Förderprogramm: Almirall päppelt Derma-Startups Tobias Lau, 22.11.2019 09:11 Uhr
Almirall befindet sich mitten in der Neuausrichtung. Der ehemalige Sanofi-Manager Peter Guenter hat dem Dermatologie-Spezialisten einen Umbau verordnet: Konzentration aufs Kerngeschäft, größere Bedeutung von Forschung und Entwicklung sowie eine konsequente Digitalisierung des Unternehmens. Digitales Know-how wollen sich die Spanier dabei auch von außen zukaufen: Auf der Digitalkonferenz Frontiers Health in Berlin hat sich Almirall fünf Start-ups herausgepickt, die es mit einem Förderprogramm in Barcelona an sich binden will.
Farne, Monstera, ein Zitronenbaum und im Hintergrund Vogelgezwitscher: Die Sky Lounge des Kongresszentrums Axica am Brandenburger Tor ähnelte am Donnerstag eher einer botanischen Ausstellung als einer Digitalkonferenz. Denn der Name sollte Programm sein: Almirall ließ acht Start-ups um einen Platz im „Digital Garden“ pitchen. Der wiederum befindet sich im Barcelona Health Hub, einem Inkubator im ehemaligen Krankenhaus Santa Creu i Sant Pau. Den Start-ups verspricht Almirall aber nicht nur neun Monate in der Sonne, sondern vor allem Geld und Unterstützung. Bis zu 50.000 Euro kann jedes von ihnen erhalten, gekoppelt an bestimmte Meilensteine. Hinzu kommt ein Mentoring-Programm mit Mitgliedern der Almirall-Führungsriege, die Anbindung an bestehende Projekte des Unternehmens sowie der Zugriff auf die Datenbestände des Unternehmens, insbesondere die aus der klinischen Forschung.
Eine Hand wäscht dabei die andere: Almirall erhofft sich, technische Innovationen einzubinden und für das eigene Geschäft nutzen zu können. „Wir haben so die Möglichekit, innovative Start-ups zu unterstützen und gleichzeitig eine riesige Menge von ihnen zu lernen“, erklärt Guenter. Entsprechend sah die Auswahl der Unternehmen aus: Alles drehte sich um Hautkrankheiten und deren Diagnose. Das Telemedizinportal Derma2go beispielsweise bietet dermatologische Telekonsultationen ähnlich der App des Berufsverbands der deutschen Dermatologen (BVDD).
Anders als beim BVDD sorgt man sich bei Derma2go allerdings um die Erstattungsfähigkeit des Angebots. In der Schweiz habe Helsana – der größte Krankenversicherer des Landes – die Derma2go-Beratung kürzlich in den Regelleistungskatalog aufgenommen, berichtet Firmengründer Dr. Christian Greis. Dabei dürfte ihm erfahrene Schützenhilfe ein Nutzen gewesen sein: Das Marketing des Züricher Start-ups leitet Jens Apermann, Mitgründer von DocMorris und Gesellschafter von Zava, ehemals DrEd. Jeder zehnte Schweizer Dermatologe nutzt Derma2go laut Greis bereits.
Haut.AI, ein weiterer Gewinner, hat ein KI-basiertes Diagnosetool gebaut, das auf Grundlage des festgestellten Hauttyps automatisch Produktempfehlungen abgibt, und Intrepid Analytics hat eine Plattform entwickelt, die Angebot und Nachfrage bei klinischen Studien besser zusammenführen soll. Das Unternehmen UVisio wiederum verbindet Sonnendetektoren mit einem Beratungstool: Der Anwender macht vor dem Sonnenbad ein Foto seiner Haut und bringt einen Sonnendetektor an. Aus der Kombination der Daten erstellt das Tool dann personalisierte Empfehlungen für den Sonnenschutz des Anwenders. Autoderm wiederum hat mit einer Diagnosedatenbank einen Platz im Digital Garden gewonnen.
Nicht in den Garten geschafft hat es das spanische Unternehmen Legit, das mittels KI automatische Hautanalysen in Apotheken anbieten will: Der Kunde stellt sich vor einen Bildschirm, wird gescannt und erhält dann Ratschläge, welche Produkte sich für seinen Hauttyp am besten eignen. „Das Ziel ist, dass die Kunden in der Apotheke nicht 10, sondern 40 Euro ausgeben“, so Technikchef Alfonso Medela.
Die prämierten Start-ups sollen Almirall auf seinem Kurs unterstützen, sich stärker auf Wirkstoffforschung und digitale Innovationen zu konzentrieren. Vor einem Dreivierteljahr wurde dazu auf Guenters Initiative hin eine Digitalabteilung innerhalb des Unternehmens gegründet, das diese Anstrengungen koordinieren soll und für deren Leitung er die ehemalige MSD-Managerin Francesca Wuttke gewinnen konnte.
