Die Gematik hat den Auftrag für die E-Rezept-Infrastruktur an die Zur-Rose-Tochter eHealth-Tec und den IT-Konzern IBM vergeben. Leer ausgegangen ist ein deutsches Bewerber-Konsortium aus Noventi und Arvato. Die zeigen sich entrüstet, dass die Bundesregierung beim E-Rezept lieber auf US-Konzerne und Hollandversender setzt als auf deutsche Unternehmen.
Das E-Rezept kommt aus den Händen von Zur Rose und IBM. Die Gematik hat in der Ausschreibung über den Betrieb des E-Rezept-Fachdienstes den Zuschlag an IBM Deutschland vergeben. Die Deutschland-Tochter des US-Konzerns wiederum entwickelt den Fachdienst gemeinsam mit eHealth-Tec, einer Tochter des DocMorris-Mutterkonzerns Zur Rose, sowie drei anderen Partnern. Zwar ist der Zuschlag noch nicht veröffentlicht, doch aus internen Kreisen hieß es bereits in der vergangenen Woche, dass die Entscheidung gefallen sei. Die Vergabe des zweiten Ausschreibungsloses – dem für den Identity Provider – wird demnach am Mittwoch bekanntgegeben.
Mehreren deutschen Bewerbern wurde eine Absage erteilt, darunter Optica, eine Tochter von Dr. Güldener, sowie Noventi und der Bertelsmann-Tochter Arvato. Wie aus Industriekreisen zu hören ist, wurde das Noventi/Arvato-Konsortium wegen eines Formfehlers abgelehnt. Besonders bitter: Für IBM soll eHealth-Tec nur die zweite Wahl gewesen sein. Zuerst habe sich der Konzern an Noventi gewandt, doch das apothekereigene Unternehmen habe abgelehnt – eine hoheitliche Aufgabe wie die Infrastruktur für das GKV-E-Rezept gehöre in europäische Hände, sei die Auffassung des Unternehmens gewesen.
Noventi zeigt sich entrüstet über die Entscheidung. „Wir sind über diese Vergabe an international gesteuerte Konzerne sehr irritiert und enttäuscht, weil damit die bewährten deutschen Leistungserbringer zukünftig nur noch eine wesentlich reduziertere Rolle spielen und damit der bisher so hohe Standard der deutschen Gesundheitsversorgung großen Veränderungen unterliegen wird und möglicherweise nicht mehr gewährleistet werden kann“, erklärt Vorstandschef Dr. Hermann Sommer auf Anfrage.
Tatsächlich wird sich die Gematik zur Vergabe noch einige Fragen stellen lassen müssen: Was ist beispielsweise mit dem Thema Datenschutz? Erst im Sommer erhielten Anbieter von Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) eine Hiobsbotschaft vom Europäischen Gerichtshof (EuGH). Der kippte nämlich die europäisch-amerikanische Datenschutzvereinbarung Privacy Shield und machte es damit für europäische Anbieter von Gesundheits-Apps unmöglich, mit Dienstleistern zusammenzuarbeiten, die Daten in den USA hosten. Start-ups im Gesundheitswesen dürfen also aus Datenschutzgründen nicht mit US-Konzernen zusammenarbeiten, die Gematik als bundeseigenes Unternehmen aber schon?
Besonderes Gewicht erhalten solche Datenschutzfragen angesichts der Tatsache, dass erst jüngst wieder Kritik daran laut wurde, dass das E-Rezept innerhalb der Telematikinfrastruktur (TI) ohne Ende-zu-Ende-Verschlüsselung versendet wird. Innerhalb der sogenannten vertrauenswürdigen Ausführungsumgebung können die Dienstleister – also eHealth-Tec und IMB – innerhalb eines noch zu schaffenden gesetzlichen Rahmens Daten verarbeiten. Datenschützer sehen das äußerst kritisch: Denn wenn das Verordnungsverhalten der Ärzte vor der Belieferung ausgewertet werden kann, „dann sind theoretisch und praktisch auch andere zentrale Auswertungen möglich; zum Beispiel auch, welchen Versicherten welche Medikamente in welcher Menge verschrieben werden“, schlussfolgert der Verein Patientenrechte und Datenschutz.
In Kombination mit der nach Ansicht vieler Kritiker noch unklaren Lage zum Geltungsbereich des Zuweisungsverbots für digitale Plattform-Anbieter könnte das ein toxisches Gemisch bilden. Auch Noventi fordert deshalb mehr Schutz vor Datenabfluss und Zuweisungen durch die Hintertür. „Noventi wird weiterhin für die Sicherstellung des höchstmöglichen deutschen Datenschutzes und den Erhalt der flächendeckenden Gesundheitsversorgung auf mindestens gleichem Niveau wie heute zum Wohle aller Bürgerinnen und Bürger kämpfen“, so Sommer. „Wir fordern daher zusätzlich, dass das Zuweisungsverbot von Rezepten auf gesellschaftsrechtliche Verbindungen ausgeweitet wird.“ Die Sorge ist nicht weit hergeholt, wenn man sich die gerichtliche Niederlage einer anderen Zur-Rose-Tochter ansieht: Erst vorvergangene Woche hatte das Landgericht Aschaffenburg Teleclinic deshalb zurechtgewiesen.
IBM und eHealth-Tec sollen nun bis zum 1. März die Testumgebung für den Beginn der Zulassungstests für das E-Rezept, die Bestandteil der Produktzulassung sind, bereitstellen. Vier Wochen nach Zuschlag – der noch nicht offiziell verkündet wurde – sollen Konzeption und Planung stehen. Sind die von der Gematik abgenommen, soll bis spätestens Februar in vier Lieferungen die iterative Bereitstellung funktionaler Teillieferungen erfolgen, um eine frühzeitige entwicklungsbegleitende Systemintegration mit anderen TI-Systemen zu ermöglichen. Die Produktzulassung soll dann spätestens zum 1. Juni erfolgen, um eine produktive Inbetriebnahme spätestens zum 23. Juni zu ermöglichen. Eine Woche später, am 1. Juli, ist dann nämlich der offizielle Startschuss für das E-Rezept in Deutschland. In Branchenkreisen wird bereits stark in Zweifel gezogen, dass dieser Zeitplan noch zu halten ist.
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