Stada: Selbsthilfe und Sauerkraut Carolin Bauer, 11.09.2015 15:17 Uhr
120 Jahre ist die Stada alt. Am 14. März 1895 schließt sich eine Gruppe von Apothekern zusammen, um die Rezepturherstellung zu vereinfachen: Im „Verein der Apotheker Dresdens” besprechen die Kollegen die bestehenden Hausspezialitäten und entwickeln neue Ideen für die Herstellung in der Apotheke. Dass aus dem Zusammenschluss einmal ein pharmazeutischer Hersteller werden würde, sei nicht der Gründungsgedanke gewesen, sagt Konzernchef Hartmut Retzlaff.
Auch in Berlin, Würzburg und Darmstadt entstehen solche Arbeitsgruppen wie in Dresden. Um einheitliche Standards, etwa gleiche Verpackungen und Preise, kümmert sich ab 1903 der Deutsche Apotheker-Verein, der den Bereich nach fünf Jahren in ein eigenständiges Unternehmen ausgründet.
Ausgerechnet die Gleichschaltung der Apothekerverbände im Dritten Reich verhilft der Stada zu ihrem heutigen Namen: Der Deutsche Apotheker-Verein wird 1933 in die „Standesgemeinschaft Deutscher Apotheker“ überführt; das Kürzel St.d.A. wird 1935 zur Schutzmarke Stada – die fortan als Oberbegriff für alle einheitlichen Rezepturen gilt.
Zu jener Zeit unternimmt die Stada viel, um den Bereich der Rezeptur zu stärken und die Apotheke aufzuwerten. 1938 wird in München eine Geschäftsstelle eröffnet, die nach Luftangriffen nach Halle/Saale verlegt wird. Mit Kriegsende kommt die Arbeit in der russischen Besatzungszone zum Erliegen. 1948 werden auf dem Gebiet der Bundesrepublik zwei getrennte Genossenschaften neu aufgebaut: Stada-Nord in Essen und Stada-Süd in Tübingen. Im Fokus stehen Produkte zur Selbstmedikation.
1954 finden die beiden Schwesterfirmen wieder zueinander; die „Stada, Standardpräparate Deutscher Apotheker” mit Sitz in Frankfurt entsteht. Für Verwaltung und Lager werden drei Jahre später vor den Toren der Stadt in Bad Vilbel neue Gebäude errichtet.
Der Durchbruch kommt 1961: Die Vertreterversammlung beschließt, dass Stada-Präparate nicht mehr in der Apotheke, sondern auch zentral in Bad Vilbel hergestellt werden können. Weiterhin wird allerdings in der Apotheke konfektioniert; noch vor wenigen Jahren wurden Grippostad-Päckchen erst in der Apotheke befüllt und gestempelt.
1970 wird aus der Genossenschaft eine Aktiengesellschaft. Die Anteilsscheine wurden aber ausschließlich an Apotheker ausgegeben. Im selben Jahr werden die Tochterfirmen Niddapharm und Stada-Chemie ausgegründet; außerdem wird das Uzara-Werk gekauft.
Der nächste Meilenstein kommt 1975: Die Apotheker entschließen sich, am aufstrebenden Generikamarkt mitzumischen. Dieser Einstieg sei „halbherzig vollzogen“ worden, räumt Retzlaff heute ein. Als Apothekerunternehmen habe man schließlich die Margen nicht ruinieren wollen.
Zunächst werden nur Generika in der Indikation Herz/Kreislauf angeboten; einer der großen Erfolge ist Nifedipin. Weil das Sortiment nicht vollständig und außerdem hochpreisig gewesen sei, habe man Konkurrenten wie Ratiopharm einen Vorsprung gegeben, der nur schwer aufzuholen gewesen sei, so Retzlaff.
