Phoenix: Vergessene Vollmacht Patrick Hollstein, 10.07.2017 10:05 Uhr
Im Streit mit der EU-Versandapotheke hat Phoenix die erste Runde verloren. Aber nicht, weil die Gegenseite die besseren Argumente hatte. Sondern weil die eigenen Anwälte im Prozess die Vollmacht vergessen hatten.
Am 28. Februar lag die langjährige Freundschaft zwischen Phoenix und der EU-Versandapotheke plötzlich in Scherben. An diesem Tag ordneten Dr. Bettina Kira Habicht und ihr Mann Sven Schumacher an, die angemieteten Räume im Vertriebszentrum in der Gubenerstraße mit Sack und Pack zu verlassen. Hier waren jahrelang die Sendungen der Versandapotheke konfektioniert und verschickt worden.
Zur selben Zeit fiel in der Buchhaltung des Großhändlers auf, dass eine Lastschrift für die Sammelrechnungen der 1. Dekade über 2,1 Millionen Euro zurückgegeben worden war. Nur weniger Abfragen später dürfte festgestanden haben, dass aus den Monaten Januar und Februar insgesamt noch 5,3 Millionen Euro offen waren. Dazu kamen 52.000 Euro für Waren, die Phoenix im selben Zeitraum an die Apotheke am Telering geliefert hatte und die ebenfalls noch nicht beglichen wurden.
Laut den im Dezember 2013 vereinbarten Verkaufs- und Lieferbedingungen stellte Phoenix die Ware mit einfachem, verlängertem und erweitertem Eigentumsvorbehalt zur Verfügung. Im Gegenzug hatte sich der Großhändler alle aus dem Weiterverkauf der Vorbehaltsware resultierenden Ansprüche gegen Dritte abtreten lassen. Habicht hatte sich verpflichtet, alle Rezepte ausschließlich bei der Noventi-Tochter ALG zur Abrechnung zu geben und Phoenix über jeden Wechsel des Rechenzentrums vorab zu informieren.
Nachdem die erste Lastschrift zurückging, griff bei Phoenix der Risikoplan. Der Großhändler widerrief gegenüber der Apotheke die Ermächtigung zur Einziehung der Forderungen aus dem Weiterverkauf der gelieferten Waren und zeigte gegenüber dem Rechenzentrum die Vorausabtretung der Ansprüche an. Parallel informierte der Konzern die anderen Rechenzentren über die Situation und setzte auch zahlreiche Krankenkassen in Kenntnis.
Habicht widersprach der Auszahlung von Geldern aus der Rezeptabrechnung an Phoenix; die Anwälte der Apothekerin forderten ALG auf, eingehende Beträge an die Apotheke auszuzahlen. Das Rechenzentrum ließ sich vom Großhändler die Globalzession nachweisen und kündigte an, die strittigen Gelder zu hinterlegen. Derzeit werden rund 700.000 Euro zurückbehalten.
Die Apotheke hatte sich aber nicht nur drei neue Lieferanten gesucht, sondern offenbar auch ein neues Rechenzentrum. Jedenfalls sind laut Phoenix seit Anfang März vertragswidrig keine Rezepte mehr bei ALG vorgelegt worden, die mit Ware des Großhändlers beliefert wurden. Insoweit bestehe die Gefahr, dass eine unbekannte Abrechnungsstelle eingeschaltet worden sei oder dass die Rezepte unmittelbar mit den Krankenkassen abgerechnet würden.
Der Konzern sah die Durchsetzung seiner Ansprüche in Gefahr und wollte Habicht gerichtlich verpflichten lassen, alle Rezepte ausschließlich bei ALG zur Abrechnung einzureichen. Außerdem sollte der Apothekerin verboten werden, sich irgendwelche Gelder von Krankenkassen oder Rechenzentren auszahlen zu lassen. Jeder Fall der Zuwiderhandlung sollte mit einem Ordnungsgeld von 250.000 Euro beziehungsweise sechs Monaten Haft belegt werden.
