Stada: Blindflug in Asien Patrick Hollstein, 29.08.2017 11:53 Uhr
Stada kommt nicht zur Ruhe. Bei der Hauptversammlung am morgigen Mittwoch in Frankfurt könnte es wie im Vorjahr turbulent zugehen. Zwar haben die Finanzinvestoren Bain und Cinven im zweiten Anlauf etwas mehr als 63 Prozent der Aktien eingesammelt – doch das provoziert erst recht Störfeuer von dritter Seite. Denn nur wenn wenige Aktionäre kommen, reicht es zur Dreiviertelmehrheit. Das Management hat aber noch ganz andere Sorgen: Ausgerechnet in dieser kritischen Phase ist der Konzern in einem seiner wichtigsten Märkte im Blindflug unterwegs.
Es geht um Vietnam. Stada ist seit 1993 vor Ort aktiv, seit 1995 gibt es eine Kooperation mit Khuong Duy. Zunächst vertrieb das privat geführte Unternehmen die Produkte aus Deutschland exklusiv, seit 2002 gibt es ein Joint Venture, an dem beide Partner je 50 Prozent halten. Seitdem wird Ware in Ho-Chi-Minh-Stadt produziert; die Fabrik hatte der lokale Hersteller in die Ehe mitgebracht. 2008 wurde ein zweites Werk eröffnet.
Parallel beteiligte sich der deutsche Konzern am Hersteller Pymepharco mit Sitz in Tuy Hoa. Das Unternehmen, an dem Stada heute 49 Prozent der Anteile, aber 59 Prozent der Stimmrechte besitzt, ist seit dem Einstieg im Jahr 2008 schnell gewachsen: Der Umsatz lag zuletzt bei 61 Millionen Euro, der Gewinn bei zehn Millionen Euro. Mittlerweile gibt es drei Tochterfirmen, die der deutsche Großaktionär künftig unter der gemeinsamen Dachmarke zusammenführen will.
Bei Khuong Duy wurde diese Entwicklung zuletzt mit zunehmender Sorge gesehen. Immerhin lag der Umsatz des Joint Ventures mit 42 Millionen Euro im vergangenen Jahr erstmals unter dem von Pymepharco. 2015 hatten beide Hersteller noch gleichauf gelegen.
Als man sich in Ho-Chi-Minh-Stadt bewusst wurde, dass der deutsche Partner ein doppeltes Spiel spielte, kam es zum Bruch. Das Vorgehen der Stada sei als Wettbewerbsverstoß und damit als Vertragsbruch zu interpretieren, so das Management. Im Dezember einigte man sich darauf, die Zusammenarbeit zu beenden. Man vereinbarte sowohl einen Kaufpreis als auch eine Frist für die Nutzung der Marke. Im Geschäftsbericht wurde die Sparte als „zur Veräußerung gehaltene Vermögenswerte“ umklassifiziert.
Doch obwohl die Vereinbarung bereits vom früheren Finanzvorstand Helmut Kraft unterzeichnet worden sein soll, kam es zu Verzögerungen. Monatelang wurde der lokale Partner hingehalten, dann soll der bisherige Konzernchef Dr. Matthias Wiedenfels sogar offen erklärt haben, dass er nicht beabsichtige, sich an die Abmachung zu halten.
So kappte Khuong Duy alle Drähte und weigerte sich, Zahlen oder Informationen zum Geschäft nach Bad Vilbel zu liefern. Das Management vor Ort vertritt die Auffassung, dass die Besetzung des Aufsichtsrats aufgrund des Wettbewerbsverstoßes unwirksam ist. Allerdings waren die Kontrollgremien ohnehin mit Managern besetzt, die im vergangenen Jahr dem allgemeinen Kehraus zum Opfer gefallen waren. Das Joint Venture sei eng mit dem ehemaligen Konzernchef Hartmut Retzlaff verbunden, wusste die Wirtschaftswoche bereits im April zu berichten. Noch heute ist Sohn Steffen für das Asiengeschäft verantwortlich.
So hat der Konzern derzeit keinen Zugang mehr. Im aktuellen Geschäftsbericht wurden daher Planungszahlen veröffentlicht, was allerdings nur kleingedruckt im Anhang erläutert wurde. Die gesellschaftsrechtliche Kontrolle habe sich nicht verändert, versicherte das Management. Die auf diese Weise verarbeiteten Informationen beträfen 1 Prozent von Umsatz und Gewinn.
Trotzdem: Vietnam ist einer der größten Märkte der Stada – Nummer 5 im Bereich der Markenprodukte und Nummer 8 bei den Generika. Ein Streit könnte den deutschen Hersteller in dieser empfindlichen Phase treffen. Bereits im Frühjahr sorgten sich Investoren, dass der Exit den Konzern Geld kosten könne. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) berichtete damals, dass nur das Drei- bis Vierfache des operativen Ergebnisses (EBITDA) als Verkaufserlös angesetzt sei, was weniger als 40 Millionen Euro entspreche. Parallel zahlten Bain und Cinven für den Gesamtkonzern das 14-Fache. Umgelegt auf die Beteiligung fehlten damit bis zu 100 Millionen Euro.
Laut Insidern weiß der Aufsichtsrat seit Februar über diesen Fall Bescheid. Der aktuelle Konzernchef Engelbert Coster Tjeenk Willink versuche derzeit im Namen der neuen Eigentümer den lokalen Partner zu beschwichtigen und weiterhin auf die lange Bank zu schieben. Dieser soll seine Ansprüche nunmehr gerichtlich geltend gemacht haben, was den Konzern bislang aber nicht zu einer Mitteilung an die Aktionäre veranlasste. Einem Sprecher zufolge laufen die Verhandlungen, eine Klage sei bislang nicht zugestellt worden.