Nicht nur DocMorris stürzt sich auf Folgerezepte, auch andere Plattformen wittern das Geschäft damit. Dazu gehört auch Medikamendo. Das Prinzip: Patient:innen können sich dort anmelden und für bestimmte Medikationen ihr Präparat neu verschreiben lassen. Im Nachgang kann das Rezept auch direkt an eine ausgewählte Apotheke übermittelt werden. „Arzt – Rezept – Lieferung“, so der Claim. Die Umgehung der regulären Sprechstunde für solche Anliegen sowie die Übermittlung der über Medikamendo ausgestellten Rezepte sind sowohl manchen Ärzt:innen als auch Apotheker:innen ein Dorn im Auge.
Das System scheint patientenfreundlich, aber nicht ganz durchsichtig: Gelistet sind auf Medikamendo erst einmal alle Praxen Deutschlands samt sämtlicher Informationen, die sich einfach automatisiert gezogen wurden. Die Praxen müssen darüber nicht informiert werden. Durch ein Urteil zur Plattform Jameda ist bereits seit 2021 rechtlich geklärt, dass nichts dagegen spricht, sich diese Daten zu ziehen und die Praxen derartig zu listen. Ein Folgerezept kann aber nur erfolgreich „bestellt“ werden, wenn die verschreibende Ärztin oder der Arzt auf der Plattform angemeldet ist. Zudem müssen Patient:innen nachweisen, dass sie das Präparat schon einmal verschrieben bekommen haben.
Das Prinzip wirkt trotzdem simpel auf die Nutzer:innen: „So einfach geht’s“, wird auf der Website erklärt. Schritt 1: „Wählen Sie Ihr Medikament aus – Nennen Sie Ihre gewünschte Wiederholungsmedikation“, Schritt 2: „Wählen Sie Ihre Zustellart aus – Wählen Sie, ob Sie Ihre Medikamente in einer Partner-Apotheke vor Ort abholen möchten oder geschickt haben wollen.“ Schritt 3: „Apotheken-Wahl –Wählen Sie eine Partner-Apotheke, wo Sie Ihre Medikamente abholen können bzw. die sie Ihnen per Bote oder DHL schicken (abhängig von Ihrer PLZ).“
Laut Website ist alles medizinrechtlich geprüft durch Professor Dr. Jens Prütting und „hosted in Germany“. Nachdem das „Medikationskonto“ einmal angelegt ist und die Ärztin oder der Arzt mitmacht, wird jede weitere Folgemedikation einfach „mit 1-Click anfragt“.
Dirk Dalhoefer arbeitet als IT-Fachmann in einer großen Gemeinschaftspraxis im thüringischen Altenburg. Seit Ende vergangenen Jahres trudeln in der Praxis Anfragen von Medikamendo ein. Teilweise seien die Anfragenden auch tatsächlich Patient:innen der Praxis, doch da diese sich nie für eine Listung bei Medikamendo angemeldet habe, werden die angefragten Folgerezepte nicht ausgestellt. „Das ist ein Grauen. Das habe ich in dieser Perfektion noch nicht gesehen“, meint Dalhoefer.
Was den IT-Angestellten besonders aufregt: „Die Leute geben dort alle ihre Daten ein, ohne sich Gedanken darüber zu machen, wo das landet. Im Zweifelsfall ist ihnen nicht mal bewusst, dass sie sich gerade nicht auf der Seite der Praxis befinden.“ Die Annahme sei auch naheliegend, immerhin wurden für die Medikamendo-Praxisseiten alle Angaben der Praxis kopiert. „Und wo geht das eigentlich hin? Wer hat denn Interesse an den Daten?“
Auch das Finanzierungsmodell erschließe sich für den Betrachter nicht. Neben der Tatsache, dass kein richtiger Kontakt mehr mit den Patient:innen stattfinde, ist das für Dalhoefer das größte Problem. Für die Patient:innen, die einen solchen digitalen Service nutzen wollen, habe die Praxis übrigens ein eigenes Bestellportal für Folgerezepte.
Wird das Folgerezept jedoch bei einer Praxis beantragt, die teilnimmt, kann auch direkt eine Weiterleitung an eine Apotheke stattfinden. Zur Auswahl stehen – noch bevor das Rezept überhaupt ausgestellt ist – der „kostenlose Direktversand“ oder die „Abholung in der Apotheke“.
Den deutschlandweiten Versand übernimmt unter anderem Bienen-Apotheker Michael Grintz aus München. „Ich bin zufrieden mit der Professionalität und der Kommunikation von Medikamendo“, sagt dieser auf Nachfrage. „Wenn ich ein Rezept bekomme, dann beliefere ich das.“ Für ihn sei die Kooperation ein angenehmes Zusatzgeschäft, auch wenn er keine genauen Zahlen nennen möchte.
