Werbung für Versandapotheken

EuGH-Anwalt: Apothekenrecht ist Ländersache

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Berlin -

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) könnte demnächst eine Kehrtwende zum Thema Versandhandel hinlegen. In einem Verfahren um Werbemaßnahmen der Shop-Apotheke stellt es Generalanwalt Henrik Saugmandsgaard Øe ins Ermessen der Mitgliedstaaten, über Einschränkungen für den Apothekenmarkt zu befinden. Sofern sich diese etwa mit dem Gesundheitsschutz, der Sicherung der Versorgung oder auch nur dem Leitbild des Apothekerberufs rechtfertigen lassen, seien sie europarechtlich nicht zu beanstanden, so seine klare Botschaft. Auch zum Rx-Versandverbot hat er eine Meinung.

Der Fall

Verschiedene Apothekergruppierungen in Frankreich hatten die Shop-Apotheke verklagt, weil diese aus ihrer Sicht gegen verschiedene Vorschriften verstoßen hatte. Es ging um Werbeflyer, die an mehr als drei Millionen Verbraucher verteilt wurden sowie um Rabatte, die je nach Göße des Warenkorbs gestaffelt waren. Außerdem wurde der Shop-Apotheke vorgeworfen, dass ihre Kunden vor der Erstbestellung nicht den obligatorischen Fragebogen ausfüllen mussten. Sogar um Google-Ads wurde gestritten. Im Juli 2017 entschied das Handelsgericht in Paris gegen den Versender, das Berufungsgericht legte den Fall zur Vorabentscheidung in Luxemburg vor

Die Vorschriften

Im Grundsatz ging es um zwei Vorschriften aus dem „Code de la santé publique“: Einerseits ist Apothekern untersagt, Patienten zu einem missbräuchlichen Konsum von Arzneimitteln zu verleiten, andererseits dürfen sie nicht mit Methoden um Kunden werben, die mit der Würde des Berufs nicht vereinbar sind.

Die Schlussanträge

Laut Generalanwalt stellen die Vorschriften eine Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit dar. Dies gilt aus seiner Sicht umso mehr, da Apotheken mit Sitz im Ausland in besonderem Maße auf die Möglichkeit des Versandhandels und die Werbung dafür angewiesen sind.

Allerdings sei der Schutz der öffentlichen Gesundheit ein Ziel von allgemeinem Interesse, das auch in Artikel 36 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ausdrücklich anerkannt sei. Darüber hinaus habe der EuGH auch Maßnahmen zur Sicherung der Unabhängigkeit, Würde und Integrität eines reglementierten Berufs sowie zur Verhinderung eines übermäßigen oder falschen Konsums von Arzneimitteln als Rechtfertigung anerkannt.

Allerdings müssen Maßnahmen, die den freien Warenverkehr beschränken,

  • geeignet sein, um die angestrebten Ziele zu erreichen und
  • dürften nicht über das notwendige Maß hinausgehen.

Dies nachzuweisen, sei Aufgabe der Mitgliedstaaten – wobei sie Ermessensspielraum hätten und keinesfalls abwarten müssten, bis die befürchteten Risiken auch eingetreten sind. Vielmehr gehe es darum, konkrete Anhaltspunkte vorzulegen, die solche Risiken hinreichend plausibel machten. Dies zu prüfen, ist laut Generalanwalt Aufgabe des nationalen Gerichts. Er empfiehlt den Richtern, den Fall entsprechend zurückzuverweisen.

Hinweise

Auch wenn seine Empfehlung sich auf diese allgemeinen Erwägungen stützt, gibt der Generalanwalt einige Hinweise, wie die rigiden französischen Vorschriften aus seiner Sicht zu bewerten sind.

Würde des Apothekerberufs

So lässt sich aus seiner Sicht das Verbot übermäßiger Werbung mit dem Ziel, die Würde des Apothekerberufs zu schützen, rechtfertigen: Wie die französische, die spanische und die griechische Regierung sieht er die Gefahr, dass die großflächige Verteilung von Flyern per Postwurfsendung den Verbrauchern ein eher kommerzielles Bild des Apothekerberufs vermittelt und dass dies die öffentliche Wahrnehmung dieses Berufs verändern kann.

Schutz vor Arzneimittelkonsum

Darüber hinaus ziele die Werbung darauf ab, den Verkauf nicht nur von Gesundheitsprodukten, sondern auch von Medikamenten zu fördern – das Verbot diene damit auch dem Schutz vor unnötigem Arzneimittelkonsum. Der Generalanwalt weist darauf hin, dass OTC-Produkte keineswegs weniger Risiken haben als verschreibungspflichtige Präparate.

Kein totales Werbeverbot

Im Übrigen kämen die Vorschriften in ihrem Zusammenspiel auch keinem absoluten Werbeverbot gleich – es gebe ja noch Möglichkeiten wie Zeitungsanzeigen, so der Generalanwalt mit dem Hinweis, dass dies im konkreten Fall nicht entscheidungsrelevant war.

Kein OTC-Staffelrabatt

Laut Generalanwalt lässt sich der Staffelrabatt für OTC-Medikamente aus oben genannten Gründen rechtfertigen. Sofern davon auch freiverkäufliche Gesundheitsprodukte erfasst seien, gehe die Regelung über das erforderliche Maß hinaus.

