Interview Joss Hertle (Google)

Apotheker, digitalisiert Euch!

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Berlin -

Suchen Patienten bei Google nach Apotheke, führen Versandapotheken die Ergebnisliste an. Aber auch Vor-Ort-Apotheken können Topplätze belegen. Inhaber sollten bei der Suchmaschine mindestens mit den Öffnungszeiten präsent sein, rät Joss Hertle, der bei Google Deutschland den Bereich Healthcare/Industrie leitet und zu den Referenten der Digitalkonferenz VISION.A gehört. Mit einem guten digitalen Auftritt könnten Patienten aus dem Internet an den HV-Tisch geholt werden.

ADHOC: Warum müssen Apotheken bei Google gefunden werden?
HERTLE: Die Digitalisierung bei den Patienten rollt. Apothekenkunden suchen im Internet nach relevanten Inhalten für die Selbstmedikation. Pro Jahr gibt es in Deutschland 20 Millionen Suchanfragen mit Apothekenbezug. Davon haben 20 Prozent einen klaren lokalen Bezug. Patienten wollen wissen, wo die nächste Apotheke ist. Deshalb sollte jede Apotheke sicher stellen, dass sie gefunden wird.

ADHOC: Wird denn tatsächlich gezielt nach Apotheke gesucht?
HERTLE: Suchen sie nach Apotheken, ist die Entscheidung, in die Offizin zu gehen, bereits gefallen. Meist werden aber zunächst Symptome in die Suche eingeben; Patienten wollen wissen, was sie haben. Circa 80 Prozent aller Online-Recherchen zu bestimmten Indikationen münden direkt in einem Besuch vor Ort. Das haben noch nicht alle Apotheker begriffen. Die digitale Präsenz ist eine Chance für Apotheken, gefunden zu werden und den Besucherstrom von der Online-Suche in die Apotheke zu lenken.

ADHOC: Wie können Apotheken im Vergleich zu Versendern überhaupt mitziehen?
HERTLE: Bekannte Versandapotheken werden nie 100 Prozent des Marktes besetzen. Sie decken den Bedarf einer bestimmten Zielgruppe ab, die weniger auf Beratung und stattdessen zum Beispiel mehr auf den Preis setzt. Der Hauptumsatz wird in der Vor-Ort-Apotheke gemacht. Das beweisen auch Suchanfragen wie „Öffnungszeiten Apotheke“ oder „Schmerzen Apotheke Berlin“. Die Suche nach der Apotheke vor Ort ist sehr wichtig. Dieses Potenzial nutzen Präsenzapotheken aktuell nicht.

ADHOC: Also haben Apotheken das digitale Zeitalter verpasst?
HERTLE: Apotheken sind nicht schlechter als andere Berufsgruppen des Mittelstands. Für kleinere Unternehmen ist es immer schwieriger, digital Fuß zu fassen. Große Ketten tun sich leichter, die Brücke zwischen Präsenzstandorten und dem Online-Geschäft zu schaffen. Apotheken sind dabei mit dem Handwerk vergleichbar. Sie haben schlichtweg einfach nicht die Zeit, sich den ganzen Tag mit dem Internet zu beschäftigen. Der deutsche Mittelstand läuft aber Gefahr, dass Unternehmen aus anderen Ländern im Internet deutsche Kunden abfangen.

ADHOC: Warum tun sich Apotheker mit einem eigenen Internetauftritt schwer?
HERTLE: Apotheker sind gebildete und aufgeklärte Menschen, haben Smartphones und nutzen das Internet privat selbst. Allerdings tritt beruflich ein psychologischer Effekt ein. Privat ist das Nutzungsverhalten komplett anders als im Job. Geschäftlich bauen sie auf ihre Erfahrung und schauen manchmal nicht weit genug nach vorn. In der Apotheke fallen sie in den gelernten Trott und erachten die eigene Homepage oder Einträge auf Google-Maps deshalb als nicht so wichtig. Das ist schade, denn Kunden haben das Smartphone immer dabei und navigieren damit.

ADHOC: Wie können Apotheken ihren Online-Auftritt verbessern?
HERTLE: Es gibt einfache Mittel, im Internet gefunden zu werden. Jeder Apotheker sollte sich kostenlos bei Google „My Business“ anmelden. Das ist vergleichbar mit den Gelben Seiten. Im nächsten Schritt können sie sich mit Spezialthemen wie Dermokosmetik oder Homoöpathie auf ihrer Internetseite gegenüber der Konkurrenz abgrenzen. Durch Differenzierung wird man leichter gefunden. Apotheken sollten klar ersichtlich machen, ob sie geöffnet haben und ob sie am Wochenende Notdienst haben. Außerdem gibt es die Möglichkeit über eine Google-Adwords-Anzeige lokal zu werben.

ADHOC: Wie funktioniert das?
HERTLE: Jeder kann Adwords buchen. Der Klick-Preis richtet sich dabei nach mehreren Faktoren. Je treffgenauer und damit relevanter eine Anzeige ist, desto kostengünstiger ist sie. Apotheken, die nicht dasselbe Budget wie Versender haben, sollten sich deshalb möglichst spezialisieren.

