und stabilen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung.

Das Gutachten wurde durch das IEGUS-Institut im Zeitraum Mai bis November 2024 erstellt. Auftraggeber sind die EAEP-Mitglieder Redcare, DocMorris, Apo.com und Atida. Die Daten der Analyse bilden Unternehmen mit einem Marktanteil am OTC-Absatz im in- und ausländischen Versandhandel 2023 von rund 58 Prozent ab. Basis bilden anonymisierte, aggregierte Bestelldaten der beteiligten Versender.