Er stehe den verschiedenen Wegen, wie Rezepte in die Apotheke kommen, aufgeschlossen gegenüber – solange das alles rechtens und das Unternehmen seriös sei. „Da kann ich bei Medikamendo nur Positives berichten.“ Unter anderem kämen die Rezepte via KIM bei ihm an. Gleiches berichtet auch Dalhoefer aus der Praxis in Altenburg. Dabei werden die Daten laut Medikamendo-CEO Hanno Behrens gar nicht via KIM versendet. Anfangs habe es mal eine Kommunikation zwischen Praxis und Apotheke via KIM gegeben, doch dieses Kommunikationsweg würde nicht mehr genutzt werden, so Behrens.
Laut Werbevideo ist der Medikamendo-Service „kostenlos für Arztpraxen und Patienten“. Zu den Abläufen dahinter erklärt die Website: „Wenn Ihr Arzt nach der Überprüfung Ihrer Daten Ihre Folgemedikation bestätigt, stellt er ein Rezept aus, das dann an die Apotheke geschickt wird. Ihnen werden dann in Abhängigkeit Ihrer Wahl die verordneten Medikamente in bis zu 2-3 Tagen von unserer Partner-Apotheke versandkostenfrei zugesendet bzw. zur Abholung bereit gehalten. Unsere Partner-Apotheke informiert Sie über den Zustell- oder Abholzeitpunkt.“
Auch das Hausarztprogramm HZV gewinne an Relevanz, so Behrens. Offenbar besteht hier auch eine Verbindung, denn während des Bestellprozesses werden Patient:innen auf diese Möglichkeit hingewiesen. Hierdurch würde sich das vermeintlich lästige eGK-Stecken erübrigen. Hinter dem Programm steckt die Hausärztliche Vertragsgemeinschaft (HÄVG), die auch bereits mit DocMorris kooperiert hat, um „durch digitale Prozesse den Praxisalltag zu vereinfachen“.
Offiziell liste Medikamendo 80.000 Ärzte, wohl wissend, dass hierbei natürlich nur ein Teil tatsächlich beim Service mitmacht. Wie viele teilnehmende Praxen es wirklich gibt, verriet Behrens nicht. Laut Website sind es 7000. Dass Rezepte an Praxen gehen, die Medikamendo gar nicht nutzen wollen, ist für ihn „total kontraproduktiv“, schließlich sei das nicht förderlich für das Patientenverhältnis zur Plattform.
Eigentlich ist es mit dem E-Rezept deutlich einfacher geworden, ohne eigenes Erscheinen in der Praxis auch ohne derartige Plattformen ans eigene Folgerezept zu kommen. Ein simpler Anruf genügt, teilweise fordern die Praxis ein einmaliges Erscheinen pro Quartal, um die elektronische Gesundheitskarte (eGK) zu stecken.
Trotzdem habe sich die Nachfrage seit Sommer vergangenen Jahres noch einmal bei Medikamendo erhöht. „Bei den Arztpraxen kommen Sie telefonisch oft einfach nicht durch“, so Behrens. Seine Plattform biete die beste Gelegenheit für Patient:innen, Folgerezepte für all ihre Praxen zentral auf einer Plattform abzuwickeln, ohne auf Einzellösungen zurückgreifen oder viele Telefonate führen zu müssen. Ein erheblicher Anteil der Nutzer:innen seien zudem Privatpatient:innen.
Zur Anzahl der eingebundenen Apotheken schweigt Behrens. Nur so viel: „In dem Moment, wo die Apotheke ausgewählt wird, wird diese Apotheke auch angefragt“. Daher widerspreche das System auch nicht der freien Apothekenwahl, da jede Apotheke die Möglichkeit habe mitzumachen. Über Medikamendo selbst würden auch keine Rezeptdaten geliefert. Vor dem offiziellen E-Rezept gab es da eine eigene Lösung, nun gehen die Daten den Standardweg über die Gematik. Damit sei man auch rechtlich auf der sicheren Seite – im Gegensatz zu anderen Konzepten, die ihren Service kürzlich nach Aufforderung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) einstellen mussten.
Ein paar wenige zusätzliche Infos liefert die Website dazu noch: „Alle Apotheken Deutschlands haben die Möglichkeit, sich Medikamendo.de anzuschließen. Diese Partner-Apotheken können Sie zur Abholung oder Zustellung Ihrer Medikamente auswählen. Alternativ können Sie Ihr Rezept in Ihrer Arztpraxis abholen, um dies bei Nichtpartner-Apotheken einzulösen. Für eine reibungslose Versorgung durch diese Apotheken übernehmen wir keine Gewähr.“
Die Bewertungen der Plattform lassen darauf schließen, dass Medikamendo nicht nur auf Wohlwollen stößt. Vermeintliche Ärzt:innen beschweren sich, dass auch ihre Praxen ungefragt aufgenommen wurden, das zeigen Bewertungen unter anderem auf Trustpilot. Auch vor den vielen von der Plattform gesammelten Daten wird dort gewarnt.
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