Wie geht es weiter bei Alliance/Gehe? Diese Frage treibt nicht nur die Mitarbeiter der beiden Großhändler um, sondern auch Lieferanten, Mitbewerber und Apotheker. Solange das Kartellamt kein grünes Licht gegeben hat, wird von offizieller Seite nichts über die weiteren Pläne verraten. Doch es deutet viel darauf hin, dass die blaue Wanne bald verschwinden könnte.
Die beiden US-Mutterkonzerne Walgreens Boots Alliance (WBA) und McKesson wollen ihre deutschen Großhandelsaktivitäten in ein Joint Venture einbringen, in dem Anteile 70:30 verteilt sind. Die Fusion solle die Wettbewerbsfähigkeit stärken, die Qualität sichern und Skaleneffekte im deutschen Pharmagroßhandel ermöglichen, hieß es. Mehr Verlautbarungen zum Deal gab es offiziell nicht.
Unter welchem Namen und wessen Führung das Gemeinschaftsunternehmen auftreten soll, wird genauso wenig verraten wie Details dazu, wo es seinen Hauptsitz haben wird und welche Niederlassungen dem Rotstift zum Opfer fallen sollen. Die Geheimhaltung soll nicht nur den Eindruck zerstreuen, dass der Entscheidung des Kartellamts vorgegriffen wird, sondern auch Verunsicherung in der Belegschaft vorbeugen – wobei derzeit eher das Gegenteil der Fall ist.
Am Mittwoch wurde der Aufsichtsrat von Gehe informiert, am Tag darauf die Belegschaft. In Frankfurt trat sogar Ornella Barra vor die leitenden Mitarbeiter; die Großhandelschefin des Mutterkonzerns war eigens eingeflogen, um ein Zeichen der Stärke ins Team zu senden. Details wurden allerdings auch hier nicht verraten.
Dass Walgreens bei dem Deal den Hut auf hat, liegt auf der Hand: Obwohl Alliance den geringeren Marktanteil hat (13 vs. 15,5 Prozent), übernimmt der US-Mutterkonzern eine deutliche Mehrheit am Joint Venture. Da dem Beteiligungsverhältnis also nicht die Firmenwerte zugrunde liegen, ist davon auszugehen, dass Walgreens-CEO Stefano Pessina sich die zusätzlichen Anteile aus strategischen Erwägungen gesichert hat und dafür bezahlen wird.
Damit liegt aber auch nahe, dass die Traditionsmarke Gehe bald verschwinden könnte. Denn auch wenn Pessina als „Dealmaker“ so gut wie keine Dogmen kennt: An der Großhandelsmarke Alliance führt in seinem Imperium kein Weg vorbei, Traditionsunternehmen wie Unichem (Großbritannien), Holtung (Norwegen) oder eben Anzag (Deutschland) wurden schon vor Jahren zwangsumgetauft.
Dasselbe gilt für „Gesund leben“. Obwohl man in Stuttgart beim Partnerkonzept in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte gemacht hat, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis Barra & Co. die eigene Marke Alphega durchsetzen, die immerhin in ganz Europa gilt. Schon mit Vivesco wurde nicht viel Federlesen gemacht – auch wenn dies zunächst massiv Mitglieder kostete. Verantwortliche des US-Mutterkonzerns bestätigen die Pläne bereits indirekt, wenn sie auf die „großartigen Chancen“ des Deals zu sprechen kommen, „beispielsweise für Alphega“.
Die spannendere Frage ist aber, wie über Namen und Farben hinaus entschieden wird. Weder Gehe noch Alliance konnten in den vergangenen Jahren nennenswerte (oder überhaupt irgendwelche) Erträge ausweisen; in Stuttgart hat man aber immerhin erfolgreich Kundenverluste aufgefangen und den Marktanteil zwar nicht bei 18 Prozent wie vor DocMorris, aber zumindest bei knapp 16 Prozent wieder stabilisiert. Alliance hat dagegen kontinuierlich verloren; jene 16 Prozent aus dem Jahr 2010, die Verdi einst in Erinnerung rief, liegen mittlerweile in unerreichbarer Ferne.
