Großhandel

Gehe/Alliance: Kartellamt prüft Megafusion

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Berlin -

Gehe und Alliance Healthcare Deutschland (AHD) wollen fusionieren. Seit der Ankündigung kurz vor Weihnachten gab es dazu keine weiteren Informationen, doch hinter den Kulissen wird gearbeitet. Jetzt prüfen die Wettbewerbsbehörden das Vorhaben.

Beim Bundeskartellamt in Bonn ist der Antrag auf Freigabe jetzt in Bearbeitung, wie ein Sprecher bestätigt. Eine einfache Prüfung dauert demnach einen Monat, bei genauerer Untersuchung können weitere drei Monate ins Land gehen. Auch bei der EU-Kommission wurde am 10. Juli ein entsprechender Antrag auf Freigabe gestellt. Ab einer Umsatzgrenze von 5 Milliarden müssen die Wettbewerbshüter in Brüssel einbezogen werden. Das Deutschlandgeschäft von McKesson erlöste zuletzt 4,8 Milliarden Euro, AHD kam hierzulande auf 4,1 Milliarden Euro. Die US-Mutterkonzerne McKesson und Walgreens Boots Alliance (WBA) rechnen damit, dass der Deal erst im zweiten Halbjahr 2021 über die Bühne geht.

Nach Informationen von APOTHEKE ADHOC soll der Deal so aufgesetzt werden, dass McKesson sich mit 30 Prozent an AHD beteiligt und im Gegenzug sein operatives Geschäft in Deutschland einbringt. Dazu wurde AHD jetzt umgewandelt – die Aktiengesellschaft wurde in eine GmbH überführt. Der Betriebsrat hatte der Maßnahme, die ansonsten keine Auswirkungen hat, zugestimmt.

Wie die Wettbewerbsbehörden die Pläne beurteilen, ist derzeit noch nicht abzusehen. Zwar wird eine marktbeherrschende Stellung erst ab 40 Prozent vermutet – und davon sind Gehe mit rund 15 Prozent und Alliance Healthcare mit rund 13 Prozent entfernt. Doch bei der Fusionskontrolle zählt nicht der bundesweite Marktanteil, sondern die regionale Position.

Zuletzt hatte das Bundeskartellamt sich vor 20 Jahren intensiv mit dem Pharmagroßhandel auseinandergesetzt; damals ging es um die geplante Übernahme der Anzag – also der heutigen AHD – durch die Sanacorp. „Das Inland stellt im Pharmagroßhandel keinen einheitlichen räumlich-relevanten Markt dar, sondern ist, wie generell im stationären Konsumgüterhandel, in verschiedene Regionalmärkte aufzugliedern“, so die Sichtweise der Wettbewerbshüter damals. „Die räumliche Beschränkung der Märkte ergibt sich für den pharmazeutischen Großhandel daraus, dass nur innerhalb einer bestimmten Entfernung um eine Niederlassung die von den Apothekern gewünschte schnelle und pünktliche Belieferung mehrmals täglich gewährleistet werden kann.“

Also legten die Prüfer die tatsächlichen Absatzgebiete einer jeden Niederlassung als sogenannte regionale Märkte zugrunde. „Es handelt sich hierbei um das Gebiet, das der Großhändler aus Kostengesichtspunkten und nach dem Kriterium logistischer Optimierung bedient, und in dem allein er die für die adäquate Versorgung des Apothekers charakteristischerweise notwendigen Liefervoraussetzungen regelmäßig und zuverlässig zu erfüllen in der Lage ist.“

Entscheidend für Apotheker als Kunden sei die schnelle Bearbeitung der Bestellung und die Belieferung mehrmals täglich. „Dabei kommt es in erster Linie darauf an, in welcher Entfernung von der Apotheke sich die Niederlassung eines Großhändlers befindet, wobei aber auch die Infrastruktur (z.B. Autobahnnähe) sowie die traditionell hohe Kundendichte eines Großhändlers in einem Gebiet eine Rolle spielen.“ Nach diesen Gesichtspunkten hätten die Großhändler im Laufe der Zeit die Absatzgebiete ihrer eigenen Niederlassungen im Verhältnis zueinander und zu den Absatzgebieten der Wettbewerber optimiert. Die Wettbewerbshüter intervenierten schließlich wegen Überschneidungen in 9 von 14 Gebieten – hier sei nach der Fusion von einer marktbeherrschenden Stellung auszugehen.

Beim aktuellen Vorhaben könnte die Prüfung sogar noch komplizierter werden, denn vermutlich werden Gehe und AHD ein Konzept vorlegen, wie sie ihre Niederlassungsstruktur neu aufstellen wollen. Gemeinsam verfügen beide Konzerne über 42 Standorte, davon gehören Gehe 17 und AHD 25. Einige Vertriebszentren liegen nur wenige Kilometer auseinander. Das dichte Netz mit 25 kleineren Standorten steht bei AHD seit Jahren auf dem Prüfstand; kein anderer Großhändler hat mehr Vertriebszentren. Die Niederlassungen sind oft zentral gelegen, immer wieder sollen Interessenten an die Tür geklopft haben. Zum Vergleich: Phoenix kommt bei etwa doppeltem Umsatz mit 20 Niederlassungen aus. Auch bei Gehe sind längst nicht alle Vertriebszentren ausgelastet oder gar profitabel – auch hier gab es vor Jahren Gerüchte, dass Niederlassungen aufgegeben werden könnten.

Im Fall Anzag klagte die Sanacorp und zog bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) – am Ende ohne Erfolg. 2010 übernahm WBA-Patriarch Stefano Pessina die Mehrheit, zwei Jahre später wurden die restliche Anteile eingesammelt und das Traditionsunternehmen umbenannt und von der Börse genommen.

Zufrieden war Pessina aber nicht – weder mit der Entwicklung des Deutschlandgeschäfts, noch mit der Tatsache, auf dem wichtigsten europäischen Markt nur die Nummer 5 zu sein. Vor zwei Jahren gab es Gerüchte, dass er Alliance an McKesson abgeben und im Gegenzug Phoenix als Ganzes übernehmen wolle. Der Deal kam mangels Bereitschaft bei der Merckle-Familie nicht zustande – jetzt wurde mit der Fusion von Gehe und AHD ein Lösung gefunden, bei der Pessina sich nicht mit der Rolle des Juniorpartners zufrieden gibt, sondern den Lead übernimmt.

Was er dafür an McKesson zahlt, ist nicht bekannt. Das sogenannte „Contribution Agreement“ gilt als vertraulich und wird, da es sich formal nicht um eine bedeutende strategische Neuausrichtung des Geschäftsmodells handelt, auch im weiteren Prozess nicht öffentlich gemacht.

McKesson musste im Vorfeld der Einbringung allerdings sein deutsches Geschäft einer Werthaltigkeitsprüfung unterziehen. Im Ergebnis mussten 275 Millionen Dollar abgeschrieben werden, was rund einem Viertel des Firmenwerts entspricht. Zur Erinnerung: McKesson hatte den Stuttgarter Pharmahandelskonzern mit seinem gesamten Europageschäft im Herbst 2013 im zweiten Anlauf für 6,1 Milliarden Dollar gekauft.

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