Erkältungsmittel

SWR: Sinupret aus dem Kräuterladen Nadine Tröbitscher, 08.12.2016 12:37 Uhr

Berlin - 

War noch vor Jahren der Arzt die Informationsquelle Nummer 1 für Verbraucher, findet heute der Erstkontakt oft vor dem Fernseher statt. Der „aufgeklärte“ Patient kommt oft schon einen bestimmten Produktwunsch in die Apotheke. Aber was passiert in der Offizin, wenn kein Produkt gezielt verlangt wird? Wie gut ist die Beratung? Reporter des SWR-Magazins „betrifft“ haben den Test gemacht und zum Rundumschlag ausgeholt.

Insgesamt 20 Testkäufe haben die Reporter in Bayern und Baden-Württemberg durchgeführt. Das Thema: Die Frau kommt in die Apotheke und möchte etwas für ihren kranken Mann, der an Husten, Schnupfen, Kopf- und Gliederschmerzen leidet.

In der Sendung wurden drei Käufe nachgestellt. In einem Fall wurden Aspirin Complex, Wick Medinait, ein Rachenspray und eine pflanzliche Immunabwehr für 48,10 Euro abgegeben. Die zweite Apotheke verkaufte Boxagrippal, einen Schleimlöser und ein Vitaminpräparat für 41,24 Euro. Im dritten Fall wurden Aspirin Complex, ein Schleimlöser, ein Hustenstiller und ein Halsschmerzmittel für 37,72 Euro abgegeben. Weniger als 30 Euro zahlten die Testkäufer nie; nur in einem Fall wurde der Reporterin gar nichts verkauft. Sie bekam den Tipp: viel trinken und Bettruhe.

Die Beratung in der Apotheke stützte sich auch auf die Versprechen der Hersteller, die in der Werbung gemacht wurden. So fielen Begründungen wie: „Das pusht!“ oder „Macht fit für den Tag“ und „Befreit Sie vom Husten“.

Zu Wort kam auch Peter Sandmann von der bayerischen Apothekerkammer: Er bemängelte die Beratung zu den zu teuren Kombinationspräparaten. In seiner Apotheke gebe es an jedem HV-Tisch eine „5-Punkte-Liste“ – das Minimum an Beratung: „Zunächst sollte geklärt werden, für wen das Präparat ist. Dann sollte abgeklärt werden, ob die Selbstdiagose stimmt und ob eine Selbstmedikation überhaupt möglich ist. Wenn ja, welches Produkt kommt in Frage? Zum Abschluss sollten dem Kunden der Nutzen und die Anwendung des Präparates erklärt werden.“

Die Ergebnisse der Testkäufe wurden dann mit dem Arznei-Telegramm ausgewertet. Dr. Wolfgang Becker-Brüser und sein Team bewerten die von den Firmen eingereichten Studien zur Wirksamkeit der OTC-Medikamente. Die Kombinationspräparate bezeichnet er als „Schrotschusstherapie“: „Ein Schmerzmittel und ein Nasenspray alleine genügen.“ Für Grippostad merkt der Arzt und Apotheker an, dass Paracetamol zu gering dosiert sei und dass das Antihistaminikum nur bedingt die Nase freimache. Vitamin C sei unnötig.

Auch Aspirin Complex und Boxagrippal kamen nicht gut weg: „Auch wenn die enthaltenen Schmerzmittel ok sind, ist das Pseudoephedrin so langsam und unsicher in seiner Wirkung, dass es nicht zu empfehlen ist.“

Zudem hätten die Kombipräparate einen hohen Preis: Bei Boxagrippal koste die Tagesdosis 3,77 Euro – Ibuprofen und ein abschwellendes Nasenspray nur 75 Cent. Ersetze man Grippostad für 2,99 Euro pro Tag durch Paracetamol und ein abschwellendes Nasenspray, zahle man nur 51 Cent. Für Aspirin Complex lägen die Tagestherapiekosten bei 5,37 Euro, ein ASS-Präparat und ein Nasenspray kosteten hingegen nur 0,40 Euro. Becker-Brüser merkt auch die schädigende Wirkung der Kombinationspräparate an; gastrointestinale Störungen könnten durch die Einzelgabe der Wirkstoffe minimiert und besser kontrolliert werden.

Keiner der Hersteller wollte sich in einem Interview äußern, alle verwiesen auf Studien. Diese jedoch sind für Becker-Brüser nicht ausreichend. Vor allem bei den Hustenmitteln könne keine Untersuchung die Wirkung der Präparate belegen. In einer Studie wurden große Mengen Acetylcystein gespritzt. Dabei habe keine Verbesserung der Schleimlösung und des Schleimtransportes festgestellt werden können, so Becker-Brüser. Hexal verwies auf die vielen Kunden, die das Präparat kauften. Auch für Mucosolvan lägen keine Nachweise vor. Die Werbeversprechen für den Efeu-Saft Prospan hält Becker-Brüser für „Wunschdenken“. „Die Werbung ist irreführend.“ Engelhard wollte keine Stellungnahme abgeben.

