Grundsatzstreit um Apothekenplattformen

EuGH-Anwalt: DocMorris als Gesundheitsrisiko?

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Berlin -

Plattformen können schnell übermächtig werden, das zeigen Amazon & Co. Aber wie sieht es im Gesundheitswesen aus? Der Europäische Gerichtshof (EuGH) beschäftigt sich derzeit mit Doctipharma, einem mittlerweile zu DocMorris gehörenden Bestellportal für nicht verschreibungspflichtige Gesundheitsprodukte in Frankreich. In seinen Schlussanträgen warnt Generalanwalt Maciej Szpunar vor möglichen Gesundheitsrisiken – und vor einer Aushöhlung der Unabhängigkeit von Apothekerinnen und Apothekern.

In dem Prozess vor dem EuGH geht es um die grundsätzliche Frage, ob die Vermittlung von Arzneimittelbestellungen an Apotheken zulässig ist – oder ob Plattformen wie Doctipharma durch ihr Angebot gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern vielmehr selbst als Apotheke auftreten. Der Verkauf von Arzneimitteln über Bestellportale ist in Frankreich verboten, was bei entsprechender Auslegung gegen EU-Recht verstoßen könnte.

Laut Szpunar bietet Doctipharma als Vermittler zwischen Apotheke und Endkunde eine „Dienstleistung der Informationsgesellschaft“ gemäß EU-Richtlinie. Zwar sei der Fall anders gelagert als etwa bei Uber, da Doctipharma weder das Sortiment noch die Preise vorgebe. Außerdem hätten die Apothekerinnen und Apotheker ja auch jenseits der Plattform noch einen Geschäftsbetrieb.

Gesundheits- statt Verbraucherschutz

Doch laut dem Generalanwalt spielt die Frage nach dem Einfluss der Plattform bei der Bewertung des Modells von DocMorris im Grunde genauso wenig eine Rolle wie die bis zuletzt im Prozess nicht beantwortete Frage, ob Apotheken eine monatliche Pauschale oder eine vom Umsatz abhängige Gebühr bezahlen. Denn so oder so werde der Kontakt zwischen Verkäufer und Käufer über das Portal hergestellt.

Entscheidend sei, ob das Vermitteln von Bestellungen durch die Plattform spezifische Gesundheitsrisiken berge. Solange dies nicht nachgewiesen sei, verstoße das französische Makelverbot gegen EU-Recht. Prüfung und Abwägung seien Sache des Gerichts in Frankreich. Laut Szpunar kann der EuGH diese Frage nicht selbst beantworten, da allzu viele Details zum Geschäftsmodell von Doctipharma unklar und teilweise auch widersprüchlich seien.

Besonderes Vertrauensverhältnis

Doch der Generalanwalt gibt einen roten Faden vor mit Argumenten, die es in sich haben: Er verweist auf die Bedeutung des „Vertrauensverhältnisses, das zwischen einem Angehörigen der Gesundheitsberufe wie einem Apotheker und seinen Kunden herrschen muss“. Daher kann aus seiner Sicht schon der „Schutz der Würde eines reglementierten Berufs“ einen überragenden Grund des Allgemeininteresses darstellen, der im Zusammenhang mit dem Schutz der öffentlichen Gesundheit steht und damit eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen kann.

„Gleiches gilt im Hinblick auf die Zuverlässigkeit und Qualität der Arzneimittelversorgung im Einzelhandel“, so der Generalanwalt weiter. Er verweist auf das EuGH-Urteil zum Fremdbesitzverbot aus dem Jahr 2009. Arzneimittel seien Waren von besonderer Art, sodass besondere Maßstäbe anzusetzen seien.

Schutz vor übermäßigem Konsum

Szpunar erinnert auch daran, dass eine der relevanten EU-Richtlinien maßgeblich zum Ziel habe, das Eindringen von gefälschten Arzneimitteln in die Lieferkette zu verhindern. Aus seiner Sicht muss daher auch aus EU-Perspektive sichergestellt werden, dass die Versorgung der Öffentlichkeit mit Arzneimitteln „zuverlässig und von guter Qualität“ ist – und zwar zum Schutz der menschlichen Gesundheit und des menschlichen Lebens.

„Schließlich gehört meiner Meinung nach zum Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit auch die Verhinderung des irrationalen und übermäßigen Einsatzes nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel, was dem wesentlichen Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit entspricht“, so Szpunar weiter.

Und dann führt der Generalanwalt noch aus, dass die Mitgliedstaaten schon bei Unsicherheiten über das Vorliegen oder das Ausmaß von Risiken für die menschliche Gesundheit Schutzmaßnahmen ergreifen können – „ohne warten zu müssen, bis die Realität dieser Risiken vollständig klar wird“. Dasselbe gelte für Maßnahmen, mit denen ein Risiko für die öffentliche Gesundheit so weit wie möglich verringert werden kann.

Entscheidung bei Mitgliedstaaten

Zu guter Letzt betont Szpunar in seinen Schlussanträgen noch einmal explizit, dass bei der Beurteilung der Frage, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Bereich der öffentlichen Gesundheit beachtet wurde, die Autonomie der Mitgliedstaaten zu berücksichtigen sei: Die Gesundheit und das Leben von Menschen stünden gemäß den EU-Verträgen unter den zu schützenden Werten und Interessen an erster Stelle. Die Mitgliedstaaten könnten selbst festlegen, welches Schutzniveau sie für die öffentliche Gesundheit gewährleisten wollen und wie dieses Niveau erreicht werden soll.

Diese Ausführungen sind deshalb umso bemerkenswerter, als Szpunar 2016 auch die Schlussanträge im EuGH-Verfahren zur deutschen Rx-Preisbindung verfasst hatte. Damals war er zu dem Ergebnis gekommen, dass der einheitliche Abgabepreis kein geeignetes Mittel sei, um die öffentliche Gesundheit zu schützen. Es sei zwar nicht Sache des EuGH, sich in die nationale Gesetzgebung einzumischen. Doch es gebe mildere Mittel. Habe sich ein Mitgliedstaat aus freien Stücken für die Zulassung des Versandhandels mit Rx-Arzneimitteln entschieden, so unterliege diese Maßnahme als solche der Überprüfung auf Geeignetheit, Kohärenz und Stimmigkeit.

Bei DocMorris sorgen die aktuellen Schlussanträge nicht für Begeisterung: „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns zum laufenden Verfahren nicht äußern. Wir warten nach den Schlussanträgen nun auf das Urteil des EuGH“, so ein Sprecher auf Nachfrage.

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