ADHOC: Wozu gibt es bei Google die Statistik „beliebte Zeiten“?
HERTLE: Das Feature gibt Nutzern einen Hinweis, wann besonders viel los ist. Bei Restaurants ist das zum Beispiel besonders hilfreich. Aber auch wenn eine Apotheke irgendwo in der Innenstadt in der Mittagspause immer überfüllt ist, ist es für Kunden unter Umständen interessanter, lieber eine Stunde später zu kommen. Das Feature wird automatisch und nicht von den Inhabern selbst erstellt. Die Daten werden mithilfe von Nutzern berechnet, die ihren Standort mit Google teilen. Allerdings werden Informationen zu Geschäften nur angezeigt, wenn die Öffnungszeiten bei Google hinterlegt sind und ausreichend aktuelle Informationen zu Stoßzeiten vorliegen.

ADHOC: Plant Google ein Preisvergleichsportal für Arzneimittel?
HERTLE: Zu solchen Gerüchten nehmen wir generell keine Stellung.

ADHOC: Sind die Hersteller im digitalen Zeitalter angekommen?
HERTLE: Bei Suchanfragen zum Thema Selbstmedikation haben wir jährlich ein zweistelliges Wachstum. Die Industrie hat vor einigen Jahren begonnen, sich mit den möglichkeiten digitaler Kommunikation vertraut zu machen. Manche sehr intensiv und erfolgreich, manche haben heute noch große Berührungsängste. Hersteller sollten auf Ratgeber- oder Produktseiten entscheidungsrelevante Inhalte liefern, um gefunden zu werden. Denn der Google-Algorithmus macht keinen Unterschied zwischen Laieneinträgen und professionellen Inhalten. Noch immer gibt es sehr viele Indikationen, die unzureichend besetzt sind. In diesen Fällen werden hauptsächlich Forenbeiträge als Antworten geliefert. Das ist für den Kunden und für uns – und letzten Endes auch für den Nutzer – unbefriedigend.

ADHOC: Wie seriös sind die Suchergebnisse überhaupt?
HERTLE: Wir wollen immer das beste Suchergebnis für den Nutzer anzeigen. Ich glaube, das gelingt uns ganz gut, zumindest sind wir ja die beliebteste Suchmaschine. Monatlich gehen weltweit rund 100 Milliarden Suchanfragen ein.

ADHOC: Wie wichtig sind soziale Netzwerke für Hersteller?
HERTLE: Nutzer, die ein gesundheitliches Problem haben, suchen in der Regel nicht über soziale Netzwerke nach Lösungen. Hersteller müssen sich zu Recht fragen, ob ihr Arzneimittel eine Marke sein soll, die bei Facebook & Co. läuft. Das ist ein heißes Eisen. Für Apotheken ist ein Facebook-Auftritt dagegen ein gutes Instrument, um sich von Wettbewerbern abzugrenzen. Allerdings sind soziale Netzwerke nicht der erste Weg, den Nutzer wählen, um eine Apotheke zu finden.

ADHOC: Gmail, Maps, Youtube: Wird es bald nur noch Google geben?
HERTLE: Wir wollen unseren Nutzern Dienste anbieten, die ihr Leben einfacher machen – das geht weit hinaus über eine reine Suchmaschine. Innovation ist ein ganz zentraler Unternehmenswert für uns: Würden wir damit aufhören, wäre die Gefahr groß, schnell irrelevant zu werden. Es gibt einen intensiven Konkurrenzkampf in der Online-Branche, von dem letzten Endes der Nutzer profitiert.

ADHOC: Schmeichelt Ihnen die Bezeichnung Dr. Google?
HERTLE: Der Begriff ist unglücklich gewählt. Wir sind kein Arzt und wollen auch keiner sein. Allerdings gibt es viele Nutzer, die sich bei Google zu ihren Symptomen informieren. Dadurch gibt es mehr aufgeklärte Menschen, was wiederum das Verhältnis zwischen Patient und Arzt ändert. Wir wollen Ärzten und Apothekern dabei helfen, mit den Herausforderungen der Digitalisierung richtig umzugehen.



Joss Hertle ist seit fünf Jahren bei Google. Der 41-jährige Kommunikationswirt war für den Internetriesen zunächst im Bereich Youtube und Display tätig. Seine berufliche Laufbahn begann er 1996 als Redakteur beim Regionalsender tv.münchen. Im Anschluss war er für RTL tätig. 2001 wechselte er in den Bereich Marketing und Vertrieb und war unter anderem bei T-Online, dem Internetportal Myspace sowie dem Online-Vermarkter Adconion beschäftigt.

Hertle ist Referent bei der Digitalkonferenz VISION.A von APOTHEKE ADHOC am 16. März in Berlin. Die Veranstaltung widmet sich dem digitalen Wandel in Pharma & Apotheke; rund 250 Gäste werden im Cafe Moskau erwartet. Weitere Informationen und Tickets: http://vision.apotheke-adhoc.de/

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