Drogerieketten

„Das letzte Wort hatte der Herr Schlecker“

, Uhr aktualisiert am 08.05.2017 18:39 Uhr
Stuttgart -

Ein ehemaliger Verwaltungsdirektor hat im Bankrottprozess gegen den Anton Schlecker ein düsteres Bild über die letzten Jahre der Drogeriemarktkette gezeichnet. „Das Ergebnis ist in der Summe von Jahr zu Jahr schlechter geworden, weil halt die Gesamtumsätze pro Filiale schlechter geworden sind“, sagte der ehemalige Leiter der Verwaltung, der bis 2010 Mitglied der Geschäftsleitung war, bei seiner sechseinhalbstündigen Vernehmung am Montag vor dem Stuttgarter Landgericht. Von 2008 habe Schlecker Verluste nicht mehr ausgleichen können. Sparmaßnahmen wie Filialschließungen hätten keine Wirkungen mehr gezeigt.

Von 2002 bis 2010 sei der Umsatz wegen der wachsenden Konkurrenz anderer Drogeriemärkte, aber auch von Discountern und Supermärkten, um ein Drittel gesunken. 2008 habe Schlecker erstmals einen Verlust ausweisen müssen, weil das operative Minus nicht mehr mit anderen Mitteln ausgeglichen werden konnte. Er sei damals zu dem Schluss gekommen, dass Sparmaßnahmen keine Wirkung mehr zeigen würden. „Ab dem Zeitpunkt habe ich auch gegenüber der Familie meine Einschätzung immer wieder preisgegeben.“ 2009 habe er auf die Frage Schleckers, ob er glaube, dass die Firma zum Jahresende pleite sei, mit „ja“ geantwortet. Auch in den Folgejahren habe er immer wieder auf eine mögliche Zahlungsunfähigkeit hingewiesen, obwohl die Finanzen nicht mehr in seiner Verantwortung lagen.

In den Folgejahren habe er immer wieder auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit hingewiesen. Allerdings räumte der Zeuge auch ein, dass Schlecker Ende 2010, Anfang 2011 noch nicht überschuldet gewesen sei. „Die Situation hat sich dann eigentlich im Jahr 2011 dramatisch verschärft“, so der Zeuge, der bis 2008 auch für Controlling und Finanzen im Unternehmen zuständig war.

Bis 2008 habe Schlecker noch weitreichende Kreditlinien von zahlreichen Banken gehabt – Kredite also, die bei Bedarf gezogen werden können. Im Zuge der Finanzkrise seien diese aber gekündigt worden. „Wenn sie 200 Millionen Euro auf dem Konto haben, können sie ausrechnen, dass das noch gut zwei Jahre reicht.“ 2010 habe das operative Minus bei 120 Millionen Euro, 2011 bei mehr als 200 Millionen gelegen. „Ich bin ein Zahlenmensch“, sagte er. Deshalb sei er möglicherweise pessimistischer als Schlecker selbst. „Für ihn war völlig unvorstellbar, dass das irgendwann zu Ende geht.“
Nach der Insolvenz verloren Zehntausende Schlecker-Mitarbeiter ihren Job. Wegen Beihilfe sitzen auch Schleckers Frau Christa sowie die beiden Kinder Meike und Lars auf der Anklagebank. Den Kindern wird auch Insolvenzverschleppung des Logistikers LDG vorgeworfen, der für den Schlecker-Konzern arbeitete.

In dem Prozess wirft die Anklage Schlecker unter anderem vor, trotz der drohenden Insolvenz vorsätzlich Vermögenswerte in Höhe von mehr als 25 Millionen Euro dem Zugriff der Gläubiger entzogen zu haben. Unter anderem unterstellt die Staatsanwaltschaft Schlecker, dafür gesorgt zu haben, dass die Logistikfirma LDG seiner Kinder, die beispielsweise für den Onlineshop zuständig war, noch sehr hohe Gewinne abwarf, während sein eigenes Unternehmen Verluste schrieb: Lars und Meike Schlecker sollen noch 2012 Gewinne in Millionenhöhe abgeschöpft haben. Ein Grund seien die hohen Stundensätze gewesen, die die LDG der Firma Schlecker in Rechnung stellte, so die Lesart der Staatsanwälte. Vor Steuern fielen immerhin über 50 Prozent des Umsatzes als Gewinn an.

Erst vor Kurzem hatte dazu ein 90-jähriger ehemaliger Prokurist Schleckers ausgesagt: Er kannte den späteren Drogeriekönig, seit dieser sechs Jahre alt war, und galt als seine rechte Hand. Ende der 80er-Jahre habe er die beiden Kinder aus der Hand der Entführer gelöst. Keiner war tiefer eingeweiht in die Abläufe des Konzerns, für dessen Vernehmung der Prozess von Stuttgart nach Ehingen verlegt wurde.

Sein Spielfeld sei unter anderem die Logistikgesellschaft der Kinder gewesen, die Anfang der 2000er Jahre gegründet wurde, berichtete Schlecker vor Gericht. Ein ehemaliger Geschäftsführer der LDG beschrieb ihn als „Kenner aller Abläufe bei Schlecker“ und „Allrounder“. Kaum verwunderlich verteidigte der 90-Jährige die von ihm kalkulierten Preise der LDG, die im Prozess inzwischen zu einer Kernfrage geworden sind. Kostspielig für Schlecker seien hingegen die Leiharbeiter gewesen, die die Logistikgesellschaft beschäftigte.

Mit der Buchhaltung der LDG, die offenbar in der Schlecker-Zentrale erledigt wurde, will der frühere Prokurist nichts zu tun gehabt haben. Auch von den ungewöhnlich hohen Gewinnen habe er nichts gewusst. Immer wieder verlor er vor Gericht die Fassung: Es werde neuerdings so hingedreht, dass er unglaubhaft sei, rief er. „Das lasse ich mir nicht gefallen.“ Weitreichende Verantwortung wies er vehement von sich und belastete seinen früheren Chef. „Das letzte Wort hatte der Herr Schlecker.“ Selbst Entscheidungen über Investitionen der LDG seien von Schlecker selbst abgenickt worden.

Der Bruch zwischen den beiden wurde in der Vernehmung immer deutlicher: Schon zum Prozessauftakt beschrieb Schlecker den Mann, dem er soviel zutraute, als empfindliche Persönlichkeit. Mit vielen anderen – auch mit Schlecker – habe es immer wieder Streit oder eine Auseinandersetzung gegeben. 2009 endete die Beziehung im Streit. Nur als Meike Schlecker nach der Insolvenz um Unterstützung bei den Verhandlungen um die LDG bat, kehrte der frühere Vertraute noch einmal zurück. Er hätte aber auch „Ja“ gesagt, wenn Schlecker ihn um Hilfe gebeten hätte, als ihm bewusst gewesen sei, die Firma sei nicht mehr zu retten. „Aber, jetzt kommt's; der Herr Schlecker war nie der Meinung, dass es das Ende ist.“

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