Grundlagenforschung und Start-up-Kultur

Endosane: Cannabis-Fertigarzneimittel soll Psychopharmaka revolutionieren

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Berlin -

Cannabis etabliert sich immer weiter als therapeutische Option in Fällen, in denen konventionelle Medikamente nicht mehr weiterhelfen. Als Fertigarzneimittel zur Erstlinientherapie wird das pharmazeutische Potenzial der Pflanze allerdings bisher fast gar nicht genutzt, zugelassen sind nur Sativex gegen Spastik bei Multipler Sklerose und Epidiolex beim Dravet- und Lennox-Gastaut-Syndrom. Die Sanity Group will nun den großen Wurf wagen: Unter dem Namen Endosane hat sie eine Tochtergesellschaft gegründet, die bis 2025 cannabisbasierte Psychopharmaka zur Behandlung neuropsychiatrischer und psychiatrischer Erkrankungen auf den Markt bringen will. Die angedachte Funktionsweise ist revolutionär.

Endosane will mehrere Medikamente entwickeln, die am menschlichen Endocannabinoidsystem ansetzen, um psychische Krankheiten wie Schizophrenie oder Angststörungen zu therapieren. Bereits für 2025 ist die erste Zulassung geplant – denn die neugegründete Tochtergesellschaft fängt nicht bei null an. In der Indikation Schizophrenie ist die Forschung und Entwicklung bereits so weit, dass erste Phase-II-Daten vorliegen, erklärt das Unternehmen.

Dahinter stehen insbesondere zwei renommierte Wissenschaftler, die die Sanity Group ins Boot geholt hat: der Neurologe und Psychiater Professor Dr. Markus Leweke und die Neurobiologin Dr. Cathrin Rohleder. Leweke und Rohleder bringen jahrzehntelange Grundlagenforschung zur Rolle des menschlichen Endocannabinoidsystems bei der Entstehung psychischer Erkrankungen in das Unternehmen ein. Leweke ist Professor an der University of Sydney und langjähriger Leiter des Exzellenzzentrums für Psychiatrie- und Psychotherapieforschung am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, an der er heute noch mit seiner Arbeitsgruppe wissenschaftlich tätig ist. Gemeinsam mit Rohleder hat er Daten erhoben, die auf einen deutlichen Zusammenhang verschiedener Störungsbilder mit dem Endocannabinoidsystem schließen lassen.

Mit den 35 Millionen Euro im Rücken, die die Sanity Group bei ihrer letzten Finanzierungsrunde im Sommer eingesammelt hat, wollen die beiden Wissenschaftler und das Team um sie herum nun ihre Erkenntnisse in die Entwicklung von Arzneimitteln umwandeln, die sich grundlegend von bisherigen Psychopharmaka unterscheiden. „Damit setzen wir bei der Behandlung dieser Erkrankungen, also insbesondere bei Schizophrenie, deutlich näher an der Ursache an als die aktuellen Medikamente“, sagt Leweke. „Wir betrachten das Endocannabinoidsystem als möglichen Modulator des neurophysiologischen Gleichgewichts“, erklärt Endosane-Geschäftsführer Max Narr. „Viele Psychopharmaka gehen üblicherweise hauptsächlich auf die sichtbare Symptomatik der jeweiligen Erkrankung und weniger auf die Regulierung der Ursache. Bei Antipsychotika der ersten Generation werden beispielsweise hauptsächlich die Dopaminrezeptoren geblockt.“

