Der Fall Hüffenhardt

Gericht: DocMorris missbraucht EU-Recht

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Berlin -

Nicht Apotheke, nicht Versandhandel: Das Verwaltungsgericht Karlsruhe (VG) hat den Arzneimittelautomaten von DocMorris in Hüffenhardt samt und sonders verboten. Auf mehr als 50 Seiten legen die Richter ausführlich dar, warum die Zur-Rose-Tochter sich an die deutschen Vorschriften halten muss – und warum sie sich missbräuchlich auf EU-Recht beruft, wenn sie mit Scheinargumenten einen Versandhandel konstruiert, der keiner ist. Aus Sicht der Richter wäre übrigens ein Rx-Versandverbot mit EU-Recht vereinbar.

Im Prozess ging es um die Klage von DocMorris gegen einen Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe, mit dem das Inverkehrbringen von Arzneimitteln, die nicht für den Verkehr außerhalb von Apotheken freigegeben sind, mittels des Automaten in Hüffenhardt untersagt wurde.

DocMorris hatte argumentiert, das Terminal sei eine Art des Versandhandels, der in Zeiten von E-Books und Prime-Angeboten nicht mehr nur in der klassischen Form des Otto-Katalogs existiere. Auf einen Nenner gebracht: Sobald der Bestellvorgang nicht ausschließlich direkt vor Ort erfolge, sondern insbesondere über das Internet, liege kein Einzelhandel mehr vor, sondern eine Form des Versandhandels.

Dass die Ware schon vor Ort ist, bevor der Kunde die Räume betreten hat, sahen die Anwälte von DocMorris nicht als Problem: In Hüffenhardt sei eben ein Teil der Versandlogistik vorgelagert; der finale Schritt – die Zustellung an den Kunden – erfolge dagegen erst nach der Bestellung und dem Erwerb des Produkts. Damit wollten sie den Auswurf aus dem Automaten verstanden wissen: Ob die Lieferung durch einen Postdienstleister oder durch einen technischen Vorgang ausgeführt werde, spiele keine Rolle. Der Versand werde hier lediglich räumlich und zeitlich so weit wie möglich abgekürzt.

Mit diesen und vielen anderen Argumenten und Schutzbehauptungen mussten sich die Richter auseinander setzen. Schon die Tatsache, dass es einen Ortstermin gegeben hatte, zeigt, dass sie ihren Job gründlich machen wollten. Und so leiten sie unter Zuhilfenahme des Brockhaus sowie anhand systematischer Erwägungen und historischer Entwicklungen her, was den Versandhandel im Kern ausmacht und wie er daher auch im Zusammenhang mit Arzneimitteln definiert werden muss.

„Versandhandel“ ist demnach mehr, als den Artikel aus dem Lager zu holen und ihn dem Kunden zu übergeben. Vielmehr muss als objektive Voraussetzung eine individuelle Bestellung vorliegen und zwischen Kauf und Übergabe der Ware eine gewisse Zeitspanne liegen, in der Auftragsannahme, Versandabwicklung und Auslieferung vorgenommen werden. „Dahinstehen kann, wie groß die Zeitspanne zu sein hat, in der die Versendung der Ware vorgenommen wird, damit (noch) ein Versandhandel vorliegt. Bei der von der Klägerin angebotenen Abgabe von Arzneimitteln handelt es sich ausgehend vom Wortlaut jedenfalls bereits deshalb nicht um einen Versandhandel, da dem Kunden aufgrund der geringen Zeitspanne von weniger als einer Minute zwischen Kauf und Übergabe der Arzneimittel die Möglichkeit der direkten Mitnahme der gekauften Waren gegeben wird.“

Ihr Fazit: „Die Klägerin will dem Kunden mit ihrer in Hüffenhardt angebotenen Arzneimittelabgabe unter Konstruktion eines Versandhandels alle Vorteile einer Präsenzapotheke, insbesondere die Möglichkeit der unmittelbaren Mitnahme von Arzneimitteln nach einer persönlichen Beratung, verschaffen, ohne die hierdurch entstehenden Nachteile tragen zu müssen, die mit einer deutschen Apothekenbetriebserlaubnis einhergehen.“

Laut Urteil wird in Hüffenhardt der Eindruck einer Apotheke erweckt. Zwar hatte DocMorris argumentiert, dass sich in den Räumlichkeiten kein Hinweis auf eine Apotheke finde. Auch gebe es weder im Empfangs- noch im Warteraum die üblichen Aufsteller mit Freiwahlprodukten oder ähnlichem, sondern nur einen Schreibtisch mit Bildschirm und Scaneinrichtung. Im Übrigen befinde sich der Kunde auch nicht in einem Geschäftslokal der Versandapotheke, sondern in der Abholstelle des Dienstleisters Tanimis.