Doch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung blieb beim Landgericht Cottbus erfolglos. Denn ganz am Ende der mündlichen Verhandlung am 16. Mai wollten sich die Anwälte der Apothekerin von den Vertretern der Gegenseite die erforderliche Prozessvollmacht nach Zivilprozessordnung vorlegen lassen. Die Phoenix-Anwälte konnten das Dokument aber nicht vorweisen, weil sie es schlichtweg nicht dabei hatten. Obwohl es drei Tage später nachgereicht wurde, ließen es die Richter nicht mehr gelten, sondern wiesen die Klage wegen des Formfehlers ab.
Nun geht der Streit ins Hauptsacheverfahren; im November wird in Cottbus erneut verhandelt. Phoenix muss hoffen, am Ende doch noch an das Geld zu kommen. Kleiner Trost: Habicht muss nach eigenem Bekunden bei ihren neuen Lieferanten nicht bar zahlen oder Vorauskasse leisten.
Habicht weist die Forderungen zurück: Sämtliche Ware, die Phoenix geliefert habe, sei bis Anfang März veräußert worden. Bei der EU-Versandapotheke werde Ware nämlich immer erst dann bestellt, wenn die Bestellung eines Endkunden bereits vorliege. Dies genüge, um den Auftrag binnen 48 Stunden zu bearbeiten. Wenn sie bei anderen Rechenzentren angefragt habe, sei dies aufgrund der Lieferung von Ware durch andere Lieferanten erfolgt.
Die Apotheker macht ihrerseits Ansprüche in Millionenhöhe gegen den Großhändler geltend, die offenbar noch aus der Zeit ihres Vorgängers resultieren. Gerade noch rechtzeitig vor der Trennung hatten sich Habicht und Schumacher eine neue Bleibe gesucht. Ursprünglich war die Eröffnung einer neuen Apotheke im Hauptbahnhof vorgesehen, doch die Bauarbeiten zogen sich länger hin als erwartet. Kurz vor Weihnachten konnte am Telering ein neues Logistikzentrum samt Apotheke eröffnet werden. Innerhalb von anderthalb Monaten hatten die beiden Chefs mit Unterstützung des Beraters Detlev Bergner ein ehemaliges Verkaufshaus übernommen und umgebaut.
Zwischenzeitlich wurde es allerdings noch einmal eng, denn der Versandapotheke drohte das pharmazeutische Personal für die gesetzlich vorgeschrieben Endkontrolle auszugehen. Ehemalige Mitarbeiter machen den „mehr als unglücklichen Führungsstil“ dafür verantwortlich, dass seit Anfang des Jahres nahezu die gesamte Führungsspitze dem Unternehmen den Rücken kehrte. Schumacher sieht die Dinge anders: Die Auswechselung sei erfolgt, weil die Mitarbeiter „gegen uns gearbeitet haben“.
Die Turbulenzen schlugen sich auch im laufenden Geschäft nieder. Um 40 Prozent waren die Aufträge zeitweilig rückläufig; im Mai sollen rund 41.000 Aufträge bearbeitet worden sein nach 72.000 im Vorjahreszeitraum. Die Einbußen sollen laut Schumacher inzwischen wieder aufgeholt worden sein: „Im Zuge des Lieferantenwechsels gab es Rückgänge“, räumt er ein. Inzwischen laufe das Geschäft wieder normal. „Eine Insolvenz steht derzeit definitiv nicht zur Debatte“, so Schumacher.
Krach gab es offenbar auch mit dem Vorbesitzer. An Kurt Rieder beziehungsweise an dessen Familie muss Habicht nach wie vor Nutzungsgebühren für Domain und Marke zahlen. Weil der Apotheker aus Schwaig bei Nürnberg und seine Frau selbst in Insolvenzverfahren sind, wurden die Vermögenswerte an die Tochter übertragen. Schumacher zweifelt, dass das sauber lief.
Gemeinsam mit Bergner wurde auch das Modell des Zuzahlungsclubs reanimiert. Bei Valerevital können sich Mitglieder die Zuzahlung ganz oder teilweise erstatten lassen. Informationen, dass die gesamte Buchhaltung von Valerevital durch eine Mitarbeiterin Habichts geführt wird und nach denen das Modell exklusiv Kunden der Versandapotheke angeboten wird, weist Schumacher zurück.