„Apotheken können vom Mass Market lernen“ Patrick Hollstein, 11.08.2015 10:29 Uhr
Im Rahmen eines gigantischen Tauschgeschäfts haben GlaxoSmithKline (GSK) und Novartis ihr OTC-Geschäft in ein neues Gemeinschaftsunternehmen eingebracht. In Deutschland bereits Nummer 2, soll das Geschäft deutlich über Markt wachsen. Im Interview mit APOTHEKE ADHOC erklären Erhard Heck, verantwortlich für die Region Deutschland, Österreich und Schweiz, und Marketingleiter Thomas Maurer, welche Erwartung sie an die Apotheken haben, warum Marken wichtiger als Generika sind und warum der Vertiebskanal für ein sekundäres Kriterium ist.
ADHOC: Was bringt das Joint Venture in Deutschland?
HECK: Wir sind seit März in der neuen Struktur am Start. Wir haben die Wachstumskategorien identifiziert und entschieden, wo wir Schwerpunkte setzen. Gerade im Apothekenbereich sehen wir für unsere Marken viel Potenzial. Unsere Botschaft ist klar: Wir sind angetreten, um zu wachsen. Unsere Struktur ist auf Wachstum ausgerichtet!
ADHOC: Wie schätzen Sie die Rahmenbedingungen ein?
HECK: Grundsätzlich wird die Selbstmedikation an Bedeutung gewinnen. Der Druck auf die Sozialkassen wächst, gleichzeitig sind die Menschen bereit, mehr Geld für ihre Gesundheit auszugeben. Hier findet ein Umdenken in der Gesellschaft statt. Wir gehen davon aus, dass sich der Markt flach, aber gesund im unteren bis mittleren einstelligen Wachstum entwickelt und weiter konsolidiert. Das ist im internationalen Vergleich okay, denn dafür ist das Volumen groß und das Geschäft sehr profitabel. Aber für uns steht fest: Wir wollen besser sein als der Durchschnitt, das heißt in den für uns relevanten Kategorien zwei- bis dreimal stärker wachsen.
ADHOC: Das ist eine Kampfansage. Wie wollen Sie Ihren Mitbewerbern Marktanteile abnehmen?
HECK: Wir gehen davon aus, dass speziell das GSK-Produkt-Portfolio einer größeren Anzahl an Apotheken direkt vorgestellt werden kann. Dabei ist es sicher auch von Vorteil, wenn Produkte in einem Atemzug mit Voltaren genannt werden. Darüber hinaus werden wir durch die Zusammenlegung der beiden Unternehmen in der Produktentwicklung Synergien haben und dadurch die Innovationsrate deutlich erhöhen können.
ADHOC: Werden Sie auch Ihr Portfolio ausbauen?
HECK: Wir sind kein Generikakonzern, der alles anbietet. Für uns machen Kategorien keinen Sinn, in denen wir nicht Nummer 1 oder 2 sein können.
ADHOC: Sie könnten Marken aus dem Ausland aufbauen?
MAURER: Entscheidend für den Erfolg ist nicht, was wir im Portfolio haben, sondern was der Markt braucht. Das ist sicher kein weiteres Paracetamol-Produkt. Wenn wir mit zusätzlichen Marken einen Mehrwert bieten können, sind wir richtig. Ansonsten geht es für uns darum, innerhalb der bestehenden Kategorien unsere starken Marken stärker zu machen.
ADHOC: Haben Sie ein Beispiel?
MAURER: Wir können unsere Pflegeserie Physiogel weiterbringen, wenn wir die Synergien mit Fenistil richtig nutzen. Für Investments brauchen Sie eine kritische Masse von 20 bis 30 Millionen Euro Umsatz. Es macht einen Unterschied, ob 10 Millionen Euro in die Werbung für ein Produkt mit genauso viel Erlösen stecken oder in eine Marke wie Voltaren, die zehnmal so groß ist. Vor allem wenn Sie dann auch noch den Vorverkauf finanzieren müssen.
ADHOC: Ihre Abhängigkeit von Ihren Top-Marken wird dadurch nicht geringer. Haben Sie keine Angst vor der Generikakonkurrenz?
HECK: Im Gegenteil: Wir sehen uns bestens gewappnet. Trotz erheblicher Investitionen hat es niemand geschafft, Voltaren anzugreifen. Als Marktführer sind Sie weniger anfällig: Je größer Ihre Präsenz, desto höher die Eintrittsgebühr für die Konkurrenz.
