Avastin und Lucentis sorgen seit Jahren für Schlagzeilen. Grund ist der erhebliche Preisunterschied der beiden Mittel. Nun mussten die Hersteller Roche und Novartis vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Niederlage einstecken: Die Absprachen könnten eine „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung darstellen, so die Richter. Die endgültige Entscheidung fällt der italienische Staatsrat.
Avastin und Lucentis wurden von Genentech entwickelt. Während das Bevacizumab-Präparat bei verschiedenen Krebsarten eingesetzt und vom Mutterkonzern Roche vertrieben wird, erhielt Novartis die Rechte für die Vermarktung des Mittels mit Ranibizumab zur Anwendung bei Augenerkrankungen wie AMD, DME, CNV und RVV. Hier liegt der Preis um ein Vielfaches höher, da nur geringere Mengen benötigt werden.
Zahlreiche Ärzte verordnen Avastin im Off-Label-Use; die Patienten haben aber laut Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) einen Anspruch auf Lucentis. Dass es keine Zulassungserweiterung für Avastin gegeben hat, ist nicht überraschend: Novartis ist noch mit 30 Prozent an Roche beteiligt. Im Jahr 2014 verhängte die italienische Wettbewerbsbehörde (AGCM) gegen Roche und Novartis jeweils eine Geldbuße von etwas über 90 Millionen Euro. Sie war der Ansicht, die beiden Hersteller hätten eine Absprache getroffen, um zwischen Avastin und Lucentis eine künstliche Unterscheidung herbeizuführen.
Nach Auffassung der AGCM sind Avastin und Lucentis für die Behandlung von Augenkrankheiten in jeder Hinsicht gleichwertig. Die Konzerne sollen Informationen verbreitet haben, die in der Öffentlichkeit Bedenken hinsichtlich der Sicherheit der augenheilkundlichen Anwendung von Avastin erzeugen sollten, um so die Nachfrage zu Lucentis hin zu verlagern. Nach Schätzungen der AGCM sollen dem italienischen öffentlichen Gesundheitswesen dadurch allein im Jahr 2012 Mehrkosten in Höhe von etwa 45 Millionen Euro entstanden sein.
Roche und Novartis klagten zunächst vorm Regionalen Verwaltungsgericht Lazio gegen die Geldbuße. Nachdem die Klage abgewiesen wurde, legten sie Rechtsmittel beim Staatsrat ein. In diesen laufenden Verfahren hat der Staatsrat dem EuGH Fragen zur Auslegung des EU-Wettbewerbsrechts zur Vorabentscheidung vorgelegt. Die Richter beschäftigten sich zunächst mit der Frage, ob Avastin überhaupt zum selben Markt gehört wie Lucentis.
Grundsätzlich gehören laut EuGH solche Arzneimittel zum selben Markt, die bei denselben therapeutischen Indikationen eingesetzt werden können. Würden Arzneimittel allerdings unrechtmäßig hergestellt oder verkauft, könnten sie nicht als substituierbar oder austauschbar zu regulären Produkten gelten. Jedoch verbiete das EU-Arzneimittelrecht nicht die Verschreibung von Arzneimitteln bei therapeutischen Indikationen, die nicht von ihrer Zulassung erfasst sind (Off label Use), und auch nicht ihre Umpackung zu diesem Zweck. Im aktuellen Fall sahen die Richter für die Behandlung von Augenkrankheiten zwischen Lucentis und Avastin ein konkretes Substituierbarkeitsverhältnis.
Die Absprache zwischen Roche und Novartis könne nicht als Nebenabrede zu ihrer Lizenzvereinbarung gerechtfertigt werden. Denn die Absprache sollte nicht die geschäftliche Selbständigkeit der Parteien beschränken, sondern das Verhalten Dritter, insbesondere von verordnenden Ärzten. Eine „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung liege vor, wenn zwei Unternehmen, die zwei konkurrierende Arzneimittel vertreiben, eine Absprache treffen, die darauf abzielt, irreführende Informationen über die Nebenwirkungen eines dieser Medikamente außerhalb seiner Zulassung zu verbreiten, um den Wettbewerbsdruck auf das andere Arzneimittel zu senken. Ob dies der Fall ist, muss nun der Nationalrat entscheiden.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich der EuGH mit Lucentis beschäftigt hat. Weil das Mittel in Durchstechflaschen mit 0,23 ml Inhalt vertrieben wird, für die Behandlung aber nur 0,05 ml benötigt werden, haben sich Herstellbetriebe auf das Abfüllen der für eine Injektion nötigen Menge spezialisiert. Auf diese Weise konnten die Therapiekosten deutlich reduziert werden.
Novartis vertrat die Ansicht, für die Herstellung von Fertigspritzen werde eine Zulassung benötigt, und klagte gegen den Herstellbetrieb Apozyt. Im April 2013 stellten die EU-Richter klar, dass eine Zulassung nicht erforderlich ist, wenn die Umfüllung nicht zu einer Veränderung des Arzneimittels führt und nur auf der Grundlage individueller Verordnungen vorgenommen wird. Die Bewertung des konkreten Falls überließen die Richter in Luxemburg aber den Kollegen in Deutschland.
Vor dem Oberlandesgericht Hamburg (OLG) kassierte Novartis eine Niederlage. Der Bundesgerichtshof (BGH) lehnte eine Nichtzulassungsbeschwerde von Novartis ab.
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