Sicherung der Apothekendichte

Im Streit um bezahlte Anzeigen bei Google, die zwar keine konkrete Werbung enthalten, aber darauf abzielen, die Sichtbarkeit einer bestimmten Apotheke zu erhöhen, ging es auch um den Erhalt der flächendeckenden Versorgung. Die französische Regierung hatte auf die Notwendigkeit einer ausgewogenen Verteilung der Apotheken im ganzen Land verwiesen. Die Konzentration auf bestimmte große Versandapotheken werde die bereits in einigen Regionen zu beobachtende pharmazeutische „Wüstenbildung“ weiter verstärken. Selbst wenn man der Annahme folgen wolle, dass Versender die Versorgung in den am stärksten isolierten Gebieten eventuell erleichtern könnten, so gelte dies nur für OTC-Medikamente, aber nicht für Rx-Präparate, für die ein Versandverbot gelte.

Anders als Shop-Apotheke und EU-Kommission sieht der Generalanwalt keinen Grund, dass in dieser Frage ein kausaler Zusammenhang nachgewiesen werden muss. Wie bereits ausgeführt, ist aus seiner Sicht der Mitgliedstaat allerdings verpflichtet, eine Analyse zur Eignung und Notwendigkeit der Vorschriften vorzulegen und mit spezifischen Elementen zu versehen, die es ihm ermöglichen, seine Argumentation zu stützen. „Das nationale Gericht muss dann prüfen, ob die vorgelegten Beweise die Ansicht zulassen, dass diese Rechtsvorschriften das verfolgte Ziel erreichen können, und ob sie durch weniger restriktive Maßnahmen erreicht werden können.“

Den Vortrag der französischen Regierung hält der Generalanwalt nicht für ausreichend. Gleichzeitig räumt er aber ein, dass der – aus seiner Sicht unbestreitbare – Wettbewerbsvorteil der Apotheken vor Ort nicht als Argument pro Versandhandel gegen Maßnahmen zur Sicherung der flächendeckenden Versorgung herhalten darf. „Sofern diese Regierung das Bestehen dieses Risikos nachweisen und die angemessene Wahrscheinlichkeit ermitteln kann, dass eine bezahlte Notierung durch Erhöhung der Sichtbarkeit großer Online-Apotheken das Risiko erhöht, sollte das Verbot als angemessen und geeignet erachtet werden, dieses Risiko zu minimieren.“

Fragenbogen für Kunden

Dass Kunden nach den französischen Vorschriften vor der Erstbestellung einen Fragebogen ausfüllen müssen, hält der Generalanwalt für absolut gerechtfertigt. „In der Tat kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Online-Verkauf von Arzneimitteln angesichts des mangelnden Kontakts zwischen dem Apotheker und dem Patienten das Risiko eines falschen oder übermäßigen Verbrauchs von Arzneimitteln birgt.“ Wie bereits oben ausgeführt, hängt dieses Risiko nicht davon ab, ob es verschreibungspflichtig ist oder nicht.

Aus seiner Sicht stellt eine solche Anforderung sicher, dass jeder Patient auf die gleiche Weise geschützt ist – unabhängig davon, ob er Medikamente online oder in einer Apotheke vor Ort erhält. Gerade weil es online keinen direkten und visuellen Kontakt zum Patienten gebe, bestehe nicht die Möglichkeit, „ihn von sich aus zu beraten, wenn die Einhaltung seiner beruflichen Pflichten dies erfordert“.

Zwar bedeute die Beratungspflicht nicht zwangsläufig, dass ein Apotheker jeden Patienten, der in seine Apotheke kommt, auffordert, entsprechende Fragen zu beantworten. „Die physische Anwesenheit des Patienten bietet ihm jedoch zumindest die Möglichkeit, ihm die Fragen zu stellen, die er für erforderlich hält, um seine berufliche Beratungspflicht auf der Grundlage der Eigenschaften und sichtbaren Merkmale dieses Patienten zu erfüllen und sich von seinem Gesundheitszustand zu überzeugen.“ Der Zweck des Gesundheitsfragebogens bestehe daher darin, sicherzustellen, dass auch der Versandapotheker seine berufliche Beratungspflicht erfüllen könne.

Weniger restriktive Maßnahmen – etwa die Analyse der Bestellhistorie oder, wie von der EU-Kommission vorgetragen, der Verweis auf die Packungsbeilage – stellen aus Sicht der Generalanwalts keine geeigneten Alternativen dar. Er verweist darauf, dass schon der Fragebogen im Vergleich zum kompletten Versandverbot eine weniger einschneidende Maßnahme darstelle.

Blaupause für neue Verfahren?

Laut Generalanwalt ist es Sache des Berufungsgerichts, die offenen Fragen zu klären und in der Sache zu entscheiden. Folgen die Richter den Empfehlungen aus den Schlussanträgen, würden sie den Fall damit den Kollegen in Frankreich überlassen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte nach dem EuGH-Urteil zu Rx-Boni eine neue Vorlage gefordert, um ebenfalls die Hoheit über die Auslegung zurückzubekommen. Die Richter in Karlsruhe hatten nie die Notwendigkeit gesehen, das System der Preisbindung auf europäischer Ebene zu entscheiden. Dass der EuGH damals direkt in der Sache entschieden hat, hing damit zusammen, dass die Argumente aus seiner Sicht umfassend – aber unzulänglich – vorgetragen wurden. Dabei war der Fall sogar komplexer, weil es nicht nur um Werbung, sondern um die Preisbindung und damit auch um die Stabilität der sozialen Sicherungssysteme ging. Bei einem neuen Vorlagefragen könnte die Sache bestünde also die Chance, dass diese ebenfalls an deutsche Gerichte zurückverwiesen werden.

Ausblick

Für die Shop-Apotheke könnte der Streit trotzdem einen glimpflichen Ausgang nehmen. Denn gemäß EU-Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten die EU-Kommission und die anderen Länder über gesetzliche Neuregelung, die den grenzüberschreitenden Warenverkehr betreffen, informieren. Wenn dies versäumt wurde, wären sie nicht wirksam und dürften von den EU-Versender ignoriert werden.

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