Ginkgo ist ein Klassiker in der Phytotherapie, doch in den vergangenen Jahren sind immer mehr Anbieter aus dem Mass Market auf den Zug aufgesprungen. Allein auf weiter Flur kämpft der Tebonin-Hersteller Dr. Willmar Schwabe um den Arzneimittelstatus und die Apothekenpflicht. Die Gerichte tun sich schwer mit der Einstufung der Extrakte, doch jetzt hat Schwabe einen wichtigen Erfolg errungen: Was weder monografiekonform noch in einem rein traditionellen Verfahren hergestellt wird, kann weder Arzneimittel noch Lebensmittel sein – und ist damit eigentlich nicht verkehrsfähig, so das Oberlandesgericht Frankfurt (OLG).
In dem Streit geht es um das Produkt „Zirkulin Ginkgo Zink und B-Vitamine“ des Herstellers Districon, das vor allem im Drogerie- und Supermarkt vertrieben wird. Das Präparat enthält eine Kombination aus 100 mg Ginkgoblätterextrakt, Zink und verschiedenen B-Vitaminen und wird als „Nahrungsergänzungsmittel" vermarktet. Auf der Rückseite der Umverpackung wird eine Wirkung „für Gehirn, Nerven und den Energiestoffwechsel" ausgelobt: „Zirkulin Ginkgo Tabletten enthalten einen hochwertigen Ginkgo-Extrakt, dessen Inhaltsstoffe zur Mikrodurchblutung und Sauerstoffversorgung des Gehirns beitragen können.“
Schwabe mahnte den Konkurrenten ab: Bei Ginkgoblätterextrakten in einer Tagesdosis von 100 mg sei von einer pharmakologischen Wirkung auszugehen, das Präparat daher als Funktionsarzneimittel einzustufen. Das ist zwar laut OLG im Grundsatz korrekt: Ginkgoblätterextrakt trage unstreitig zur Mikrodurchblutung und Sauerstoffversorgung des Gehirns bei, eine Wechselwirkung mit zellulären Bestandteilen im Körper sei daher vorhanden.
Das Problem liegt aber im Detail, denn Ginkgo wird seit jeher wegen seiner Wirkungen traditionell etwa als Tee eingesetzt. „Enthält ein Erzeugnis im Wesentlichen einen Stoff, der auch in einem Lebensmittel in dessen natürlichem Zustand vorhanden ist, so besitzt es keine nennenswerten Auswirkungen auf den Stoffwechsel, wenn bei einem normalen Gebrauch des fraglichen Erzeugnisses seine Auswirkungen auf die physiologischen Funktionen nicht über die Wirkungen hinausgehen, die ein in angemessener Menge verzehrtes Lebensmittel auf diese Funktionen haben kann.“
Laut Gericht ist Schwabe den Beweis schuldig geblieben, dass es für eine pharmakologische Wirkung auch die „erforderliche Signifikanz“ gibt. Zwar legte der Hersteller ein entsprechendes Gutachten aus einem früheren Rechtsstreit mit Klosterfrau vor, allerdings war dieses Produkt als monografiekonform bewertet worden, was für das Zirkulin-Produkt laut Gericht nicht behauptet werden kann.
Districon argumentierte nämlich, der Extrakt werde nicht – wie in der Monografie vorgesehen – in einem aufwändigen, 20-stufigen Herstellungsverfahren produziert, bei dem erwünschte Blattinhaltsstoffe wie Terpenlactone um das 50-Fache angereichert und unerwünschte Inhaltsstoffe wie Ginkgosäuren auf unter 0,0005 Prozent (5 ppm) abgereichert würden. Das Droge-Extrakt-Verhältnis liege daher nicht bei 50:1, sondern nur bei 9-12:1. Zum Beweis legte der Hersteller ein Analysezertifikat vor, aus dem zwar das genaue Verhältnis nicht hervorging, das laut Gericht für die Verteidigung im Prozess aber trotzdem ausreichend war: Alles Weitere – auch ein Gutachten – laufe auf eine „unzulässige Ausforschung“ hinaus.
Aus demselben Grund lasse sich die Einstufung als Arzneimittel auch nicht mit möglichen Gesundheitsgefahren nicht begründen. Dies hatte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) vor drei Jahren für Produkte im Grenzbereich zum Maßstab gemacht. Doch das damals betroffene Ginkgo-Produkt des österreichischen Herstellers Gall Pharma war laut Gericht ebenfalls viel höher dosiert, auch hier lasse sich daher nichts übertragen. Eine Stellungnahme des Bundesamts für Risikobewertung (BfR) oder des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wollten die Richter dazu auch nicht einholen, weil wohl ohnehin wahrscheinlich keine Informationen um Produkt vorlägen und dies abermals auf eine Ausforschung hinauslaufe.