Denn zum Marktanteils- kommt ein Identitätsverlust, zu dem zahlreiche personelle Wechsel und wiederholte Sparprogramme geführt haben. Nicht nur intern, sondern auch im Umgang mit den Kunden wurde so viel von der früheren Unternehmenskultur verspielt; viele Apotheker sehen in Alliance heute nicht mehr die alte Anzag, sondern nur noch einen Lieferbetrieb, der von fremden Mächten in Übersee gesteuert wird. Vier von sechs Mitgliedern von Vorstand und Geschäftsleitung sind weniger als zwei Jahre an Bord.
Ganz anders bei Gehe. Auch wenn in Stuttgart von zwei Jahren mit dem Abgang von André Blümel ein Generationswechsel vollzogen wurde: Das Team um Dr. Peter Schreiner und Andreas Thiede ist seit Jahren an Bord und kennt den Markt aus dem Effeff – hat aber gleichzeitig den Anspruch, Veränderungen proaktiv mitzugestalten: Während bei Alliance im März eine weitere Sparrunde angekündigt wurde, haben die Stuttgarter die Niederlassungen in Schwerin und Neubrandenburg mal eben durch eine neue in Rostock ersetzt.
Eine Schlüsselrolle bei der Entscheidung für Standorte und Köpfe könnte Wolfgang Mähr zukommen. Als Aufsichtsratschef von Alliance säße er ohnehin am Ruder, vor allem aber kennt wohl niemand beide Unternehmen so gut wie er: Bevor er bei Pessina anheuerte, war er lange Jahre im Vorstand von Celesio (heute McKesson) für das europaweite Großhandelsgeschäft zuständig. Er wäre wohl in der Lage, das Beste aus beiden Unternehmen herauszuholen – wenn man ihn denn lässt.
Pessina und Barra wären gut beraten, die bislang größte Fusion im deutschen Pharmagroßhandel vor Ort abwickeln zu lassen – schon um die zu erwartenden Marktanteilsverluste zu minimieren: Die Konkurrenz wird nicht lange auf sich warten lassen und Gehe/Alliance als großen Feind aus Übersee stilisieren. Noch immer wird der Name Celesio mit dem (gescheiterten) Versuch der Liberalisierung verbunden; tatsächlich hat niemand so viele Apotheken weltweit unter seine Führung gebracht wie Pessina. Knapp 14.000 sind es aktuell – die Zahl aller Inhaber in ganz Deutschland liegt nicht viel höher. Pessina mag kein „Fan von Apothekenketten“ sein. Er will ihr globaler König werden.
Auch die zu erwartende Schließungswelle bei den Niederlassungen wird in den kommenden Jahren immer wieder für Negativschlagzeilen sorgen: Phoenix unterhält bei höherem Marktanteil weniger als halb so viele Standorte. Da auch die Häuser von Gehe kaum in der Lage wären, das zusätzliche Volumen aufzunehmen, wird es vielerorts also auf Erweiterungen oder Neubauten hinauslaufen. Eine solche Operation am offenen Herzen ist bislang flächendeckend noch nie durchgeführt worden.
WBA, selbst mitten in einem weltweiten Sparprogramm, das ab 2022 jährliche Einsparungen von 1,8 Milliarden US-Dollar erbringen soll, muss in Deutschland massiv investieren. Einzig der Verkauf der alten Immobilien, die sich teilweise in attraktiven Innenstadtlagen befinden, könnte etwas Geld in die Kasse spülen.
Bis das Großprojekt Alliance/Gehe abgeschlossen ist, wird es also einige Zeit dauern. Dann aber, so die Hoffnung der Verantwortlichen, könnte im deutschen Großhandel eine weitere Effizienzstufe genommen sein. Dann werden vielleicht auch die Genossenschaften über eine Zusammenarbeit nachdenken müssen – und vielleicht hat Pessina dann auch schon den nächsten Deal eingefädelt.
Schon vor zwei Jahren hatte er ein Auge auf Phoenix geworfen und sich im Gegenzug bereit gezeigt, Alliance komplett an McKesson abzugeben. Diese Option ist mit dem Joint Venture nicht vom Tisch, auch Tauschgeschäfte in anderen Ländern wären denkbar, zumal sich WBA auch schon beim McKesson-Konkurrenten AmerisourceBergen (ASB) eingekauft hat. In Pessinas Welt der Allianzen ist immer eine Überraschung möglich. „Das ist noch nicht das Ende vom Lied“, hört man derzeit öfter, wenn es um den deutschen Pharmagroßhandel geht.
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