Bayern

Großhändler stufen Mitarbeiter ab

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Berlin -

Zwischen den Betriebsräten und den Pharmagroßhändlern in Bayern hängt der sonst so harmonische Haussegen seit Kurzem gehörig schief. Grund ist die Umsetzung der neuen Tarifstruktur. Eigentlich sollte damit für die Mitarbeiter alles moderner und besser werden. Doch nun gibt es massiven Ärger: Es drohen Einkommenseinbußen von bis zu 300 Euro im Monat. Die Betriebsräte gehen auf die Barrikaden.

Im November 2014 hatten der Arbeitgeberverband LGAD (Landesverband Groß- und Außenhandel, Vertrieb und Dienstleistungen Bayern) mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi nach über 30 Jahren eine neue Entgelttarifstruktur ausgehandelt. 250.000 Beschäftigten des Groß- und Außenhandels sind betroffen.

Die Mitarbeiter werden künftig nach Qualifikation und nicht mehr nach Alter bezahlt. Dies hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits im Jahr 2005 für unzulässig erklärt. Für alle Beschäftigten gelten jetzt einheitliche Kriterien; erstmalig werden zusätzliche Anforderungen, wie zum Beispiel besondere körperliche Belastungen, berücksichtigt. Die Trennung zwischen Arbeitern und Angestellten wurde überwunden, ebenso wie die Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Der Abschluss in Bayern hat Modellcharakter für die gesamte Branche.

Nach Einschätzung eines Insiders wird die neue Entgeltstruktur allerdings flächendeckend zu einer breiten Welle von Gehaltskürzungen in allen Bereichen des pharmazeutischen Großhandels genutzt. Bei der Definition der für bestimmte Tätigkeiten im Arzneimittelgroßhandel notwendigen Qualifikationen gibt es aus Gewerkschaftssicht ein erhebliches „Downgrading“.

Kommissioniertätigkeiten und Stellen als Sachbearbeiter würden jetzt als Tätigkeiten ohne besondere Qualifikation eingestuft, quasi als schlichte Hilfsarbeiten. Das hat Konsequenzen: Die bisherigen Monatslöhne von 2000 bis 2400 Euro Brutto würden so um 300 Euro gekürzt. „Diese Einbußen können die Kollegen nicht verkraften“, so Verdi-Verhandlungsführer Dirk Nagel.

Er bestätigt, dass es in der jetzt laufenden Umsetzungsphase heftige Diskussionen und massiven Ärger gibt: „Die Arbeitergeber schießen über das Ziel hinaus. Wir haben eine Bonbondose hingestellt und erwartet, dass jeder ein Bonbon nimmt. Aber die Arbeitgeber greifen mit der ganzen Hand zu“, so Nagel.

Zwar hat Verdi für alle Beschäftigten einen Bestandsschutz ausgehandelt. Der hat aber eine Lücke: Von den künftigen Gehaltserhöhungen erhalten die Mitarbeiter immer nur ein Drittel. „Die werden nach und nach abgehängt“, so Nagel. Und Neueinstellungen erfolgen sowieso nach der neuen, für die Arbeitgeber billigeren Struktur.

Den Vorwurf, schlampig verhandelt zu haben, will Nagel nicht gelten lassen. Diese Entwicklung habe man nicht kommen sehen. Bisher sei das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Mitarbeitern im Pharmagroßhandel immer besonders harmonisch gewesen: „Die Betriebsräte sind jetzt überrascht über das Vorgehen der Arbeitgeber.“ Das liege womöglich am gestiegenen Kostendruck und den gesunkenen Margen im Großhandel, orakelt der Verhandlungsführer der Gewerkschaft.

Ein Insider berichtet von massivem Druck. Angeblich haben die Großhändler Verdi ein „Schreckens-Szenario des umfangreichen Arbeitsplatzverlustes im pharmazeutischen Großhandel an die Wand gemalt“. Die „Vasallen der großen und globalen Unternehmen und die Lobbyistenverbände“ hätten einen damit „genialen Coup“ zur weiteren Kürzung der Gehälter gelandet. Die Kürzung von Zusatzleistungen und freiwilligen Sozialleistungen für die Mitarbeiten seien die Folge.

Aber noch ist für Verdi nicht alles verloren. Der ausgehandelte und unterzeichnete Entgelttarifvertrag sei „erst die halbe Miete“, sagt Nagel. „Jetzt sehen wir mal wie das mit der Umsetzung läuft.“ Er kündigt Widerstand an: „Die Betriebsräte prüfen und verhandeln jetzt. Die neue Tarifstruktur ist Neuland. Es gibt dazu noch keine Rechtsprechung.“ Die könnte aber bald folgen, wenn der Streit nicht ausgeräumt wird.

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