Finalgon: Stark ist relativ Patrick Hollstein, 06.01.2016 08:02 Uhr
Bei Finalgon wird das Sortiment abermals umgestellt. Der Hersteller Boehringer Ingelheim hatte sich mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) über die Dachmarke gestritten. Jetzt wird die „Wärmecreme stark“ umbenannt – weil sie schwächer ist als die Salbe ohne den Zusatz. Dafür darf die Variante mit Cayennepfefferextrakt ihren bisherigen Namen behalten.
Finalgon wurde 1951 von der Boehringer-Tochter Thomae eingeführt. Die Salbe enthielt 4 mg Nonivamid und 25 mg Nicoboxil pro Gramm, trug den Zusatz „extra stark“ und wurde als „Heilkissen in der Tube“ beworben. Zusätzlich gab es jahrelang ein Liniment mit 1,7 beziehungsweise 10,8 mg pro Gramm. Später kamen die Creme in der geringeren Dosierung sowie ein Pflaster mit Cayennepfeffer und Methylsalicylat dazu. 2008 übernahm Boehringer schließlich vom Zulassungsdienstleister Diapharm die Rechte für eine Creme mit Cayennepfefferextrakt.
Doch bei den älteren Präparaten wurde die Nachzulassung für Boehringer zum Problem. Denn die Wirkung von Wärmepräparaten lässt sich in Studien nur schwer nachweisen: Sobald es auf der Haut heiß wird, wissen die Patienten, dass sie kein Placebo erhalten haben. In Ingelheim verzichtete man auf Studien – und auf Teile des Geschäfts. Schon im Jahr 2000 verschwanden Liniment und Pflaster.
Im Mai 2009 erzielte Boehringer vor Gericht einen Kompromiss: Der Hersteller gab die extra-starke Variante auf und brachte vier Jahre später ein in der Zusammensetzung identisches Nachfolgeprodukt auf den Markt, das allerdings nicht mehr bei Muskel- und Gelenkbeschwerden zugelassen ist. Stattdessen kommt die neue Salbe zur Förderung der Hautdurchblutung im Vorfeld von kapillaren Blutentnahmen überwiegend in Kliniken zum Einsatz.
Im Gegenzug durfte Boehringer die niedrig dosierte Creme unter der bisherigen Indikation im Sortiment behalten. Über deren Bezeichnung waren sich Hersteller und Behörde allerdings weiter uneins: Boehringer wollte die Creme in Wärmecreme umbenennen und den Zusatz „stark“ aufnehmen. Das BfArM sperrte sich: Einerseits ist die „starke“ Variante schwächer dosiert als die neue Salbe, andererseits gibt es keine Creme mit geringerer Dosierung der beiden Wirkstoffe. Anfang Dezember gab es vor dem Verwaltungsgericht Köln (VG) einen Vergleich: Das Produkt wird demnächst unter dem Namen „Finalgon Wärmecreme Duo“ eingeführt.
Schlussendlich wurde noch über die Capsicum-Variante gestritten. Boehringer wollte auch diese Creme in Wärmecreme umbenennen und den lateinischen Zusatz durch das Kürzel CPD (Cayennpfeffer-Dickextrakt) ersetzen. Das BfArM konnte damit nichts anfangen und lehnte den Antrag ab. Außerdem enthalte das Produkt einen anderen Wirkstoff, sodass die Dachmarke grundsätzlich irreführend sei, so die Behörde.
Hier entschied das VG zugunsten des Herstellers; die Begründung ist mittlerweile aus anderen Verfahren bekannt: Entscheidend sei nicht der Wirkstoff, sondern die Indikation – insbesondere wenn das klinische Profil ähnlich sei. In der Apotheke ändert sich aber nichts, denn Boehringer hatte sein Produkt bereits 2011 unter der neuen Bezeichnung eingeführt.
Finalgon kommt auf Erlöse von rund zehn Millionen Euro auf Basis der Apothekenverkaufspreise (AVP) und liegt nach Angaben des Herstellers mit einem Marktanteil von 50 Prozent im Bereich der Wärmecremes vorn, die allerdings insgesamt etwas in die Jahre gekommen sind. Wichtigste Mitbewerber sind Hexal (Advel Thermobalsam), Wörwag (Capsagamma dolor), Recordati (Dolobene Hot) und Mylan dura (Hot Thermo).
Insgesamt ist der Bereich der topischen Muskel- und Gelenkschmerzmittel hart umkämpft; zahlreiche Neueinführungen haben den Markt in Bewegung versetzt. GlaxoSmithKline (GSK) liegt mit Novartis unangefochten an der Spitze; laut Deutschlandchef Erhard Heck konnte der Klassiker im vergangenen Jahr zeitweise die Hälfte des Gesamtmarktes für sich beanspruchen. Weitere wichtige Marken sind Thermacare (Pfizer), Kytta (Merck), Doc (Hermes), ABC (Beiersdorf), Diclo-ratiopharm (Ratiopharm), Traumeel (Heel), Mobilat (Stada) und Proff (Dr. Theiss)
Nach Zahlen von IMS Health werden pro Jahr knapp 35 Millionen Packungen topischer Schmerzmittel in den Apotheken verkauft; der Umsatz zu Herstellerabgabepreisen (ApU) liegt bei knapp 200 Millionen Euro. Weniger als 4 Prozent entfallen auf verschreibungspflichtige Produkte – der Bereich gehört zu den Klassikern im Selbstzahlermarkt.