Grundsatzurteil zu Plattformen: DocMorris vor dem EuGH Patrick Hollstein, 17.04.2023 11:14 Uhr
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) verhandelt in dieser Woche über die Apothekenplattform von DocMorris in Frankreich. Die Entscheidung hat Bedeutung weit über den Fall hinaus: Es geht um die grundsätzliche Frage, ob die Vermittlung von Arzneimittelbestellungen an Apotheken zulässig ist – oder ob die Plattform durch ihr Angebot gegenüber den Verbraucherinnen und Verbraucher vielmehr selbst als Apotheke auftritt.
Vor drei Jahren hatte der DocMorris-Mutterkonzern Zur Rose die französische Firma Doctipharma gekauft. Die Plattform ist seit März 2014 am Netz und gehörte damals dem Medienkonzern Lagaderre, der sein Ziel, mindestens 10 Prozent der 20.000 französischen Apotheken einzusammeln, aus eigener Kraft nicht erreichte: Zum Zeitpunkt der Übernahme verkauften rund 100 Partnerapotheken nicht verschreibungspflichtige Präparate über die Website und zahlten dafür eine Provision von rund 10 Prozent.
Mittlerweile wurde die Plattform in DocMorris umbenannt – und es gab weitere Änderungen: Während sich die Kundinnen und Kunden ursprünglich vor der Bestellung auf eine Apotheke festlegen mussten, kauft man aktuell ohne Vorauswahl im Webshop ein. Die liefernde Apotheke wird automatisch durch das System vorgeschlagen und im Kaufprozess nur im Kleingedruckten genannt. Die Fakturierung erfolgt zentral durch die Betreibergesellschaft. Apothekenpflichtige Arzneimittel werden derzeit nicht angeboten.
Apotheker klagen gegen Plattform
Der Apothekerverband UDGPO (Union Des Groupements de Pharmaciens d'Officine), ein Dachverband von 16 Apothekenkooperationen mit knapp 4000 Mitgliedern, der auch schon gegen Shop Apotheke erfolgreich vor dem EuGH war, hatte schon direkt nach dem Launch der Plattform gegen das Konzept geklagt. Aus seiner Sicht nimmt Doctipharma durch das Angebot am elektronischen Arzneimittelhandel teil, ohne selbst eine Apotheke zu sein.
Im Mai 2016 entschied das Handelsgericht Nanterre, dass der Verkauf von Arzneimitteln über Doctipharma tatsächlich rechtswidrig sei, Doctipharma musste sämtliche OTC-Präparate aus dem Sortiment nehmen. Das Berufungsgericht Versailles kassierte die Entscheidung zwar Ende 2017, doch im Juni 2019 hob der Kassationsgerichtshof das Urteil auf und legte die Sache beim EuGH vor.
Einschränkungen für OTC-Versand
Laut EU-Arzneimittelrichtlinie können die Mitgliedstaaten nur den Versandhandel mit Rx-Arzneimitteln verbieten. Darüber hinaus müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass „das Angebot von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit zum Verkauf im Fernabsatz durch Dienste der Informationsgesellschaft“ erfolgen kann.
Mit Blick auf den Gesundheitsschutz der Bevölkerung können sie dabei allerdings weitere „gerechtfertigte Bedingungen für den auf ihrem Hoheitsgebiet durchgeführten Einzelhandelsvertrieb von Arzneimitteln aufstellen, die im Fernabsatz durch Dienste der Informationsgesellschaft an die Öffentlichkeit verkauft werden“ und bei Zuwiderhandlungen „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen“ verhängen.
Laut „Code de la santé publique“ (Gesetzbuch über die öffentliche Gesundheit) dürfen Arzneimittel in Frankreich nur durch Apothekerinnen und Apotheker abgegeben. Diesen wiederum ist es explizit verboten, „Arzneimittelbestellungen [...] über Vermittler entgegenzunehmen und mit den genannten Arzneimitteln, Produkten oder Gegenständen, die auf diese Weise bestellt wurden, Handel zu treiben und sie zuzustellen“.
Nur Dienstleister für Apotheken?
Doctipharma/DocMorris argumentierte, nur Technik und Infrastruktur bereitzustellen; der Verkauf sei ausschließlich eine Sache zwischen Apotheke und Kunde beziehungsweise Kundin. Insofern sei das eigene Angebot als Tätigkeit im Sinne des „Dienstes der Informationsgesellschaft“ nach EU-Arzneimittelrichtlinie zulässig.
Vor dem EuGH wird es nicht nur um die Auslegung des Apothekenrechts gehen, sondern auch um die grundsätzliche Frage, wie mächtig Plattformen sein dürfen: In den Vorinstanzen war unter anderem auf eine Entscheidung zu Uber verwiesen worden. Laut Berufungsgericht ist der Fall beim Fahrdienst anders gelagert als bei DocMorris/Doctipharma: Dort könnten Fahrer ohne die Plattform ihrer Tätigkeit nämlich überhaupt nicht nachgehen. Dies sei im Fall der Partnerapotheken von Doctipharma anders, da diese schließlich noch ihr stationäres Geschäft hätten.