1986 – in diesem Jahr kommt Retzlaff als Marketing- und Vertriebsleiter an Bord – beginnt die Internationalisierung. In der Schweiz kaufen die deutschen Apotheker den Hersteller Helvepharm; 14 Jahre später holt die Stada „Zur Rose“ an Bord. Als die Ärzte-AG 2004 in den deutschen Versandhandel einsteigt, ergreift die Stada die Flucht: „Zur Rose“ übernimmt die Anteile preiswert und rettet sich mit dem Verkauf an Sanofi später vor der Pleite. Die Stada kommt mit der Übernahme der Spirig-Generika erst 2011 zurück in die Schweiz.
1989 folgt die Expansion nach Österreich, danach folgen Belgien, die Niederlande und Hongkong. Damit ist die Stada, die 1993 mit rund 400 Mitarbeitern einen Umsatz von rund 200 Millionen D-Mark erwirtschaftet, vom Apotheker- zum Pharmaunternehmen geworden. Der Aktionärskreis wird geöffnet, fortan können auch Nichtapotheker Anteile erwerben. 1998 folgt der Gang an der Börse – Vorzugsaktien werden ausgegeben, um Geld einzusammeln. Nur drei Jahre später wird die Stada im Börsenindex M-Dax aufgenommen. Heute gibt es rund 42.000 Aktionäre, davon sind noch 11 Prozent Apotheker und Ärzte.
1996 kauft die Stada den Billigkonkurrenten Aliud, mit dem sich die Apotheker in den Anfangszeiten regelmäßig in der Wolle hatten, und expandiert nach Frankreich und Tschechien. 1998 werden Cell-pharm sowie mehrere Produkte von Fresenius gekauft, es folgen Übernahmen in Dänemark, Spanien und Irland sowie der Start in Bangkok und Italien. Um Biosimilars zu entwickeln, sammelt der Konzern 2001 Risikokapital ein – sieben Jahre dauert es, bis 2008 Silapo das erste Produkt auf den Markt kommt. Heute lässt der Konzern den ungarischen Hersteller Gedeon Richter für sich entwickeln.
2002 nimmt ein Vertriebsteam in den USA die Arbeit auf, das schon nach vier Jahren das Handtuch wirft. Erfolgreich ist dagegen der Einstieg in Russland mit der Übernahme der Hersteller Nizhpharm (2005) und Makiz (2007). Auch die serbische Hemofarm bringt neue Kapazitäten; allerdings kämpft der Konzern bis heute mit Altlasten.
Der Umsatz liegt 2008 bei rund 1,6 Milliarden Euro – mehr als drei Mal so viel wie acht Jahre zuvor. Bekannte Marken wie Curazink (2003), Mobilat (2005) sowie Tramal/Azilect (2011) werden genauso gekauft wie Hersteller in Portugal, China (2005) und Großbritannien (2007). Es gibt auch Desinvestitionen: 2010 wird ein Sparpaket umgesetzt, 2012 werden in Irland und Russland Fabriken verkauft. Die Logistik lagert der Konzern 2015 an DHL aus.
Im Königreich gelingt Stada 2014 die Übernahme des OTC-Herstellers Thornton & Ross. Für die Hessen ist die Übernahme ein strategisch wichtiger Etappensieg – der viel Überzeugungsarbeit kostet. Retzlaff beweist Ausdauer, als er Jonathan Thornton, Enkel des Firmengründers Nathan Thornton, von Stada vorschwärmt. Auch die urdeutsche Traditionsspeise Sauerkraut soll Thema gewesen sein.
Das OTC-Geschäft soll künftig nicht nur Ertragsbringer, sondern auch Wachstumsmotor sein. 10 Prozent mehr pro Jahr organisch plus Zukäufe sollen den Anteil am Konzernumsatz von 40 auf 70 Prozent steigern. Retzlaff will Stada zu den „guten alten Wurzeln” zurückführen. Generika seien das „Brot und Butter-Geschäft”, für das ein jährliches Umsatzwachstum von einem unteren einstelligen Prozentbereich anvisiert wird. Bei Ausschreibungen setzt Stada allein auf die Vertriebstochter Aliud. Stadapharm steht künftig für den 2013 eingeführten Bereich Diagnostik. Stadavita wiederum soll den Bereich Nahrungsergänzungsmittel und Kosmetik abdecken.