Die Fusion von Gehe und Alliance Healthcare Deutschland (AHD) stellt den deutschen Großhandelsmarkt auf den Kopf. Seit der Ankündigung kurz vor Weihnachten hat es keine neuen Informationen dazu gegeben, auch die Belegschaft tappt im Dunkeln. Doch hinter den Kulissen laufen die Vorbereitungen: McKesson hat jetzt wegen des Deals einen dreistelligen Millionenbetrag abgeschrieben.
Die US-Mutterkonzerne McKesson und Walgreens Boots Alliance (WBA) rechnen damit, dass der Deal im zweiten Halbjahr 2021 über die Bühne geht. Ein Sprecher von McKesson verweist darauf, dass die Fusion unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Wettbewerbsbehörden steht. Beim Bundeskartellamt ist bislang kein Antrag in Bearbeitung – die erforderlichen Unterlagen könnten aber bald vorgelegt werden: Laut Konzernsprecher dauert es nach der Ankündigung bis zu sechs Monate, bis alle Details der Vereinbarung ausgearbeitet sind – Ende Juni müsste das Konzept also stehen.
Grundlage für den Zusammenschluss ist das sogenannte „Contribution Agreement“ vom 12. Dezember 2019. Da es sich laut McKesson nicht um eine bedeutende strategische Neuausrichtung des Geschäftsmodells handelt, wird die Vereinbarung wohl auch im weiteren Prozess nicht öffentlich gemacht. Auch bei WBA weist man darauf hin, dass die vertraglichen Regelungen vertraulich sind.
Nur so viel ist bislang bekannt: McKesson wird an dem Joint Venture, dessen künftiger Name bislang genauso unbekannt ist wie das Management, der Hauptsitz oder das Niederlassungsnetz, nur einen Anteil von 30 Prozent haben. Was Walgreens-Chef Stefano Pessina im Gegenzug anbietet – immerhin hat Gehe mehr Umsatz und ist auch strukturell besser aufgestellt – war bislang nicht zu erfahren.
Weil das Gemeinschaftsunternehmen bei McKesson damit künftig nur noch als Minderheitsbeteiligung ausgewiesen wird, musste der Konzern sein deutsches Geschäft im Vorfeld einer Werthaltigkeitsprüfung unterziehen. Im Ergebnis mussten 275 Millionen Dollar abgeschrieben werden, was rund einem Viertel des Firmenwerts entspricht. Zur Erinnerung: McKesson hatte den Stuttgarter Pharmahandelskonzern mit seinem gesamten Europageschäft im Herbst 2013 im zweiten Anlauf für 6,1 Milliarden Dollar gekauft. Beim Bundesgerichtshof (BGH) sind nach wie vor Klagen mehrerer Hedgefonds gegen die Höhe der Abfindung anhängig.
Derweil hat WBA sich im April in großem Umfang frisches Geld besorgt. Mit mehreren Großbanken wurden Finanzierungen über rund 5 Milliarden Dollar abgeschlossen, die „allgemeinen Unternehmenszwecken“ dienen sollen. Auch hier wird kein Bezug zu den Plänen in Deutschland genommen. Gut denkbar aber, dass ein Teil für den Deal mit McKesson genutzt werden soll.
Während die Finanzabteilungen beider Konzerne in den USA und Großbritannien also bereits mit den Vorbereitungen der Fusion von Gehe und AHD beschäftigt sind, warten hierzulande die operativ tätigen Einheiten auf Informationen. Arbeitnehmervertreter beklagen, dass die Verantwortlichen sich in absolutes Schweigen hüllen und die Mitarbeiter völlig im Unklaren sind.
Dies sorgt vor allem deswegen für Verunsicherung, weil es ein offenes Geheimnis ist, dass es eine Schließungswelle bei den Niederlassungen geben wird. Gemeinsam verfügen AHD und Gehe über 42 Standorte, davon gehören Gehe 17 und AHD 25. Einige Häuser liegen nur wenige Kilometer auseinander. Phoenix unterhält bei höherem Marktanteil weniger als halb so viele Vertriebszentren.
Beide Partner haben bereits erklärt, dass mit dem Joint Venture die Wettbewerbsfähigkeit des Geschäfts gestärkt werden soll: Neben der Qualität stünden vor allem effiziente Liefermöglichkeiten und „Skaleneffekte im deutschen Pharmagroßhandel“ im Vordergrund, hieß es. Schon vor der Ankündigung der Fusion hatten bei AHD Projektteams Kundenzahlen und Deckungsbeiträge, Touren und Verkehrsdaten analysiert. Bereits Anfang 2019 wurde im Zusammenhang mit dem öffentlich angekündigten Sparprogramm kolportiert, dass drei bis fünf Niederlassungen geschlossen werden könnten.
Sowohl Gehe als auch AHD wurden in den vergangenen Jahren immer neuen Sparrunden unterzogen; an der negativen Ertragslage geändert haben diese nichts. Vor allem an der ehemaligen Anzag wurde seit der Übernahme immer wieder herumgedoktert, stets mit dem Ziel, Profite zu generieren und abzuführen: Servicecenter wurden geschlossen, die Zentrale verkauft, Abteilungen aufgelöst. In der Summe fielen so seit 2010 knapp 400 Vollzeitstellen weg, immerhin ein Fünftel der Belegschaft.
Dass es im deutschen Großhandel weitere Veränderungen geben würde, ist seit Jahren ein Thema. Immer wieder gab es Spekulationen, die sich vor allem um die beiden US-Konzerne rankten. McKesson hatte Celesio 2014 im zweiten Anlauf übernommen, im selben Jahr übernahm Walgreens den britischen Pharmahändler Alliance Boots, was de facto aber eine inverse Übernahme war.
Es ist kein Geheimnis, dass beide Konzerne alles andere als zufrieden mit der Geschäftsentwicklung und Ertragslage sind. Rabattschlachten und Hochpreiser drücken auf die Marge. Die Honorarumstellung des Jahres 2011, die eigentlich ein gesundes Auskommen ermöglichen sollte, hat alles nur schlimmer gemacht. Ein Rückzug vom deutschen Markt ist keine Option: Immerhin geht es um einen Schlüsselmarkt in Europa. Vor zwei Jahren gab es Gerüchte, dass Walgreens-CEO Stefano Pessina bereit wäre, Alliance in Deutschland an McKesson abzugeben, wenn er dafür Phoenix als Ganzes bekommen könnte.
Aktuell kommt Phoenix auf einen Marktanteil von rund 28 Prozent, dahinter rangiert Noweda mit 22 Prozent. Die Genossenschaft aus Essen hatte durch die Zukäufe der Privatgroßhändler Kapferer und Ebert+Jacobi ihre Stellung deutlich ausgebaut. Dahinter rangiert Gehe mit etwas mehr als 15 Prozent; hinter der Sanacorp folgt AHD mit rund 13 Prozent. Den Rest des Marktes teilen sich die Privatgroßhändler Kehr, Max Jenne, Otto Geilenkirchen, Fiebig und Krieger sowie die auf Phoenix zurückgehende Hageda-Stumpf aus München und AEP.
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