Gefahr für Arzneimittelversorgung

Dosieraerosole: Engpass durch EU-Verordnung?

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Berlin -

Der Einsatz fluorierter Treibhausgase soll bis 2050 schrittweise auf Null reduziert werden. So sieht es die EU-Richtlinie 2024/573 vor, die damit weitreichende Folgen für die Arzneimittelversorgung haben könnte. Denn teilfluorierte Kohlenwasserstoffe sind essenzieller Bestandteil von Dosieraerosolen – beispielsweise mit Salbutamol. Eine Umstellung auf Alternativen ist nicht nur zeit- und kostenintensiv, sondern könnte auch den Rückzug von Herstellern zur Folge haben.

Fluorkohlenwasserstoffe kommen in der Natur nicht vor, sondern werden zur Verwendung als Treibgas, Kühl- und Löschmittel hergestellt. Ein Beispiel ist Norfluran, das beispielsweise in Salbutamol-haltigen Dosieraerosolen als Treibgas eingesetzt wird. Der Vorteil: Norfluran ist nicht brennbar. Doch die sogenannten F-Gase gehören zu den Treibhausgasen und nehmen somit Einfluss auf den Klimawandel. Daher soll ihr Einsatz bis 2025 schrittweise heruntergefahren werden. Zu Beginn war die medizinische Verwendung von F-Gasen, wie in handausgelösten treibgasgetriebenen Dosieraerosolen (pMDI), vom Ausstieg ausgenommen. Doch dann wurden auch Dosieraerosole eingeschlossen.

Zustimmung kommt dafür von Pharma Deutschland. Doch weder kann einfach so auf ein anderes Treibmittel noch ein anderes Device umgestellt werden. „Der Gesundheitssektor ist für circa 5 Prozent der in Deutschland verursachten Treibhausgas-Emissionen (THG) verantwortlich“, teilt ein Sprecher von Pharma Deutschland mit. „Pharma Deutschland und seine Mitgliedsunternehmen sehen daher die Notwendigkeit zur nachhaltigen Transformation. Wir stimmen auch mit den grundsätzlichen Zielen der F-Gas-Versordnung überein.“ Allerdings dürfen Gesundheit und Nachhaltigkeit nicht gegeneinander ausgespielt werden. „Nachhaltig erfolgreich können nur Maßnahmen sein, die THG-mindernd wirken und gleichzeitig die Versorgung nicht gefährden.“

Lieferengpässe möglich

Doch es besteht die Gefahr, dass sich Lieferengpässe verschärfen können. Denn selbst wenn eine Alternative zu einem F-Gas gefunden ist, sind weitere Schritte nötig. So müssen Zulassungen angepasst, beziehungsweise neu beantragt und Produktionen umgestellt werden. Was es braucht, sind Investitionen, aber auch Zeit. „Um zusätzliche Lieferengpässe zu vermeiden, setzt sich Pharma Deutschland für Fristverlängerungen und Ausnahmeregelungen ein, um Marktverengungen und die Einstellung von Produkten zu vermeiden. Gelingt das absehbar nicht, können Lieferengpässe die Folge sein.“

Suche nach Alternativen läuft ...

Die Hersteller sind bereits auf der Suche nach Alternativen. „Es wird der Einsatz von verschiedenen Treibgasen geprüft, die deutlich weniger bis kaum Treibhausgas belastend sind und zugleich eine sichere Produktion (zum Beispiel hinsichtlich Entflammbarkeit) und Anwendung ermöglichen“, so der Sprecher.

... und kostet Millionen

Auf die Hersteller kommen Kosten für die Umstellung zu. Zwar ist eine pauschale Kostenabschätzung zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich, aber Insider rechnen mit einem hohen zweistelligen Millionenbetrag. Schließlich werden bei der Verwendung eines neuen Gases eine neue Zulassung, neue Produktanwendungstechniken und eine neue Produktionslinie benötigt. Wird auf beispielsweise ein brennbares Gas umgestellt, sind zudem Brandschutzbedingungen zu beachten. All dies erfordert Investitionen, denen mit Salbutamol ein „billiges“ Arzneimittel mit geringer Marge gegenübersteht. „Nicht auszuschließen ist, dass sich Hersteller gezwungen sehen, durch die zusätzlichen Belastungen Produkte oder ganze Produktionsstandorte in Frage zu stellen“, so der Sprecher.

Pulverinhalatoren keine Alternative für alle

Dosieraerosole kommen beispielsweise bei Asthma und COPD zum Einsatz. Treibgase finden zur feinverteilten Freisetzung des enthaltenen Wirkstoffes Anwendung. Bis 1996 wurden ausschließlich Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) verwendet. Doch seit 2006 werden hierzulande keine FCKW mehr in Arzneimitteln eingesetzt. Grundlage ist § 2 Absatz 2 der FCKW-Halon-Verbots-Verordnung. Mit der Entscheidung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gibt es seit dem 1. Januar 2006 keine Ausnahmegenehmigungen mehr. Damit war Deutschland das erste Land, das ganz auf FCKW in Dosieraerosolen verzichtet hat.

Umgestellt wurde auf teilhalogenierte Fluorkohlenwasserstoffe (HFKW). Das erste Dosieraerosol mit einem HFKW kam hierzulande 1996 auf den Markt. In den folgenden Jahren zogen andere Präparate nach. Enthalten war HFKW-134a – Norfluran. International findet zudem HFKW-227ea – Apafluran – Anwendung.

Eine treibgasfreie Alternative sind Pulverinhalatoren. Doch die sind nicht für alle Patientengruppen geeignet. Da die Inhalatoren in der Regel erst ab einem Atemzugvolumen von etwa 30L/min auslösen, sind sie beispielsweise für Babys, Kleinkinder, COPD-Patient:innen oder starke Asthmatiker:innen nicht geeignet.

Engpässe bei Salbutamol dauern an

Die Versorgungslage Salbutamol-haltiger Dosieraerosole ist derzeit ohnehin angespannt. Importe sicherten 2024 die Versorgung und haben einen „beträchtlichen Marktanteil“ abgedeckt, so das BfArM. Ob das auch in diesem Jahr möglich ist, war Mitte Dezember noch unklar.

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