MAURER: Jede Kategorie hat den Generikaanteil, den sie verdient. Wenn es Markenanbietern nicht gelingt, ihren Mehrwert zu verkaufen, haben sie ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Uns kommt natürlich zugute, dass es OTC-Medikamente in Deutschland nicht in der Selbstbedienung gibt und der Wirkstoff bei den Verbrauchern deswegen weniger im Fokus steht. Auch das Preisbewusstsein ist nicht so ausgeprägt, wie in anderen Vertriebskanälen. Das sind beste Voraussetzungen, um gemeinsam mit den Apotheken Marken aufzubauen.
ADHOC: Wenn die Apotheken aber bei den Generikaanbietern besser einkaufen?
HECK: Wir können nicht verhindern, dass Konkurrenten ihre Sortimente subventionieren. Ich finde aber nicht, dass unsere Konditionen in der Gesamtbetrachtung schlechter sind: Wir haben einen höheren Preis und damit bessere Spannen. Und Voltaren bringt Traffic in die Apotheke. Der Handel weiß, dass Marken unschlagbar sind.
ADHOC: Wie sieht es mit Dachmarken aus?
HECK: Das Thema bleibt strategisch für uns sehr wichtig, auch wenn wir die Situation zuletzt nicht eskalieren lassen wollten. Aber die Entwicklung geht in die richtige Richtung.
MAURER: Hier sind aus meiner Sicht auch die Apotheken gefordert. Wir sehen eine große Skepsis, dabei wären Dachmarken eine Chance, sich mit einer kompetenten Beratung zu profilieren.
ADHOC: Welche Innovationen sind von GSK zu erwarten?
HECK: Wir erwarten keine „Switch-Wunder“, wenn Sie das meinen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass der Erfolg nicht von alleine kommt. Da spielen viele Parameter eine Rolle, sodass nur wenige Produkte infrage kommen.
ADHOC: Und zwar?
HECK: Sie müssen bereits erfolgreich sein und sich für die Selbstmedikation eignen. Die meisten Switch-Produkte sind zu wenig bekannt. Und oft gibt es eine gewisse Orientierungslosigkeit, wenn plötzlich statt des Arztes der Apotheker, der mitunter selbst verunsichert ist, der Ansprechpartner sein soll. Man muss da sehr differenziert hinschauen.
MAURER: Außerdem muss es einen Mehrwert geben, der den höheren Preis rechtfertigt. Nur dann entsteht ein Geschäftsmodell. Bei Voltaren passte es einfach: Mobilat hatte den Teppich gelegt, wir hatten das bessere Produkt und ein überlegenes Kommunikationskonzept.
ADHOC: Also keine Innovationen?
HECK: GSK ist ein Pharmakonzern, wir denken andauernd über Innovationen nach. Bahnbrechende Neueinführungen wie Voltaren forte sind sicher nicht regelmäßig zu erwarten, eher alle fünf Jahre. Aber alle zwei Jahre wird es sicher Extensions geben, um Lücken zu schließen. In der Apotheke braucht es sicherlich länger, um Innovationen zu entwickeln. Dafür ist der Lebenszyklus eines Produktes auch länger.
MAURER: Innovationen beschränken sich nicht auf Produkte, sondern auch auf die Art, wie wir gemeinsam mit unseren Handelspartnern unser Geschäft betreiben. Wir sehen uns – auch aufgrund unserer Erfahrungen im Mass Market – in der Lage, den Markt zu entwickeln.
ADHOC: Werden die Apotheken mitziehen?
MAURER: Wir sehen, dass sich da in den vergangenen Jahren viel getan hat. Auch hier gibt es einen Generationswechsel. Viele Apotheker wissen, dass sie nur noch erfolgreich sein können, wenn sie sich nicht mit dem Rx-Geschäft zufrieden geben, sondern ihre Apotheke betriebswirtschaftlich optimieren. Viele Apotheker sind sehr professionell unterwegs, entwickeln neue Ideen und messen den Erfolg ihrer Aktionen. Das macht auch für die Industrie Spaß. Wir sehen es als unsere Aufgabe, dieses Denken voranzutreiben und innovative Konzepte anzubieten.