Nicht nur würden die Arzneimittelkandidaten von Endosane erstmals an der Ursache angreifen, sondern sie würden deutlich weniger schwerwiegend in das neurophysiologische Gefüge der Patient:innen eingreifen als aktuell verfügbare Medikamente, so das Versprechen. Deren Nebenwirkungsprofil ist äußerst einschneidend für die Patient:innen und reicht von massiver Gewichtszunahme über Kognitionsstörungen bis zu erektiler Dysfunktion bei Männern – und das bei einem durchschnittlichen Erkrankungsalter in den Zwanzigern, so Narr. „Sollten sich die bisher erhobenen klinischen Daten im weiteren Verlauf der Phasen II und III bestätigen, wären wir in der Lage, ein Medikament mit einem erheblich verbesserten Nebenwirkungsprofil anzubieten“, erklärt Rohleder, die die Durchführung der klinischen Entwicklung koordiniert. „Das wäre ein Quantensprung an Lebensqualität für Betroffene.“

Die bisherigen Phase-II-Daten würden ein sehr günstiges Nebenwirkungsprofil aufzeigen, sagt Jan Witte, Medical Director der Sanity Group – das Unternehmen sei deshalb äußerst optimistisch, dass seine Kandidaten zur Marktreife gelangen. „Das ist keine abstrakte Idee, sondern wir können konkret benennen, wo wir sind“, so Witte. „Wir sind an einem Punkt, an dem wir sagen können, dass wir einen sehr heißen Kandidaten haben und das ist kein Orphan Drug, sondern ein Bereich mit sehr großen Verordnungszahlen. Bei so einer Indikation hat man ein riesiges Marktpotenzial.“

Narr geht davon aus, dass das Unternehmen im Erfolgsfall Multimilliarden-Umsätze generieren wird, das globale Volumen des Schizophrenie-Marktes werde auf bis zu 14 Milliarden US-Dollar geschätzt – allein in Deutschland liege die geschätzte Inzidenz bei 16 bis 35 Fällen auf 100.000 Menschen. Dennoch: Die Entwicklung sei alles andere als ein Selbstläufer. „Statistisch gesehen gibt es bei der Entwicklung von Psychopharmaka das größte Risiko zu scheitern“, sagt Narr. „Das ist die Herausforderung des Geschäfts, aber es eröffnet für Unternehmen wie uns auch enorme Möglichkeiten, da wir agiler und deshalb anders in der Lage sind, auf Opportunitäten einzugehen.“

Denn Endosane sei kein klassischer Pharmakonzern mit festen Strukturen, sondern bestehe vielmehr aus einem internationalen Team an verschiedenen Standorten, das seine Arbeit größtenteils digital koordiniert: So arbeitet Leweke mit einem Teil des Teams von Sydney aus, Rohleder koordiniert von Köln aus die Entwicklung inklusive der klinischen Studien und Narr, der mehrere Jahre für die Baker McKenzie Pharmaceuticals & Biotech Group gearbeitet hat, bevor er 2020 zu Sanity wechselte, managt von Berlin aus den organisatorischen und finanziellen Rahmen. „So etwas wäre vor 20 Jahren noch nicht möglich gewesen“, sagt er. „Wir können auf Ressourcen und Infrastruktur der Sanity Group zurückgreifen und haben beispielsweise Zugang zu den Market-Access-Spezialisten, aber Endosane ist eine eigene Entity, die von Tag eins global aufgestellt ist.“

Mit der größeren Flexibilität geht aber auch ein größeres Risiko einher, nicht nur operativ, sondern auch finanziell. „Wir müssen uns auch strategisch aufstellen, weil eine Finanzierung alleine durch die Sanity Group langfristig nicht realistisch ist“, sagt Narr. Für die Phase-III-Studie werde Endosane auf spezielle Investoren zugehen müssen und sollte ein Zulassungsantrag positiv beschieden werden, sei man sich klar, dass die Distribution höchstwahrscheinlich nicht durch das Unternehmen selbst erfolgen kann. Dafür sei die Indikation zu groß. „Irgendwann wird es also auf Partner herauslaufen“, so Narr. „Wir sind aber sehr selbstbewusst, dass wir nicht das Schicksal vieler Spin-offs von Universitäten erleiden und unser Kandidat von einem großen Pharmakonzern für relativ geringes Geld aufgekauft wird und dann im Schrank verschwindet.“

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