Gleichzeitig forciert Guenter eine Rückbesinnung auf die Wurzeln des Unternehmens. Denn um bei all der (geplanten) Innovation gezielt Meilensteine setzen zu können, will sich Almirall künftig verstärkt aufs Kerngeschäft konzentrieren: „Als ich ins Unternehmen gekommen bin, ging es um Dermatologie im Allgemeinen, jetzt haben wir einen Fokus auf medizinische Dermatologie“, sagt Guenter. Dazu wurde unter seiner Ägide im Frühjahr die Ästhetik-Sparte ThermiGen an das US-Unternehmen Celling Biosciences verkauft. „Wir haben die Sparte Ästhetik vollkommen abgestoßen“, erklärt der gebürtige Belgier am Morgen vor der Konferenz. „Wir dachten, es würden sich Synergien zwischen Dermatologie und Ästhetik ergeben, aber das hat sich als Trugschluss herausgestellt.“
Schon zuvor hatte sich Almirall bei Allergan bedient und für 550 Millionen US-Dollar deren Dermatologie-Portfolio mit den fünf US-Marken Aczone (Dapson), Tazorac (Tazarotene), Azelex (Azelainsäure), Cordran Tape (Fludroxycortid) und Seysara (Sarecycline) gekauft. Letzters ist in den USA seit Anfang des Jahres auf dem Markt und dort nach Angaben von Almirall das umsatzstärkste orale Antibiotikum gegen Akne. Guenters Ziel ist es nun, die Pipeline mit vielversprechenden neuen Wirkstoffen zu füllen. „Wir wollen, dass alles, was wir tun, auf Wissenschaft und Evidenz basiert, nicht auf wackeligen Versprechen“, sagt er. Der Star der Pipeline ist dabei der monoklonale Antikörper Lebrikizumab zur Behandlung von atopischer Dermatitis, der sich derzeit in der Phase-III-Studie befindet. Kommt es zu einer Markteinführung, ist es ein direkter Angriff auf Dupixent (Dupilumab) von Sanofi, Guenters Arbeitgeber für 22 Jahre.
Dass er den Weggang vom französischen Pharmariesen nicht bereut, daran lässt er keinen Zweifel aufkommen. Für den ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden von Sanofi Deutschland und späteren Vizepräsidenten der globalen Sparte Diabetes- und Herzkreislauferkrankungen scheint der Wechsel zu Almirall eine Selbstverwirklichung. „Ich bin froh, bei Big Pharma raus zu sein“, sagt er. Bei einem mittelgroßen Player wie Almirall – dessen Geschäft sich auf Europa und die USA beschränkt – habe man schlicht mehr Möglichkeiten, Wandel aktiv und zeitnah zu gestalten, während man in einem weltumspannenden Konzerngeflecht 80 Prozent seiner Arbeitszeit darauf verwende, verschiedene Entscheidungsebenen zu koordinieren und in Meetings zu sitzen.
Als potentiellen Übernahmekandidat durch einen Konzern vom Schlage Sanofi sieht er Almirall dabei nicht. Zwar ist das Unternehmen seit 2007 börsennotiert, aber 60 Prozent gehören weiterhin der Gründerfamilie, die das Unternehmen 1943 in Barcelona aus der Taufe gehoben hat. „Es ist de facto unmöglich, Almirall zu kaufen“, sagt Guenter. „Der Gründerfamilie geht es um langfristige Wertschöpfung, nicht um kurzfristige Einnahmen.“ Almirall bleibe ein globales Familienunternehmen.
Dass er in dem bei seinem Umbaukurs keinen Stein auf dem anderen lässt, kann man nicht sagen. So ist die OTC-Sparte weiter intakt, erst kürzlich zog sie von Frankfurt nach Reinbek und erhielt eine neue Leitung. Ciclopoli & Co. abzustoßen, sei nicht geplant, aber: „Wir planen keine Veräußerung einer unserer Einheiten, so lange sich nicht eine Riesenchance für unser Kerngeschäft eröffnet.“
Auch eine andere Cashcow ist bisher unangetastet: Sativex, das nach wie einzige zugelassene THC-Fertigarzneimittel. Das Mundspray gegen Spastiken bei Multipler Sklerose ist weit weg vom Kerngeschäft, doch dank guter Studien- und Marktlage ein attraktives Produkt – das noch den enormen Vorteil habe, preislich günstiger zu sein als Cannabisblüten für die Rezeptur, so Guenter: „Es ist schon eine ungewöhnliche Situation, dass das am besten studierte Produkt das günstigste ist.“ Nicht zuletzt die Änderung der Gesetzeslage im März 2017 kam Sativex hierzulande zugute. Von 2017 auf 2018 stieg dessen Absatz um 23,2 Prozent. Auch die Entwicklung des Gesamtumsatzes in Deutschland konnte sich dabei sehen lassen: Um 9,6 Prozent gingen die Umsatzerlöse von 2017 auf 2018 nach oben. Hauptreiber war das Psoriasis-Mittel Skilarence (Dimethylfumarat), das im Oktober 2017 auf den Markt kam – einer der ersten Outputs der Almirall-Pipeline unter Guenter.