Den Husten stoppt Silomat, glaubt man den Aussagen des Herstellers. Für Becker-Brüser ist das „ein großes Problem“: Husten sei ein Schutzreflex. Im Fall von Silomat gebe es keine Studien, die eine Wirkung belegten. „Der Saft stoppt den Husten nicht.“ Besser seien Honig und heiße Milch, jedoch nicht bei Babys, da bei ihnen Honig kontraindiziert sei.

Dr. Harald Matthes von der Klinik Havelhöhe hält auch das Unterdrücken von Entzündung und Fieber für kontraproduktiv. Fiebern sei ein natürlicher Abwehrprozess; werde er unterdrückt, ziehe sich die Krankheit in die Länge.

Bionorica-Chef Professor Dr. Michael Popp verteidigte Sinupret gegen die Kritik, das Präparat löse keinen Schleim: Sein Unternehmen arbeitete „mit höchster Evidenz und entsprechenden Wirksamkeitsbelegen“. So würden die Leitlininen der Fachgesellschaft der HNO-Ärzte erfüllt.

Zugelassen ist Sinupret bei Nasennebenhöhlenentzündungen, Popp allerdings verriet sein Geheimrezept: Er nimmt das Arzneimittel gleich am Anfang der Erkältung ein. Die SWR-Reporter kritisierten aber den Preis: 156 mg Kräuter für 10,20 Euro – kaufe man die gleiche Menge in einem Kräuterladen, zahle man nur 14 Cent. Ein Verkäufer durfte die Vorteile der Tees gegenüber den Dragees erläutern. Nicht berücksichtigt wurde, dass Sinupret ausgezogene Pflanzenextrakte enthält.

Becker-Brüser steht Sinupret skeptisch gegenüber. Für ihn kann nur eine schwache Linderung der Symptome bestätigt werden; für den Arzt und Apotheker ist diese Wirkung allerdings nicht rasch genug. Er verweist auf den Unterschied zwischen Wirksamkeit und Nutzen.

Wenn doch aber laut Experten alle Arzneimittel in der Selbstmedikation nicht wirksam sind, warum helfen sie dann einigen doch? Liegt das am Placebo-Effekt? Das ließen die SWR-Reporter von der Universität München untersuchen. 30 Personen wurde über eine Thermode an der Hand ein Hitzereiz zugeführt, der sich als Schmerz äußerte und im MRT-Scan in der Insula, dem Schmerzzentrum im Gehirn, sichtbar war.

Dann wurde den Testpersonen ein Scheinschmerzmittel verabreicht, allerdings mit unterschiedlicher Beschreibung: Placebo, Generikum oder Original. Obwohl alle Probanden nur eine Kreidelösung bekamen, war bei der „Original-Gruppe“ das Areal der emotionalen Empfindung im Gehirn nach neuerlicher Reizung besonders aktiv. Da die Testpersonen dem Produkt vertrauten, spürten sie weniger Schmerzen.

Die Apotheken verkauften im Test auch Vitamine, um das Immunsystem zu stärken. Professor Dr. Peter Paul Nawroth aus Heidelberg sah dafür keinen Anlass: Auch wenn der Gehalt an Vitamin C während der Erkältung abfalle, könnten Präparate ihn in der Phase nicht wieder ansteigen lassen. Nach einer 7-Tage-Kur mit Orthomol immun konnte zwar im Urin der Reporterin eine Veränderung nachgewiesen werden, nicht aber im Blut. Laut Nawroth eine normale Reaktion des Körpers – er scheidet das Vitamin einfach aus.

Nehmen gesunde Menschen Vitamine ein, sei das unnötig. „Sie könnten sich sogar schaden“, so Nawroth. „Eine zu hohe Selenzufuhr steigert das Diabetesrisiko, Vitamin C fördert Osteoporose und ein zu hohes Maß an Antioxidantien steigert die Gefahr einer Lungenembolie.“

„Nahrungsergänzungsmittel helfen nur der Wirtschaft und dienen nicht der Gesundheit der Menschen“, so das Ergebnis von „betrifft“. Der Gesetzgeber schütze die Patienten im Bereich der Selbstmedikation nicht. Der ehemalige IQWiG-Chef Professor Dr. Peter Sawicki beschrieb die Apotheken als teuer und die Medikamente als sinnlos und wahrscheinlich harmlos.

Fazit: Die Werbeversprechen sind unseriös und nutzen die Ängste und Sorgen der Patienten aus. Die Präparate bieten keine Heilung. Gesund wird, wer die Erkältung aussitzt, schläft und Suppe isst. Außerdem spart man Geld. Die effektivste Möglichkeit gegen eine Erkältung sei: Abwarten und Tee trinken.