Bis zu 30 Euro pro Rezept – so steht unisono der Kurs bei den großen Versendern. Doch jetzt legt ausgerechnet der Branchenpionier eine überraschende Kehrtwende hin: Nur noch die Einsendung von Papierrezepten wird belohnt, für E-Rezepte erhalten Kunden keine Prämie mehr – aus Gründen der Wettbewerbsgleichheit, wie es heißt.
DocMorris war jahrelang Vorreiter in Sachen Rx-Boni. Weil die Zahlung von Prämien an Patienten eigentlich verboten waren, wurden immer neue Anlässe geschaffen, um den Köder zu kaschieren: So wurden die Teilnahme an Arzneimittelcheck ebenso belohnt wie der Gang zum Briefkasten; eine Zeitlang wurden Verbrauchern auch einfach entsprechende Beträge auf ihren Kundenkonten gutgeschrieben. Die Apothekerkammer Nordrhein strengte immer neue Prozesse an, um dem Geschäftsgebahren Einhalt zu gebieten. Am Ende waren es dann auch die Boni von DocMorris, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2016 in seinem umstrittenen Urteil für zulässig erklärte.
Doch damit könnte jetzt Schluss sein, wie eine aktuelle Kampagne zeigt: DocMorris wirbt bei Rebuy, einem Versandhändler für gebrauchte Bücher, Medien und Elektronik, mit einem Beileger für die Einsendung von Rezepten: „Ab sofort können Sie Zeit sparen. Und Geld.“ Versprochen wird ein Gutschein über 10 Euro für Neukunden: „Sie haben noch nie ein Rezept bei uns eingelöst? Dann nutzen Sie diese günstige Gelegenheit. Wenn Sie uns bis zum 31.10.2020 ein Rezept mit verschreibungspflichtigen Produkten zuschicken, erhalten Sie ein Startguthaben in Höhe von 10 Euro.“
Der Gutschein gilt aber explizit nicht für E-Rezepte, wie man im Kleingedruckten erfährt. Und viel gravierender noch: Auch der Bonus von bis zu 30 Euro pro Rezept ist explizit ausgenommen – und zwar nicht nur bei der Aktion, sondern für alle Kunden: „Bonus gilt nicht für E-Rezepte (=papierlose Rezepte)“, heißt es im Kleingedruckten auf der Website.
Noch dürfte der Effekt dieser nicht zu unterschätzenden Kehrtwende überschaubar sein, denn E-Rezepte werden bislang nur im Rahmen des TK-Pilotprojekts übermittelt – und hier steuern die Kunden einen speziellen Link an, auf dem das Thema Rx-Bonus vermutlich gar nicht erst angesprochen wird. Doch je mehr Kunden das E-Rezept nutzen, desto mehr Nachfragen könnte es geben, warum ausgerechnet der selbst erklärte Vorreiter in Sachen Digitalisierung des Apothekenmarktes noch Anreize für das Einsenden eines Papierrezepts schafft.
In Heerlen begründet man das Vorgehen mit dem geplanten Marktplatz, der noch in diesem Jahr an den Start gehen soll und auf dem der Kunde auswählen kann, ob er sein Rezept bei DocMorris oder einer Partnerapotheke vor Ort einreichen will. Hier gehe es um faire Wettbewerbsbedingungen: „Die Versandapotheke DocMorris beabsichtigt als Verkäufer auf dem zukünftigen Marktplatz und bei den verschiedenen eRx-Kooperationen bei elektronischen Rezepten keinen Bonus auf verschreibungspflichtige Arzneimittel zu geben“, erklärt ein Sprecher auf Nachfrage den Abschied vom Rx-Bonus.
Bereits im Frühjahr hatten DocMorris-CEO Olaf Heinrich gegenüber dem Handelsblatt erklärt, dass man eine „partnerschaftliche Zusammenarbeit“ mit stationären Apotheken anstrebe. „Beim E-Rezept, welches über den Marktplatz kommt, verzichten wir auf den Bonus auf verschreibungspflichtige Arzneimittel“, kündigte er an. Dass nun bei E-Rezepten komplett auf den Bonus verzichtet wird, folgt einer einfachen Logik: „Ich erwarte, dass der Umsatz mit elektronischen Rezepten auf unserer Plattform zu 90 Prozent über die stationären Apotheken laufen wird und nur zu 10 Prozent über unseren Versandhandel“, so Heinrich im Februar.
Walter Oberhänsli, Chef des Mutterkonzerns Zur Rose, hatte bereits vor einem Jahr in Aussicht gestellt, dass – auch mit Blick auf die Profitabilität – die Bonifizierung zurückgeführt werden soll. Aus seiner Sicht wird dank des E-Rezepts die Convenience eine größere Bedeutung bekommen als der schlichte Preisvorteil: „Bei DocMorris gibt es Boni seit mehr als zehn Jahren. In der Vergangenheit hatten sie eine große Bedeutung. Aber wir glauben fest daran, dass Bequemlichkeit künftig wichtiger wird als der Rabatt.“
Dennoch ist der radikale Turnaround ein Risiko für DocMorris – zumal Shop-Apotheke nach wie vor Rx-Boni gewährt. Der Konkurrent hält sich bisher bedeckt, was seine Pläne für das E-Rezept angeht: Ob Boni weiter gewährt werden, sei noch nicht entschieden, so ein Sprecher. Zwar man sieht sich in Venlo ebenfalls auf dem Weg „von der klassischen Online-Apotheke zur kundenzentrierten ePharmacy-Plattform“.
Allerdings verfolgt das Management eine andere Strategie: Der geplante Marktplatz soll lediglich ein komplementäres Angebot zum Portfolio von Shop-Apotheke sein. Vor-Ort-Apotheken sollen dementsprechend nicht en masse eingebunden werden, sondern primär als Helfer bei der Same-Day-Delivery dienen, die nun Schritt für Schritt ausgebaut werden soll. Entsprechend scheint auch die einst angekündigte Umbenennung vorerst vom Tisch: Ein neuer Name sei auf absehbare Zeit kein Thema, so ein Sprecher auf Anfrage.
Bereits im ersten Halbjahr hatte sich das Rx-Geschäft bei DocMorris nur schleppend entwickelt – angeblich weil die Marketingaktivitäten im Vorfeld der Einführung des E-Rezepts zurückgefahren wurden. Bei Shop-Apotheke legte der Bereich dagegen im zweiten Quartal um 13 Prozent gegenüber Vorjahr zu, im ersten Quartal waren es sogar 23 Prozent. DocMorris geht das Risiko ein, dass diese gegenläufige Entwicklung sich noch intensivieren wird.
Und es gibt noch eine weitere Lesart, was das Thema Rx-Bonus angeht: DocMorris sieht sich in einer Pionierrolle, was die Einführung des E-Rezepts angeht, und sucht daher seit einiger Zeit die Nähe zur TK und anderen beteiligten Krankenkassen. In deren Interesse ist es aber nicht, wenn sie für das Medikament zahlen und ihre Versicherten hintenrum Boni kassieren. Am Ende, das ist die Kehrseite der Medaille, gehört wohl auch DocMorris mittlerweile zum „Establishment“.
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