Das Landgericht Karlsruhe (LG) sieht in dem „Marktplatz“ von DocMorris nichts anderes als eine Plattform zum Rezeptmakeln und in der OTC-Provision eine illegale Gewinnbeteiligung. Das geht aus den Urteilsgründen im Verfahren des Versenders gegen die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) hervor, die APOTHEKE ADHOC vorliegen.
Für die Listung auf dem Marktplatz müssen Apotheken eine monatliche Gebühr von knapp 400 Euro zahlen. Beim Verkauf nicht-verschreibungspflichtiger Produkte über die Plattform fällt zudem eine Provision in Höhe von 10 Prozent des Nettoumsatzes an. Die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) hatte darin einen Verstoß gegen verschiedene apothekenrechtliche Vorgaben gesehen und DocMorris im September 2021 abgemahnt. Es geht um das Zuweisungsverbot und die illegale Gewinnbeteiligung.
Die Zur Rose-Tochter warf der Kammer wiederum vor, sie wolle transparenten Wettbewerb auf Online-Plattformen verhindern. Und überhaupt: Die Apotheken nutzten den Marktplatz freiwillig. Die monatliche Gebühr sei kein „Vorteil“ für das Sammeln, Vermitteln und Weiterleiten von Rezepten, sondern ein Entgelt für die Bereitstellung der Infrastruktur. Die Provision gefährde auch nicht die Unabhängigkeit der Apotheker, da diese ohnehin 83 Prozent ihres Umsatzes mit dem Rx-Geschäft machten. Außerdem könnten die Apotheken jederzeit ohne Angabe von Gründen mit einmonatiger Frist kündigen.
Doch das Gericht ließ sich von diesen Ausführungen nicht überzeugen. Die monatliche Grundgebühr sei ein Verstoß gegen das Rezeptmakelverbot in § 11 Abs. 1a Apothekengesetz (ApoG). Die Richter zitieren aus der Gesetzesbegründung, wonach das „kommerzielle Makeln von Rezepten“ nicht nur die freie Apothekenwahl beeinträchtigen, sondern auch zu erheblichen Verwerfungen im Apothekenmarkt führen kann, die eine flächendeckende Versorgung durch wohnortnahe Apotheken gefährden. Die Apotheken könnten zunehmend unter wirtschaftlichen Druck geraten, vor allem nach Einführung des E-Rezepts.
Deswegen sei das Rezeptmakeln auch nicht dann zulässig, wenn das individuelle freie Apothekenwahlrecht gewahrt bleibe. DocMorris verkenne den Schutzzweck der Vorschrift. Das Gesetz solle die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherstellen – und dafür sei ein flächendeckendes Netz wohnortnaher Apotheken erforderlich. „Die Versorgung der Bevölkerung mit wohnortnahen Apothekendienstleistungen kann auch dann gefährdet sein, wenn wirtschaftlicher Druck auf die niedergelassenen Apotheken entsteht, ohne dass davon der Patient zunächst etwas mitbekommt“, heißt es in der Urteilsbegründung. „Der Marktplatz der Klägerin betreibt das Vermitteln/Weiterleiten von Rezepten an Apotheken.“ DocMorris zeige den Patient:innen auch nur Apotheken an, die mit dem Versender einen Vertrag geschlossen hätten.
Rezepte zu makeln meine die berufs- oder gewerbsmäßige Beeinflussung des Wegs von Rezepten aus der Arztpraxis in die Apotheke. Zwar behaupte die Zur Rose-Tochter, sie stelle nur einen „digitalen Verkaufsraum und Werbefläche zur Verfügung“. Doch das Gericht lässt sich vom Werbesprech nicht blenden: „Solche in ökonomischen Termini beschriebenen Sachverhalte sind allerdings anhand des Gesetzes zu würdigen. Im Streitfall gilt insofern, dass die Technologie des digitalen Verkaufsraums schlicht die technische Voraussetzung des dargelegten Rezeptmakelns im rechtlichen Sinne ist.“
Der Versender kann sich auch nicht darauf berufen, die Apotheken schlössen den Vertrag freiwillig, eben weil das Gesetz einen höheren Schutzzweck erfüllt. Und gerade nach Einführung des E-Rezepts könnten viele Patient:innen gleich in der „digitalen Welt“ verbleiben und ihre Apotheke online auf einer entsprechenden Plattform auszuwählen. Weil zudem die Nachfrage nach Arzneimitteln kaum elastisch ist, drohe eine Umverteilung zwischen Apotheken. Und dann träte genau das ein, was der Gesetzgeber verhindern wolle, „nämlich ein ‚Apothekensterben‘ mit der Folge einer Aushöhlung der wohnortnahen Präsenz-Versorgung“. Marktplätze wie der von DocMorris stellten – einmal etabliert – die Apotheken vor die Wahl, sich zu beteiligen oder Rezepte zu verlieren.
Die Pauschale stelle einen Vorteil für DocMorris dar, der zumindest auch für das Sammeln und Vermitteln von Rezepten gewährt werde. Und dieser „Vorteil“, der in den §§ 299a, 299b Strafgesetzbuch (StGB) zur Bestechlichkeit beziehungsweise definiert ist, liege für DocMorris im Abschluss der Verträge und Kassiere der Grundgebühr. „Dieser Vorteil wird „für“ das Rezeptmakeln versprochen“, ist das Gericht überzeugt.
In der „Transaktionsgebühr“ von 10 Prozent bei nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sieht das Gericht zudem einen Verstoß gegen § 8 Abs. 2 ApoG. Damit sollen genau solche Verträge verhindert werden, in denen sich Externe die beruflichen und wirtschaftlichen Fähigkeiten des Apothekeninhabers zunutze machen und an den Früchten der Apotheke partizipieren. Apotheker:innen sollten in fachlicher, betrieblicher und wirtschaftlicher Hinsicht unabhängig sein und nicht von Dritten bestimmt werden. Doch darum handele es sich bei der hier umstrittenen Vereinbarung zwischen DocMorris und den Apotheken.
DocMorris spreche selbst davon, als „Betreiber einer neutralen Verkaufsplattform [...] die räumliche Gelegenheit zum Vertragsabschluss“ in einem „digitalen Verkaufsraum“ zu bieten. Der Versender vermiete digitale Räumlichkeiten für die Apothekentätigkeit. Dass der Groißteil des Umsatzes in Apotheken im Rx-Geschäft erzielt wird, spielt für diese Einschätzung keine Rolle: Die grundsätzliche Eignung zur Beeinflussung der wirtschaftlichen Apothekenbetriebsführung genügt. Und in die wirtschaftliche Abhängigkeit könnten die Apotheken auch später geraten, „wie dies von anderen Marktplätzen, etwa booking.com, als allgemeinbekannt vorausgesetzt werden kann“.
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig, DocMorris kann noch in Berufung gehen.
APOTHEKE ADHOC Debatte