Anzag

Geheimprojekt für Apothekenstandorte

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Die Schlussanträge von EU-Generalanwalt Yves Bot zum deutschen Fremdbesitzverbot feierte die Andreae-Noris Zahn AG (Anzag) mit Sekt für ihre Kunden. Es spricht aber viel dafür, dass sich der Frankfurter Großhändler vor einigen Jahren auf eine andere Entwicklung vorbereitet hatte: Im Juni 2005 sicherte sich die Anzag Vorkaufsrechte für eine undurchsichtige Unternehmensgruppe, die Apothekenstandorte in Einkaufszentren an- und an Apotheker weitervermietete. Der börsennotierte Konzern unterstützte die Expansion der Makler mit einer Bürgschaft für ein Darlehen in Höhe von 6,5 Millionen Euro. Der Aufsichtsrat wusste über die Vorgänge offenbar bestens Bescheid.



Bereits im Herbst 2004 denkt man in der Frankfurter Konzernzentrale intensiv über die Gestaltungsmöglichkeiten für eigene Apothekenstandorte nach. „Nach heutiger Rechtslage ist es jedermann unbenommen, im Rahmen von Krediten, Mietverträgen etc. dem Apotheker die Grundlage seiner Berufsausübung zur Verfügung zu stellen. [Das] Fremdbesitzverbot zwingt Apotheker gerade nicht dazu, Eigentum an Apotheke, Einrichtung u.s.w. selbst zu erwerben“, heißt es im Entwurf für eine Präsentation, mit der der Aufsichtsrat am 25. November 2004 über die Pläne des Vorstands informiert werden sollte.



Das Konzept sieht die Gründung einer Kommanditgesellschaft vor, die fertig ausgebaute Geschäftsräume an Apotheker untervermieten soll. An der Spitze sollen zwei Apotheker als geschäftsführende Gesellschafter stehen; der Anzag ist eine Rolle als Kommanditistin zugedacht. Auf diese Weise hofft der Konzern kartell- und apothekenrechtliche Probleme zu umgehen. Obwohl man sich bemüht, das Vorhaben als Serviceangebot für selbstständige Apotheker zu etikettieren, ist man sich der politischen Brisanz durchaus bewusst: „Standortsicherung in Form Vermietung von Apothekenräumlichkeiten über Großhandel ist ein Novum, Vorwurf der 'Kettenbildung' ist vorprogrammiert.“



Die Bedenken überwiegen, das Konzept wird nie umgesetzt. Stattdessen bändelt die Anzag mit dem Standortentwickler Wolfgang Tangermann an. Dessen Firmen vermieten Apothekern nicht nur Ladenfläche und Einrichtung, sondern stellen diese anscheinend auch von jeglicher Inanspruchnahme aus Verträgen frei. Zusammen mit den offenbar großzügig gewährten Entnahmen dürfte dies schnell zu einer wirtschaftlichen Abhängigkeit führen, die Tangermann dauerhaft den Zugriff auf die Apotheken sichert.



 



Ab Herbst 2004 baut Tangermann die gewünschte Firmenkonstruktion auf - „unter ständiger Beratung und rechtlicher Begleitung der Anzag“, wie er im Juli 2005 in einem vertraulichen Schreiben an Anzag-Vorstand Wolfgang Traut berichtet. „Das Firmen-Konzept ist mit der 'Begründung zur Standortsicherung von Apotheken' durch die Anzag vorgegeben worden“, schreibt Tangermann: „Aus apothekenrechtlichen Gründen (§8,ff.) sollte eine Vermietungsgesellschaft gegründet werden, damit diese [...] zum Zeitpunkt der Zulässigkeit in die geplante [...] 100%-Tochter der Anzag übergehen“ kann.



Auf der Grundlage eines gemeinsam erarbeiteten Finanzierungskonzepts stellt die West LB ein Darlehen in Höhe von 6,5 Millionen Euro zur Verfügung, mit dem offenbar eine Zwischenfinanzierung der Anzag in Höhe von 5,2 Millionen Euro zurückgeführt werden kann. Der Konzern bürgt fortan für das Darlehen.



Die Standortsicherung hat ihren Preis: Vier Millionen Euro geben Tangermann und sein Geschäftsführer Detlev Bergner alleine für den „Kauf“ von 19 Standorten aus – also rund 211.000 Euro pro Mietvertrag. Pro vermitteltem Apotheker werden 5000 Euro Provision gezahlt.



Im Juni 2005 sichert sich die Anzag bis 2015 vertraglich das Recht, sämtliche Anteile an den verschiedenen Unternehmen der Gruppe zu übernehmen – unter anderem für den Fall, „es gibt gravierende gesetzliche Änderungen im Apothekenrecht, so insbesondere den Wegfall des Fremd- und/oder Mehrbesitzverbotes“.



Doch offenbar läuft mit den Standortentwicklern nicht alles reibungslos. Wenige Tage nach dem Vertrag mit der Anzag beenden Tangermann und Bergner ein Treuhandverhältnis; einige der soeben zugunsten der Anzag abgetretenen Anteile wechseln plötzlich den Besitzer. Auch zu den Details der vertraglichen Verflechtungen mit den Apothekern tappt der Konzern lange im Dunkeln: „Das operative Vermietungsgeschäft ist weitgehend unbekannt“, heißt es im März 2006 in einem internen Papier des Großhändlers. Aus den vorliegenden Unterlagen lasse sich nur ein „bruchstückhaftes Bild“ liefern – über 36 Apotheken-Mietverträge in Marktkauf-, Globus-, Metro- und Kaufland-Filialen.



Die Anzag zieht die Reißleine: Im April 2006 werden sämtliche Firmenanteile an einen Mitarbeiter des Konzerns übertragen, der Sitz der Gesellschaften wird nach Rödermark verlegt. Tangermann verschwindet über Nacht von der Bildfläche, Bergner versucht, bei der Anzag seine offenen Rechnungen einzutreiben und wirbt beim Leiter der Rechtsabteilung Werner Laux mehrfach für eine weitere Zusammenarbeit. Doch die Anzag entschließt sich offenbar zur Radikalkur und lässt zahlreiche unrentable Apotheken schließen und die Verbindlichkeiten einiger Apotheker gerichtlich eintreiben.



Nun dringen erste Informationen über das Geheimprojekt nach außen. Im Frühjahr 2007 ist der öffentliche Druck auf Anzag-Chef Dr. Thomas Trümper so groß, dass dieser sich zur Komplettabwicklung entschließt. Möglicherweise kommt Trümper zu diesem Zeitpunkt gelegen, dass der versierte Apothekenmakler Joachim Birkle soeben bei Avie aussteigt. In Kirchardt-Berwangen bei Heilbronn gründet ein Unternehmensberater und Einkaufswagenfabrikant auf Vermittlung Birkles wenig später Auffanggesellschaften für die Anzag-Standortaktivitäten.



Laut Trümper war die Standortsicherung als Dienstleistung für unabhängige Apotheken gedacht; einer der ehemaligen Partner habe aber versucht, der Anzag den Aufbau einer Kette unterzuschieben. „Das entspricht nicht unserer Strategie, und wir versuchen mit viel Mühe, diesen Geruch loszuwerden“, so Trümper.

 

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