Doch die Schwabe-Anwälte hatten gute Arbeit geleistet: Hilfsweise hatten sie gefordert, das Produkt wenigstens als neuartiges Lebensmittel einzustufen sei und damit gegen die Novel-Food-Verordnung verstoße. Diesen Antrag hatten sie im Berufungsverfahren weiter verfolgt – und am Ende die Richter auch überzeugt.
Zwar hat die Arbeitsgruppe „Novel Food“ der EU-Kommission Ginkgoblätter in ihren Novel-Food-Katalog aufgenommen und damit als Lebensmittel definiert, das vor dem 15. Mai 1997 im Verkehr war und in nennenswerter Menge verzehrt wurde. Doch dies gilt laut OLG nicht für den von Districon verwendeten Extrakt. Schwabe hatte aus Sicht der Richter substantiiert dargelegt, dass die heute gängigen Ginkgo-Extrakte vor dem Stichtag gerade nicht nennenswert verwendet wurden. Nunmehr wäre es Sache von Districon gewesen, das Herstellungsverfahren zu offenbaren oder zu erklären, warum der Extrakt eben doch schon vor knapp 25 Jahren verwendet wurde.
Zwar wurde ein Gutachten zitiert, nach dem bereits 1984 in Frankreich ein Ginkgo-Extrakt als Nahrungsergänzungsmittel im Verkehr war. Aber selbst wenn man unterstelle, dass es sich hierbei tatsächlich um einen „aufwändig hergestellten Extrakt“ handelte, fehle es an der geforderten Verbreitung: „Es kommt nicht darauf an, ob es vor 1997 irgendwo im Unionsgebiet Ginkgo-Extrakte gab, sondern darauf, ob sie in nennenswertem Umfang verzehrt wurden.“ Dass bereits vielfach Ginkgo-Tees im Umlauf waren, sei kein Argument: „Es geht vorliegend nicht um Tees aus Ginkgo-Blättern, sondern um Extrakte mit hoch angereicherten beziehungsweise abgereicherten Stoffen.“
Districon hatte zwar ein „Grobschema“ über die Herstellung mit neun Verfahrensschritten vorgelegt, laut Gericht fehlten aber Angaben zu den verwendeten Mengen an Roh- und Lösungsstoffen, zur Temperatur oder zum Konzentrationsverhältnis der entscheidenden Stoffe. Für diese Geheimniskrämerei hatten die Richter kein Verständnis, da Districon und die beteiligten Partner zur Offenlegung verpflichtet gewesen wären. „Nur sie können den Herstellungsprozess ihres Mittels kennen. Darauf hat der Senat im Rahmen der mündlichen Verhandlung hingewiesen.“ Ein Sachverständigengutachten und Zeugen lehnten die Richter daher ab, sondern kamen zu dem Fazit: „Durch die Anreicherung beziehungsweise Abreicherung von Bestandteilen wird die natürliche Zusammensetzung verändert. Der Extrakt ist mit naturbelassenen Ginkgo-Blättern nicht mehr vergleichbar.“
Auch der Verweis auf andere Länder, wo Ginkgo seit Jahren nicht als Arznei-, sondern als Lebensmittel vertrieben wird, und die Forderung nach einer Vorlage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) überzeugten die Richter nicht: Es gehe nicht um die Vereinbarkeit nationalen Rechts mit höherrangigem Unionsrecht, sondern um die Anwendung einer EU-Verordnung. „Führt die Rechtsanwendung in verschiedenen Mitgliedsländern zu unterschiedlichen Ergebnissen, ist dies hinzunehmen. Ein Gericht oder eine Behörde ist nicht verpflichtet, die – gegebenenfalls falsche – rechtliche Einordnung eines Nahrungsergänzungsmittels durch eine Behörde eines anderen Mitgliedsstaats zu übernehmen.“
Bei Schwabe freut man sich über die Entscheidung: „Das Urteil des OLG Frankfurt ist insoweit ein Meilenstein, als erstmals auch obergerichtlich festgehalten wurde, dass Extrakte aus Ginkgo biloba, die in einem Verfahren hergestellt worden sind, in dem die in Ginkgo-biloba-Blättern von Natur aus enthaltenen Ginkgolsäuren auf das für arzneiliche Extrakte zugelassene Maß von < 5 ppm reduziert worden sind, in Lebensmitteln unzulässig sind und Produkte, die einen derartigen Extrakt enthalten, nicht als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben werden dürfen“, so Dietmar Henß aus der Abteilung Corporate Legal & Compliance. „Das Urteil hat daher über den Einzelfall hinaus Bedeutung für den ganzen Markt der ohne Arzneimittelzulassung in Drogerien und im Einzelhandel vertriebenen Produkte, die Ginkgo-biloba-Extrakt als Inhaltsstoff enthalten.“
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