Gier oder Gelegenheit, Notlösung oder Notwendigkeit? Die Übernahme von Eurapon durch DocMorris stellt Beobachter vor Rätsel. Warum kommt die niederländische Versandapotheke nach Deutschland, während der Rest der Branche über eine Abwanderung in umgekehrte Richtung nachdenkt? Und warum bindet sich der Mutterkonzern Zur Rose ein drittes Vertriebszentrum ans Bein? Erklärungsversuche.
Auf den ersten Blick macht der Deal für Branchenkenner keinen Sinn. Von einer „hemdsärmeligen Akquisitionspolitik“ ist die Rede. Nicht einen Cent hätte er in Eurapon investiert, sagt der Vertreter einer führenden Versandapotheke: Denn nur durch eine aggressive Preispolitik sei es dem Konkurrenten aus Bremen gelungen, den Umsatz von 23 Millionen Euro im Jahr 2013 auf 52 Millionen Euro zu verdoppeln. „Das ist für mich kein Geschäftsmodell, das ein Millioneninvestment rechtfertigt.“
Doch bei Walter Oberhänsli, CEO von Zur Rose, kamen die Zahlen offenbar gut an. Er braucht eine Wachstumsstory, denn Shop-Apotheke droht DocMorris den Rang abzulaufen. Zwar freut sich Zur Rose in den ersten neun Monaten über einen Umsatzzuwachs von 16 Prozent im Deutschlandgeschäft; gleichzeitig explodierten aber die Marketingkosten um 50 Prozent. Echten Schub können auf absehbare Zeit nur Übernahmen bringen. Pünktlich zum Börsengang wurde daher der Kauf eines deutschen OTC-Versenders angekündigt, der rund 10 Prozent mehr Umsatz in die Kasse spülen sollte. Im August sollen die Verträge dann unterzeichnet worden sein.
Das 0,8-Fache des Umsatzes soll Zur Rose für den Einstieg bei Eurapon gezahlt haben – das entspricht ungefähr dem Faktor, mit dem auch die schweizerische Gruppe beim Börsengang bewertet wurde. Der hohe Preis dürfte auch der Tatsache geschuldet sein, dass Inhaber Kubilay Talu eigentlich gar nicht verkaufen wollte. Nur Shop-Apotheke wurde beim Börsengang mit dem Doppelten des Umsatzes noch höher bewertet.
Vor allem aber fragen sich Beobachter, warum Oberhänsli nicht einfach den Kundenstamm, sondern auch die komplette Infrastruktur gekauft hat. Warum er sich ein drittes Logistikzentrum ans Bein bindet. Vielleicht war es aber auch gerade die erst 2014 bezogene Halle mit immerhin 4500 Quadratmetern, die Eurapon für Oberhänsli zum geeigneten Kandidaten machte. Zwar ist der ebenfalls 2014 eingeweihte Neubau von DocMorris in Heerlen mit rund 10.000 Quadratmetern Fläche auf bis zu 30.000 Pakete am Tag angelegt. Doch was, wenn DocMorris bereits am Anschlag ist? Einem Insider zufolge müssen in Heerlen nach wie vor viele Prozesse händisch erledigt werden. „DocMorris macht viele Dinge richtig, aber Automatisierung zählt nicht zu den Stärken. Die Skalierbarkeit stößt an Grenzen.“
So könnte es sich erklären, dass Eurapon gerade wegen der im Branchenvergleich modernen Technik für Oberhänsli besonders attraktiv war. Und dass der Firmenchef sich mit dem Umzug des Eurapon-Geschäfts Zeit lassen will: Vorerst sollen weiterhin in Bremen Päckchen gepackt werden, Talu soll Inhaber von Eurapon bleiben. DocMorris übernimmt zunächst lediglich den gleichnamigen Großhandel und damit „einen wesentlichen Teil der Logistik sowie die Medikamentenbelieferung für das Eurapon-Versandgeschäft“. Vorbild dabei ist Zur Rose selbst: Am Standort in Halle/Saale übernimmt eine Tochterfirma der schweizerischen Gruppe verschiedene Aufgaben für die gleichnamige Versandapotheke.
Das Fremdbesitzverbot sei nicht tangiert, sagt Oberhänsli zur geplanten Expansion in Deutschland. Jeder könne Lagerhallen kaufen, wo er wolle. Seiner Meinung nach ist es heute „Common sense“, dass Versandapotheken wichtige Teile ihres Geschäftsbetriebs auslagern. Dies sei gerichtlich überprüft und für rechtlich zulässig befunden. Tatsächlich hatte das Bundesverwaltungsgericht es 2011 abgelehnt, sich mit dem Modell von Zur Rose zu befassen. Seitdem hat es keine rechtlichen Vorstöße gegen eines der in der Branche mittlerweile weit verbreiteten Konstrukte mehr gegeben.
Vorerst soll auch die Marke Eurapon erhalten bleiben. Man werde später entscheiden, ob es diesbezüglich Änderungen geben werde oder nicht. Ein Umzug in die Niederlande ist für einen späteren Zeitpunkt vorgesehen – wenn keine Übergangslösung mehr benötigt wird. Damit werde ein Standort gewählt, der im europäischen Umfeld für eine international tätige Versandapotheke vorteilhaft sei, heißt es von Zur Rose.
Oberhänsli will auch weiter nach geeigneten Übernahmekandidaten Ausschau halten. Zwar könne man das operative Geschäft auch gewinnbringend führen; aber Ertrag spielt bei Zur Rose derzeit keine Rolle. Ausgaben für Übernahmen und Wachstum, die die Gruppe in die roten Zahlen bringen, sind eingepreist. Dass er allerdings noch einmal bereit ist, für schnelles Umsatzwachstum eine ganze Lagerhalle zu übernehmen, ist mehr als fraglich.
Dass der Konkurrent Shop-Apotheke jetzt wieder mit der Europa Apotheek zusammengeht, sieht Oberhänsli als Bestätigung seiner eigenen Strategie: „Wir haben immer gesagt, dass die Kombination aus rezeptpflichtigen und rezeptfreien Produkten den größten Sinn macht.“ Dass er nun einen noch stärkeren Wettbewerber hat, stört ihn nach eigenem Bekunden nicht. Denn sein Anspruch ist, den Apothekenmarkt auf den Kopf zu stellen.
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