ADHOC: Wie sehen solche Konzepte aus?
MAURER: Novartis unterstützt die Apotheken seit längerem bei Category Management, das werden wir fortführen und weiter ausbauen. Bei GSK haben wir ein „Shopper Science Lab“ eingerichtet, wo Hersteller und Einzelhändler die Kundenresonanz von Abverkaufsaktionen mit modernster Technik messen können. Ein weiterer Schwerpunkt ist auch der Digitalbereich: Mit den Verbrauchern treten wir in direkteren Kontakt, um Stimmungen zu eruieren und schneller und besser Produkt- und Portfolioentscheidungen treffen zu können. Außerdem planen wir innovative Partnerprogramme im Digitalbereich: In unserem neuen Voltaren-Apothekenfinder etwa wollen wir Handelspartner belohnen, die stärker mit uns zusammenarbeiten als andere.
ADHOC: Die bisherigen Kooperationen reichen Ihnen nicht?
MAURER: Die Entwicklung ist hier zuletzt etwas ins Stocken geraten. Uns als Hersteller fehlt es an Differenzierung. Es ist sicher kein Alleinstellungsmerkmal, so wie jeder andere Hersteller auch Industriepartner des MVDA zu sein.
ADHOC: Wie wichtig wären Ihnen größere Einheiten im Apothekenmarkt?
HECK: Wir sind mit dem Fremd- und Mehrbesitzverbot absolut zufrieden. Wir wären auch vorbereitet für eine andere Entwicklung, gerade GSK war aufgrund seines Portfolios sehr in Richtung Mass Market orientiert. Aber heute sind wir ausbalancierter und sehen die Vorteile. Wir unterstützen die inhabergeführte Apotheke.
ADHOC: Trotzdem müssen Sie den Spagat zwischen Drogerie und Apotheke hinbekommen.
MAURER: Der Vertriebskanal ist für uns ein sekundäres Kriterium. Wenn Produkte in der Apotheke Sinn machen, bleiben sie in die Apotheke. Wenn sie besser im Mass Market funktionieren, gehören sie dorthin. Wir werden definitiv keine Vertriebskanäle ignorieren. Discount und Versandhandel werden von uns nicht strategisch bedient. Aber sie werden auch nicht ausgeblendet, dazu sind sie zu bedeutend. Man mag dazu stehen, wie man will: Wenn man sich damit nicht auseinander setzt, klammert man einen ganzen Teil der Käuferschaft aus. Das haben übrigens auch viele Apotheker erkannt, die zwar gegen den Versandhandel schimpfen, aber gleichzeitig einen eigenen Onlineshop betreiben.
HECK: Man kann es auch anders formulieren: Wir sehen starkes Potenzial in beiden Bereichen und versuchen, unser Geschäft entsprechend auszubalancieren. Beide Kanäle können voneinander lernen, das sehen wir als unsere Aufgabe. Wir werden die Learnings vom Mass Market – wo angebracht – auch auf die Apotheke ausrichten.
ADHOC: Also bleibt GSK consumig?
HECK: Auf jeden Fall. Unser Leitmotiv ist es, die beste Fast Moving Consumer Healthcare Company weltweit und insbesondere in Deutschland als einen der wichtigsten Märkten zu sein.
Erhard Heck begann seine Karriere bei Mack/Pfizer und kam 1985 zur OTC-Sparte des schweizerischen Hersteller Ciba-Geigy, der 1996 mit Sandoz zu Novartis fusionierte. Heck war viele Jahre lang in der Geschäftsführung von Novartis in München, zwischenzeitlich übernahm er für den Konzern immer wieder Führungsfunktionen im Ausland. Seit 2011 war er für das gesamte Europageschäft verantwortlich, seit März leitet er beim Gemeinschaftsunternehmen GSK Consumer Health die DACH-Region.
Thomas Maurer kam 1995 als Brand Manager zu Novartis in München; von 2001 bis 2006 war er Marketingleiter. Nach einem zweijährigen Ausflug als Country Manager Dänemark/Island wechselte er im September 2008 als Marketing & Sales Director zu GSK, zunächst für DACH, später für das Cluster Nordwesteuropa. Anfang 2014 wurde ihm bei GSK die Verantwortung für Skandinavien übertragen. Bei GSK Consumer Health ist er Marketingleiter für die DACH-Länder.