Eucerin überführt Graumarkt-Apotheken Patrick Hollstein, 14.12.2020 10:27 Uhr
Nicht nur Apotheker ärgern sich, wenn Kosmetikmarken aus der Offizin im Drogeriemarkt auftauchen. Auch der Industrie ist der Graumarkt ein Dorn im Auge. Schon seit Jahren versucht der Eucerin-Hersteller Beiersdorf, den Abfluss von Ware zu stoppen. Mit versteckten RFID-Etiketten hat der Konzern jetzt tatsächlich ein Dutzend Apotheker überführen und zur Rede stellen können.
Regelmäßig berichten Apotheken darüber, dass ihnen per Fax der Ankauf von apothekenexklusiven Produkten angeboten wird. Absender sind nach Informationen von APOTHEKE ADHOC Firmen wie EuroRx oder der mittlerweile insolvente Zwischenhändler Teccom. Das ist nicht illegal, allerdings begeben sich Apotheken, die sich auf solche Offerten einlassen, auf dünnes Eis. Denn sie haben in der Regel einen Depotvertrag unterschrieben, der ihnen solche Geschäfte verbietet.
Da trotzdem immer wieder Ware außerhalb der Apotheke auftaucht, hat Beiersdorf bereits 2017 eine Projektgruppe ins Leben gerufen mit dem Ziel durch eine neue Technologie den Verkauf von Ware in den Graumarkt offenzulegen und zu stoppen. Nachdem der Konzern Jahre zuvor mit Privatdetektiven zusammengearbeitet hatte, sollten diesmal moderne Technik dabei helfen, die Zwischenhändler und ihre Partner zu überführen.
Mehr als 500.000 Packungen wurden seit Ende 2019 mit versteckten RFID-Chips versehen. Diese wurden in der Produktion in einem manuellen Prozess auf der Innenseite der Umkartons platziert. Anschließend wurde protokolliert, wohin die jeweiligen Einheiten verkauft wurden. Wenn diese Packungen nun irgendwo im Mass Market wieder auftauchen würden, sollte nachzuvollziehen sein, auf welchen Wegen sie dorthin gekommen sein mussten.
In mehr als 500 Drogeriemärkten suchten Mitarbeiter des Konzerns im Laufe des Jahres nach den Produkten. Mehr als 100 Treffer gab es – und mit der Zeit konnte das Team um Deutschlandchef Frank-Simon Basel und Sales Director Enno Martini tatsächlich ein Muster erkennen. „Wir waren bislang immer davon ausgegangen, dass es einige wenige große Lieferanten gibt, etwa Versender oder einzelne Großhandelsniederlassungen“, berichtet Martini. „Doch jetzt wurde klar, dass es eine ganze Reihe einzelner Apotheken waren, darunter auch namhafte.“
Die Apotheker mit den Ergebnissen der Recherche zu konfrontieren, war Aufgabe von Außendienstleiter Daniel Kiencke. Die meisten überführten Inhaber gaben die Verstöße sofort zu und die geforderte Unterlassungserklärung ab. Knapp 15 Apotheken seien es gewesen, sagt Martini. Den meisten von ihnen sei gar nicht bewusst gewesen, auf was sie sich eingelassen hätten. Allerdings habe es auch mehrere Fälle gegeben, bei denen die Lieferung für den Drogeriemarkt ein echtes Geschäftsmodell gewesen sei. Verkauf an Kreuzfahrtschiffe oder nach China seien hier zunächst die typischen Ausreden gewesen.
Überschlägig 2000 Arbeitsstunden hat das Team um Basel und Martini bislang in das Projekt gesteckt. War es das wert? „Wir sehen tatsächlich einen Rückgang an Ware im Mass Market“, freut sich der Eucerin-Hersteller aus Hamburg. „Oft ist das Angebot rudimentär und die Ware zwei bis drei Jahre alt.“ Rossmann und Müller sei es noch nie gelungen, eine konstante Warenversorgung zu gewährleisten. „Jetzt dürfte es gar keinen Spaß mehr machen.“
Abgeschlossen ist das Projekt noch lange nicht, in Hamburg will man weiterhin die Warenströme nachverfolgen und Verstöße gegen den Depotvertrag proaktiv verfolgen. Schließlich geht es auch um die eigene Glaubwürdigkeit: „Immer wieder haben wir in der Vergangenheit zu hören bekommen, dass wir selbst an den Mass Market verkaufen oder dies zumindest tolerieren. Aber das ist einfach nicht wahr“, so Martini. „Gerade in einer sich zunehmend digitalisierenden Welt ist es für uns als Hersteller extrem wichtig zu wissen, wo unsere Marke verkauft wird und wie sie dahin gekommen ist.“
Beide sind sich sicher, dass sein Unternehmen den Graumarkthändlern mit moderner Technik auch in Zukunft das Leben schwer machen kann. Was theoretisch bleibt, ist der Import von Ware aus dem Ausland – allerdings produziert Beiersdorf, anders als andere Hersteller, für jeden Markt in entsprechender Sprache beschriftete Ware. Eine weitere Bezugsquelle seien Bestände aus Apothekeninsolvenzen. „Aber wenn irgendwo dreistellige Mengen auftauchen, dann würden wir das merken.“ Denn mittlerweile sei auch der Großhandel viel aufmerksamer für das Thema geworden. Und selbst Apotheken meldeten sich jetzt aktiv, wenn ihnen wieder einmal zwielichtige Angebote ins Haus flatterten.