Frankreich: Apothekenmarkt soll für Amazon geöffnet werden Tobias Lau, 07.02.2020 14:08 Uhr
Die französische Regierung will den Versandhandel mit Arzneimittel erleichtern. Ein neuer Gesetzentwurf soll den Verkauf von OTC-Medikamenten über Plattformen ermöglichen – bisher ist das in Frankreich illegal. Die französischen Apothekerverbände laufen Sturm gegen das Vorhaben, sie befürchten, dass die geplanten Regelungen Amazon Tür und Tor öffnen.
Bisher haben die französischen Apotheker nicht so stark mit dem Online-Handel zu kämpfen wie ihre deutschen Kollegen: In Frankreich ist der Rx-Versand verboten und auch der OTC-Versand strenger reguliert als hierzulande. Zwar dürfen OTC-Arzneimittel online verkauft werden, dabei muss aber immer offen ersichtlich sein, dass der Verkauf über eine bestimmte Apotheke erfolgt. Das heißt: Eine Apotheke darf einen Webshop unter eigenem Namen eröffnen und von dort OTC- und Freiwahlprodukte verkaufen. Online-Versandhändler à la DocMorris, die auf den ersten Blick nicht zu einer bestimmten Apotheke gehören, sind damit nicht erlaubt.
Das soll sich nun ändern. Die Regierung von Präsident Emmanuelle Macron hat einen Entwurf für ein „Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung des öffentlichen Handelns“ („Accélération et simplification de l’action publique“, kurz: asap) vorgelegt, mit dem zahlreiche bürokratische Vorgänge beschleunigt, aber auch viele Vorschriften im Geschäftsleben vereinfacht werden sollen. So soll beispielsweise das Registrierungsverfahren für die praktischen Führerscheinprüfung oder die Eröffnung von Sparbüchern vereinfacht werden, aber auch Verwaltungsverfahren bei Anmeldung von Gewerben verschlankt und Regulierungen zu Gewinnbeteiligungsvereinbarungen gestrichen werden. Der Gesetzentwurf ist am Mittwoch durch das französische Kabinett gegangen und geht nun ins Parlament.
Leichter machen will es die Regierung mit dem Entwurf auch Apotheken – zumindest nach eigenen Angaben: Die Ermöglichung von Online-Plattformen solle ihnen ermöglichen „ihre Tätigkeit auszubauen und den Franzosen eine sichere Abgabe von Arzneimitteln zu ermöglichen“, so der Ministerrat in einer Pressemitteilung. Das ermögliche den Bürgern einen „schnelleren und kostengünstigeren Zugang zu diesen Grundbedürfnissen“.
Die Apothekerschaft sieht das offenbar grundlegend anders. „Das ist Wahnsinn“, zitieren französische Medien Gilles Bonnefond, Präsidenten des französischen Apothekerverbands USPO. „Das Gesundheitsministerium hat erst kürzlich entschieden, Schritte zu unternehmen, um den Verbrauch von Paracetamol und Ibuprofen zu reduzieren und jetzt ermutigen sie deren Online-Verkauf.“ Tatsächlich sind Paracetamol, Ibuprofen und ASS mit Jahresbeginn in Frankreich von Freiwahl- zu OTC-Produkten hochgestuft worden, um die Gefahr von Überdosierungen zu verringern.
Doch die Ängste der Apothekerschaft gehen weit über zu hohen Schmerzmittelkonsum hinaus. Die Reform werde den Weg frei machen für die „Uberisierung“ des Berufsstands, erklärte Bonnefond am Dienstag in der Tageszeitung Le Parisien. Dazu trägt auch eine weitere geplanter Änderung durch die Reform bei: Bisher musste das Arzneimittellager einer Apotheke immer Teil von deren Räumlichkeiten oder unmittelbar an diese angeschlossen sein. Eine Apotheke mit Versanderlaubnis kann also nur unmittelbar aus ihrem eigenen Lager versenden. Mit der Reform soll auch das geändert werden: Unter bestimmten Umständen sollen nun auch externe Lager ermöglicht werden, wenn zum Beispiel die Lagerräumlichkeiten in der Apotheke nicht ausreichend sind, aber – beispielsweise in Innenstadtlagen – eine Erweiterung entweder räumlich nicht möglich oder wirtschaftlich nicht zumutbar ist. Bonnefond befürchtet, dass dadurch Online-Handelskonzerne wie Amazon ein weiteres Einfallstor geöffnet wird, die Apothekenbindung zu umgehen.
Gesundheitsministerin Agnès Buzyn hingegen verteidigt die geplante Neufassung der Lagerregelung. Sie sei „eine notwendige Voraussetzung für die Entwicklung des Online-Handels“, insbesondere in städtischen Gebieten, in denen Gewerbeflächen knapper und teurer sind. Auch die Gefahr, dass Versandhandelskonzerne sich quasi hinten rum den Apothekenmarkt unter den Nagel reißen, sei nicht gegeben. Der Versandhandel mit Arzneimitteln bleibe schließlich an eine Apothekenkonzession gebunden.
Die Apotheker konnte sie damit offensichtlich nicht beschwichtigen. Nach Bekanntwerden des Entwurfs hatte der Apothekerverband eine Schnellumfrage unter seinen Mitgliedern durchgeführt. 4200 hatten innerhalb von drei Tagen geantwortet und die Ergebnisse scheinen eindeutig: „Mehr als 90% lehnen die Öffnung von Plattformen ab, die von Apotheken getrennt sind, und 97% geben an, bei Bedarf bereit zu sein zu kämpfen. Wie im Jahr 2014, als der damalige Wirtschaftsminister Emmanuel Macron das Apothekenmonopol brechen wollte.“, so Bonnefond.
Aus der Luft gegriffen sind die Ängste vor Amazon nicht: Dass der US-Konzern auch auf die europäischen Gesundheitsmärkte ein Auge geworfen hat, ist bekannt. In Großbritannien hat sich der Versandriese die Marke Amazon Pharmacy bereits schützen lassen. Dadurch stellt sich vor allem die Frage nach den regulatorischen Rahmenbedingungen in den einzelnen Ländern. Die jetzt geplante Reform würde es nach Ansicht ihrer Kritiker zumindest ermöglichen, dass sich der Konzern aus Seattle zumindest indirekt eine mächtige Stellung im Arzneimittelmarkt verschafft – ähnlich zu dem Konzept, das DocMorris und Shop Apotheke in Deutschland planen, könnte eine Beteiligung für Vor-Ort-Apotheken je nach Konditionen verführerisch bis unausweichlich werden.
Unterdessen arbeitet sich der Amazon-Konzern in den USA weiter Schritt für Schritt in den Gesundheitsmarkt vor. In Apotheken, bei Arzneimittelherstellern, Versicherern und Kliniken ist er bereits durch verschiedene Kooperationen vertreten. Als weiteres Menetekel für einen bevorstehenden Großangriff auf die Branche wurde deshalb Ende vergangenen Jahres die Übernahme des Start-ups Health Navigator gewertet, nach Pillpack die zweite Akquisition im Gesundheitswesen. Health Navigator soll voll in das neue Gesundheitsprogramm Amazon Care integriert werden; das wird seit September am Hauptstandort des Konzerns in Seattle erprobt und beinhaltet im Wesentlichen ein umfassendes telemedizinisches Angebot.