Versandapotheken

Testkauf als Waffe

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Berlin -

Etwa hundert Testkäufe hat die Europa Apotheek Venlo (EAV) im Oktober 2012 in 25 bayerischen Apotheken durchführen lassen. Offenbar wurden gezielt die Apotheken von Standesvertretern des Bayerischen Apothekerverbands (BAV) sowie der Landesapothekerkammer (LAK) auf die Probe gestellt. Weil sich seitdem mehrere Gerichte mit den Ergebnissen und Hintergründen der Testkäufe befassen, wollen sich beide Lager derzeit nicht zum Thema äußern. Die Einschätzungen der Gerichte legen jedoch nahe, dass es in Bayern eine regelrechte Schlammschlacht um die Testkäufe gab.

Innerhalb von drei Tagen hatte die EAV systematisch Testkäufe in Apotheken durchführen lassen. Die falschen Kunden verlangten etwa das Kontrazeptivum Belara, ohne ein Rezept vorzulegen. Auf die „OTC-Höchstmenge“ zielten die Wünsche nach fünf 12er-Packungen Imodium Akut Lingual oder fünf 2er-Packungen Formigran ab. Im vierten konstruierten Fall sollten die Apotheker auf die mögliche Wechselwirkung zwischen Prostagutt forte und Hoggar Night hinweisen.

Die Testkäufer waren unter anderem in der Linden-Apotheke von Kammervize Ulrich Koczian. Obwohl dessen Mitarbeiterin tatsächlich einen Blisterstreifen der Pille sowie eine 50er-Packung Imodium Lingual ohne Rezept abgab, wurde die Klage der EAV am 25. April von dem Oberlandesgericht München (OLG) abgewiesen. Die Begründung der Richter: Die Testkäufe seien nur durchgeführt worden, um Druck auf die Apothekerorganisationen auszuüben.

Denn in der Vergangenheit hatte der Verband erfolgreich gegen das Bonusmodell der EAV geklagt. Weil diese trotzdem weiter Rx-Boni gewährte, hatte der BAV Ordnungsgelder in einer Gesamthöhe von rund 600.000 Euro durchgesetzt – und zwar ebenfalls vor dem 29. Zivilsenat des OLG München. Die Richter sind davon überzeugt, dass die Versandapotheke dies zum Anlass genommen hatte, die groß angelegt Testkaufaktion durchzuführen.

Die Abmahnungen seien unter Berücksichtigung der Gesamtumstände missbräuchlich und damit unzulässig, heißt es in der Urteilsbegründung. Die EAV habe im Verfahren keinen sachlich überzeugenden Grund dafür angegeben, warum die Testkäufe auf Bayern beschränkt waren und sich auf Funktionäre von Kammer und Verband konzentriert hätten.

Deutlich wurden die „sachfremden Motive“ der EAV laut Gericht aber noch durch etwas anderes: Die Versandapotheke hatte dem Verband nach den Testkäufen ein Vergleichsangebot unterbreitet. Danach hätte die EAV die Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz auf sich beruhen lassen, wenn der BAV seinerseits auf seine Ansprüche und Rechte verzichtet hätte und nicht mehr gegen die Versandapotheke vorgegangen wäre. Die Richter sahen darin den Versuch der EAV, sich „eine mit Druckpotential versehene Verhandlungsposition“ zu verschaffen.

Allerdings hat der 6. Zivilsenat desselben Gerichts einen weiteren Fall nicht so eindeutig bewertet: In diesem Verfahren zu den Testkäufen sahen die Richter keinen eindeutigen Beweis für einen Rechtsmissbrauch. Zwar spreche das Vorgehen der Versandapotheke dafür, „dass die Aktion auch als Gegenschlag, als Retourkutsche konzipiert war“, heißt es in der Begründung des Urteils von 23. Mai. Ob sachfremde Interessen jedoch die eigentliche Triebfeder gewesen seien, ließe sich anhand des bekannten Sachstandes nicht beweisen.

Die EAV hatte im Verfahren vorgetragen, auch systematische Testkäufe seien grundsätzlich zulässig, „unabhängig von der Frage, ob es sich um eine 'Retourkutsche' handele“.

Das Gericht befasste sich deshalb dezidiert mit den Ergebnissen der Testkäufe. Opfer war in diesem Fall die Zwölf-Apostel-Apotheke von BAV-Vize Hans-Joachim Niermann. Eine seiner Mitarbeiterinnen hatte dem Testkunden das Schlafmittel „Hoggar Night“ zusammen mit „Prostagutt forte“ verkauft. Dass sie nicht abgefragt hatte, ob die Prostataerkrankung mit Restharnbildung einhergehe, werteten die Richter als Verstoß gegen die Beratungspflicht. In diesem Punkt wurde Niermann als Inhaber verurteilt.

Interessant ist, dass die Richter in der Abgabe von fünf 2er-Packungen Formigran kein Problem sahen. Da die Gesamtmenge des Wirkstoffs Naratriptan in einer Einzelpackung unter die Verschreibungspflicht fällt, hatte die EAV einen Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz (AMG) und die Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) geltend gemacht. Doch für die Richter war allein die Wirkstoffmenge pro Packung entscheidend. Immerhin habe der Gesetzgeber bei anderen Wirkstoffen wie Dexamethason zusätzlich die Maximalzahl der freiverkäuflichen Packungen beschränkt. Die Möglichkeit der Umgehung sei dem Verordnungsgeber als durchaus bewusst gewesen, als er bei Naratriptan auf eine solche Regelung verzichtete.

Im Juli stehen vor dem OLG München weitere Verfahren zu den Testkäufen an. Für die betroffenen Apotheken dürfte es entscheidend sein, welcher Senat des Gerichts ihren Fall verhandelt. Der BAV will sich zu den Testkäufen nicht äußern. Auch die EAV wolle das Thema nicht in die Öffentlichkeit tragen, wie die vertretende Kanzlei Diekmann mitteilte.

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