Doch dies verfing bei den Richtern nicht. „Die von der Klägerin angebotene Arzneimittelabgabe stellt für einen verständigen Kunden eine Präsenzapotheke dar.“ So seien die Räumlichkeiten früher als Apotheke genutzt worden; außerdem wiesen bereits von außen deutlich sichtbare Schilder auf DocMorris hin. Die Marke werde – anders als von DocMorris behauptet – von Kunden nicht nur mit dem Versandhandel in Verbindung gebracht. Die Richter verweisen auf das Franchisekonzept der Versandapotheke: „Sowohl die grün-weiß-schwarze Farbgebung, als auch das ‚Apotheken-Kreuz‘, die im Rahmen des Franchiseangebots durch Apotheker verwendet werden durften, finden sich auch vor und in den Räumlichkeiten in Hüffenhardt wieder.“

Vor allem aber ziele die konkrete Ausgestaltung darauf ab, zielgerichtet nur Kunden aus der näheren Umgebung zu gewinnen. „Die Bestellung und Mitnahme von Arzneimitteln sind final auf diesen Kundenkreis zugeschnitten.“ Realistischerweise sei nicht zu erwarten, dass eine Vielzahl von Personen außerhalb von Hüffenhardt von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werde. „Dies gilt umso mehr, als ein Kunde […] weder zuvor daheim über das Internet bestellte Arzneimittel in den Räumlichkeiten in Hüffenhardt abholen kann noch sich bei Nichtvorhandensein der gewünschten Arzneimittel beim Vor-Ort-Besuch diese nach Hause senden lassen kann.“

Vielmehr sei die gesamte Videoberatung und Arzneimittelabgabe wie in einer Präsenzapotheke ausgestaltet. Die Unterhaltung mit dem „Videoberater“ stelle ein apothekentypisches Beratungsgespräch dar. „Der Kunde muss insbesondere nicht – wie es im Rahmen eines Versandhandelsgeschäfts üblich ist – die von ihm gewünschten Produkte selbst auswählen, in den Warenkorb legen und einen Kauf durch Klicken auf einen Button ausdrücklich bestätigen.“ Insofern könne er „keine versandhandelstypische Bestellung abgeben, indem er ohne Beratung ein Arzneimittel über Fernkommunikationsmittel kauft“.

Der Anschein einer Präsenzapotheke werde noch dadurch verstärkt, dass sich das Medikament, bevor der Kunde es bezahle, bereits sichtbar hinter einer Glasscheibe befinde. „Hierdurch entsteht für den Kunden aufgrund der Möglichkeit, das Arzneimittel noch vor dem Bezahlen zu sehen, vielmehr der Eindruck, der Apotheker habe das Arzneimittel herausgesucht und es – wie in einer Apotheke – auf den Tresen gelegt.“ Der Eindruck werde dadurch verstärkt, dass der „Videoberater“ auch nach Abgabe des Arzneimittels über den Bildschirm zugeschaltet bleibe, um Fragen zu beantworten, eine weitere Bestellung aufzunehmen oder auch das Arzneimittel zurückzunehmen, falls der Kunde sich anders entscheidet.

„Auch die sonstigen angebotenen Leistungen, insbesondere Ernährungs- und Gewichtsberatung, stellen Serviceleistungen dar, die ein verständiger Kunde in einer Präsenzapotheke erwartet“, heißt es im Urteil. Die „apothekentypischen Öffnungszeiten“ sowie die zwingende Bindung an die Räumlichkeiten seien weitere Beweise, dass in Hüffenhardt der Anschein einer Präsenzapotheke erweckt werde.

Dass DocMorris versucht, einen Versandhandel zu konstruieren, liegt laut Gericht auf der Hand. Alleine schon die Beteiligung der Schwesterfirma Tanimis erscheine konstruiert: Einerseits trete sie als „Transportunternehmen“ nicht wesentlich in Erscheinung, andererseits nehme sie für einen Logistiker untypische Aufgaben wahr: So sei sie nicht nur Mieterin der Räumlichkeiten und Eigentümerin der Einrichtung; vielmehr seien die bei ihr angestellten „Welcome Manager“ verantwortlich für die Einlagerung der Arzneimittel und die Betreuung der Kunden vor Ort. Umso bemerkenswerter sei in diesem Zusammenhang, dass es nach Angaben von DocMorris für die erbrachten „Transportleistungen“ bisher keine Vergütung gegeben habe.

