Ginkgo ist kein Lebensmittel Marion Schneider, 24.01.2018 11:58 Uhr
Der Markt der Ginkgo-Präparate ist in Deutschland hart umkämpft. Ist Ginkgo pharmakologisch wirksam? Wenn ja, in welcher Dosierung? Insbesondere der Hersteller Dr. Willmar Schwabe hat sich die Apothekenpflicht von Ginkgo-Präparaten zum Ziel gesetzt und sich im vergangenen Jahr erfolgreich gegen Klosterfrau durchgesetzt. Ein aktuelles Urteil des Oberverwaltungsgericht Lüneburg (OVG) gibt dieser Position Rückenwind.
Der österreichische Hersteller Gall Pharma wollte für seine NEM „Ginkgo 100 mg GPH Kapseln“ und „Ginkgo Biloba + Q-10 GPH Kapseln“ eine Allgemeinverfügung nach §54 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs erwirken. „Wir wollen damit in dem schwierigen Marktumfeld Rechtssicherheit für unsere Produkte schaffen“, sagt Firmenchef Dieter Gall. Die beiden Präparate sind in Österreich als NEM für verkehrsfähig erklärt worden. Dadurch dürfen sie in andere EU-Mitgliedstaaten eingeführt und dort in den Verkehr gebracht werden, auch wenn sie den dort national geltenden Vorschriften nicht entsprechen. In Deutschland sind die Kapseln seit 2003 auf dem Markt und im Webshop von Hecht Pharma sowie bei Versandapotheken zu finden.
Gall Pharma zeigte sich vor Gericht überzeugt, dass es für die Einfuhr keiner weiteren Zulassung bedarf, da der enthaltene Trockenextrakt eine „charakteristische Zutat eines Lebensmittels“ sei. Allerdings könne man nicht ausschließen, dass einzelne Überwachungsbehörden oder Wettbewerber eine andere Auffassung vertreten. Um sich vor möglichen zukünftigen Klagen zu schützen, habe man die Allgemeinverfügung beantragt. Diese bestätigt die Verkehrsfähigkeit von Lebensmitteln, die den in Deutschland geltenden Gesundheitsvorschriften nicht entsprechen. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) erteilt die Verfügungen, wenn keine gesundheitlichen Gründe dagegen sprechen, das Produkt auf den Markt zu bringen. Im Unterschied zu Ausnahmegenehmigungen profitieren von Allgemeinverfügungen alle Einführer rezepturgleicher Erzeugnisse.
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg (OVG) hat jetzt entschieden, dass es sich bei den Ginkgo-Präparaten von Gall Pharma nicht um Lebensmittel, sondern um Funktionsarzneimittel handelt. Eine Allgemeinverfügung könne daher nicht erteilt werden. Damit bestätigten die Richter ein Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig, gegen das Gall Pharma in Berufung gegangen war.
Das wichtigste Kriterium, um zu beurteilen, ob ein Arzneimittel vorliegt, sei die pharmakologische Wirkung. Diese liegt laut OVG bei den Präparaten vor. Für Ginkgo-Produkte in einer Dosierung von 120 mg pro Tag sowie in einer Dosierung 80 mg pro Tag seien durch verschiedene Studien pharmakologische Effekte nachgewiesen. Daraus schlossen die Richter, dass auch die Dosierung 100 mg pro Tag pharmakologisch wirksam sein müsse. Auch Zusammensetzung, Gebrauch, Bekanntheit bei den Verbrauchern und Risiken bei der Verwendung sprächen für ein Funktionsarzneimittel.
Eine pharmakologische Wirkung setze nicht zwingend den Nachweis einer therapeutischen Wirksamkeit des Produktes voraus. Entscheidend für die Abgrenzung eines Arzneimittels von einem Nahrungsergänzungsmittel anhand der pharmakologischen Wirkung seien der Nachweis der Ursache-Wirkungs-Beziehung und das Wirkungsmaß.
Beim österreichischen Hersteller ist man über das Urteil nicht erfreut. In Deutschland gebe es immer wieder Diskussionen über Ginkgo-Präparate. „Es wird versucht, die Produkte in die Arzneimittelecke zu stellen“, so Gall. „Die Frage ist, welche Interessen stecken dahinter?“ Seine Ginkgo-Kapseln werden in Deutschland auch ohne Allgemeinverfügung vorerst weiter vertrieben. Das Unternehmen hat Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.
In einem zivilrechtlichen Verfahren hatte das Oberlandesgericht Hamm bereits 2016 geurteilt, dass Extrakt mit 100 mg Ginkgo eine pharmakologische Wirkung hat. Im konkreten Fall ging es um das NEM „Klosterfrau Ginkgo Plus“. Dem Kölner Hersteller wurde untersagt, das Produkt weiter ohne Zulassung in Verkehr zu bringen und zu bewerben. Der Fall ging nicht zum Bundesgerichtshof (BGH); stattdessen durfte Klosterfrau die Produkte bis Ende 2017 abverkaufen. Vorausgegangen war ein jahrelanger Rechtsstreit mit dem Konkurrenten Schwabe.
Von den zuletzt 195 Millionen Euro Umsatz auf Basis der Apothekenverkaufspreise (AVP) entfallen 46 Prozent auf Schwabes Tebonin. Neben den Varianten mit 40, 80 und 120 mg gibt es seit 2008 „Tebonin konzent“ mit 240 mg und seit 2013 „Tebonin 120 mg bei Ohrgeräuschen“. Laut Insight Health ist Tebonin die Nummer 2 unter den OTC-Produkten im Versandhandel; fast ein Viertel des Umsatzes entfällt bei dem Schwabe-Produkt auf diesen Vertriebskanal.
Gingium (Hexal) kommt auf 31 Prozent, Ginkobil Ratiopharm auf 16 Prozent und Ginkgo-Maren (Krewel Meuselbach) auf 3 Prozent. Der Rest verteilt sich auf Produkte von Klinge (Binko), 1A Pharma, Sandoz, KSK (Kaveri) und die Schwabe-Zweitmarken Rökan und Craton.