Beim französisch-deutschen Start-up Doctolib läuft es derzeit rund: Der Terminservice-Anbieter ist in die Riege der „Einhörner“ aufgestiegen, also jener Start-ups, die mit mehr als einer Milliarde Euro bewertet werden. Investoren und Analysten trauen dem 2013 gegründeten Unternehmen zu, Hauptkonkurrent Jameda hierzulande zu überflügeln. Seine Nutzerzahlen hat der Anbieter innerhalb eines Jahres fast verdoppelt. Und es soll nicht bei der Vergabe von Arztterminen bleiben: Noch in diesem Jahr will Doctolib auch hierzulande in die Telemedizin einsteigen und später eine eigene E-Rezept-Anwendung präsentieren, kündigt Geschäftsführer Dr. Ilias Tsimpoulis an.
Eigentlich könnte die Ausgangslage besser sein: Das Start-up expandiert aus Frankreich in den deutschen Markt, wo mit Jameda bereits ein etablierter Anbieter denselben Service im Portfolio hat, aber mit Burda noch einen kräftigen Medienkonzern im Rücken. Doch dann kommt Doctolib die politische Großwetterlage zugute: Die Bundesregierung arbeitet daran, den deutschen Rückstand bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen zu verringern. „Wir sind zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, sagt Deutschland-Geschäftsführer Dr. Ilias Tsimpoulis. „Es herrscht eine größere Bereitschaft zur Digitalisierung, als gemeinhin angenommen.“
Und das spiegelt sich in der geschäftlichen Entwicklung. „Wir wachsen exponentiell“, sagt Tsimpoulis. 850 Mitarbeiter hat Doctolib, in den nächsten Jahren sollen noch einmal rund 1000 hinzukommen. In Deutschland allein sind es bisher 150 Mitarbeiter an sechs Standorten. Von denen zieht der Außendienst los und unterbreitet Praxen, Kliniken und MVZ sein Angebot: „Wir sind keine generalistische Software sondern sehen uns als Partner der Ärzte, der mit seinem Service die Terminvergabe zur Effizienzsteigerung der medizinischen Einrichtungen optimiert. Wir bieten nicht nur ein Tool, sondern ein Gesamtpaket für unsere Kunden.“, erklärt der 41-Jährige. Anders als bei Jameda können Patienten ihre Ärzte bei Doctolib nicht bewerten. Stattdessen fokussiert sich das Unternehmen bisher darauf, die Terminvergabe zu optimieren. Dazu habe Doctolib „das modernste Terminverwaltungssystem, das wir kennen“, entwickelt.
129 Euro kostet das pro Arzt und Monat – nicht mehr, nicht weniger. Der „sehr einfache, sehr transparente Preis“ sei Teil des Erfolgsgeheimnisses. Das Angebot sei auch monatlich kündbar, die eingegangene Verpflichtung für die Praxis also denkbar klein. Für das Geld, so verspricht Tsimpoulis, „schaffen Ärzte es dann, Termine so zu koordinieren, dass der richtige Patient zur richtigen Zeit kommt“. Ein Algorithmus weist bestimmten Gruppen von Patienten beispielsweise bestimmte Zeiten zu, um Ressourcen in Arztpraxen effizienter einzusetzen, auch wenn mehrere Ärzte an einer Therapie beteiligt sind. Bei der Konfiguration und Anwendung der Software sowie für Beratung und Fehlerbehebung seien die Doctolib-Mitarbeiter vor Ort dabei.
Bei der Zahl der teilnehmenden Ärzte liegt Doctolib noch hinter dem Konkurrenten aus dem Hause Burda zurück: 5000 Arztpraxen und 56 andere Gesundheitseinrichtungen, vor allem Kliniken und MVZ, sind bereits bei Doctolib registriert. Europaweit sind es 100.000 Ärzte und 2000 Gesundheitseinrichtungen. Jameda wirbt auf seiner Seite mit 275.000 eingetragenen Ärzten. Davon lässt sich Tsimpoulis aber nicht entmutigen. „Unser Ziel ist es, bis Ende des Jahres auf 10.000 Ärzte in Deutschland zu kommen“, sagt er. Rund 2 Millionen Besucher verzeichnet die Seite mittlerweile monatlich in Deutschland, europaweit sind es 40 Millionen. Jameda kommt nach eigenen Angaben in Deutschland auf 6 Millionen Patienten im Monat.
Doctolib will aber nicht nur physische Arztbesuche vermitteln, sondern bald auch ein Player auf dem gerade entstehenden deutschen Telemedizin-Markt werden. Seit Januar gibt es das Angebot in Frankreich schon, bis Ende dieses Jahres werde es in Deutschland eingeführt. Dass es noch kein genaues Startdatum gibt, liege eher an der regulatorischen Situation als an der technischen Umsetzbarkeit. „Die technischen Voraussetzungen sind gegeben, wir können uns produkttechnisch an alle Entwicklungen schnell anpassen“, sagt Tsimpoulis. „In Frankreich bieten wir bereits die Videokonsultation seit Anfang des Jahres an. Über 1.000 Ärzte nutzen den Service bereits und mehrere tausend Arzt-Patienten-Gespräche haben schon stattgefunden.“ Im Moment beobachte Doctolib aber noch das regulatorische Umfeld. „Für Deutschland könnte die Implementierung im Produkt direkt erfolgen sobald die regulatorischen Rahmenbedingungen flächendeckend final geklärt sind.“
Denn das Potenzial der Technik geht über den Kern des Angebots hinaus: Der besteht aus Telekonsultationen bei Ärzten, für die man bei Doctolib einen Termin buchen kann und die dann über Desktop oder Smartphone durchgeführt werden. In Frankreich können sich Patienten in der Online-Sprechstunde von Doctolib bereits Verordnungen ausstellen lassen – das sei auch das Ziel für Deutschland, erklärt Tsimpoulis. Nicht nur digitale Sprechstunden wolle man bald einführen, sondern auch eine Anwendung für ein elektronisches Rezept und Bezahl-Services. Wie genau die E-Rezept-Anwenung aufgebaut sein und wann sie eingeführt werden soll, lässt Doctolib noch offen. Außerdem gibt es auf dem Zukunftsmarkt Telemedizin mit Zava, ehemals DrEd, bereits einen Platzhirsch. Doch das dürfte Doctolib nicht einschüchtern.
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