Vor allem aber weigerten sich die Richter, die Ausgabe aus dem Automaten als „Versendung“ anzusehen: „Die Arzneimittel werden durch einen Automaten aus dem Lager geholt und auf ein Förderband gelegt, das das Arzneimittel zum Kunden befördert. Nichts anderes geschieht in einer Präsenzapotheke, wenn der Apotheker das gewünschte Arzneimittel aus dem Lager anfordert. Allein aus dem Umstand, dass das Förderband nicht durch einen persönlich anwesenden Apotheker, sondern durch einen Pharmazeutisch-Technischen-Assistenten beziehungsweise Apotheker über das Internet gesteuert wird, folgt aber nicht zwangsläufig, dass es sich um einen Versandhandel handelt. Vielmehr wird ein Versandhandel vorliegend künstlich erschaffen.“

Aus all dem lasse sich nur ein Schluss ziehen: Dass DocMorris die Absicht hat, sich einen unionsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, einen Versandhandel künstlich zu konstruieren. Nach Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) dürfe man sich aber nicht betrügerisch oder rechtsmissbräuchlich auf EU-Recht berufen, erklären die Richter unter Verweis auf ein aktuelles Urteil zur Steuerflucht von Konzernen. Für den Fall DocMorris bedeute das: „Damit kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, ihre Arzneimittelabgabe sei unionsrechtlich als Versandhandel auszulegen.“

Die Untersagung sei damit nicht nur verfassungs-, sondern auch unionrechtskonform. Die Richter zitieren das EuGH-Urteil aus dem Jahr 2009 zum Fremdbesitzverbot sowie die Entscheidung zu Rx-Boni aus dem Jahr 2016, in der der EuGH das deutsche Apothekenmonopol erneut im Grundsatz als unionsrechtskonform bestätigt habe. Damit bestätigten die Richter die Auffassung des Regierungspräsidiums, dass die mit dem Urteil erlaubten Boni gerade den Nachteil der fehlenden individuellen Beratung vor Ort ausgleichen sollten.

Viel Mühe geben sich die Richter auch damit, den tatsächlichen Nutzen der beiden wesentlichen berührten Vorschriften – Verbringungsverbot (§ 73 AMG) und Apothekenpflicht (§ 43 AMG) – zu bestätigen. So sei die Vorgabe, Arzneimittel nur auf konkrete Bestellung an Endkunden verschicken und nicht vor Ort einlagern zu können, damit zu rechtfertigen, dass die Präparate ansonsten der ordnungsgemäßen Kontrolle und dem Zugriff der Behörden entzogen sind: „Das Verbringungsverbot des § 73 AMG dient dazu, eine vorhergehende staatliche Prüfung auf Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Arzneimitteln zu ermöglichen.“

In Hüffenhardt würden Arzneimittel – im Unterschied übrigens zu Pick-up-Konzepten – außerhalb des Herrschaftsbereichs der Apotheke gelagert, nämlich durch die Schwesterfirma Tanimis beziehungsweise den eingebundenen Großhandel. Die Kontrolle werde nur durch die „Welcome Manager“ durchgeführt, die noch nicht einmal Angestellte von DocMorris seien. Die Freigabe durch das zugeschaltete pharmazeutische Personal bei der Abgabe sei ungenügend, da beispielsweise das Verfallsdatum auf der Rückseite anhand der Videoaufnahmen von oben nicht zu erkennen sei. Daran ändere auch Securpharm nichts. Auch Rezeptfälschungen lassen sich laut Gericht ohne den 3D-Effekt nicht erkennen, sodass ein größerer Anreiz für Missbrauch geschaffen werde als bei der physischen Kontrolle.

DocMorris hatte argumentiert, die Abgabe sei durch den in den Niederlanden geltenden „funktionalen Apothekenbegriff“ gedeckt. Der Fall Hüffenhardt stelle aber keinen „Versand an den Endverbraucher“ dar, da im Zeitpunkt des Grenzübertritts ein Endverbraucher nicht objektiv feststehe, so die Richter. Doch selbst wenn man dies unterstellen wolle, verstoße das Modell gegen die deutschen Vorschriften, die auch für ausländische Versandapotheken gelten, etwa die Vorgaben zur Dokumentation, zur räumlichen Nähe oder zur Abzeichnung des Rezepts vor der Abgabe. Auch hier weisen die Richter jeweils umfangreich den Sinn der verschiedenen Pflichten nach.

Und weil DocMorris sich vermutlich nicht mit dem Urteil abfinden, sondern einen Prozess bis zum EuGH anstrengen wird, geben die Richter ganz am Ende noch einen eindeutigen Hinweis mit auf den Weg: „Da ein nationales Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln unionsrechtskonform wäre, ist das gegenüber der Klägerin ausgesprochene Verbot, wonach das nicht im Wege des Versandes stattfindende Inverkehrbringen verschreibungspflichtiger Arzneimittel untersagt wird, erst Recht unionsrechtskonform.“

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