EuGH-Urteil hin oder her: DocMorris darf seinen Kunden keine missverständlichen Quittungen ausstellen. Das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) bestätigte eine entsprechende Entscheidung des Landgerichts Ravensburg (LG), Revision wurde nicht zugelassen. Die Urteilsgründe liegen noch nicht vor, für die Versandapotheke könnte die Gewährung von Rx-Boni aber schwieriger werden.
Eine Kundin hatte das Präparat Flutiform Dosieraerol (Formoterol und Fluticason) bestellt, ihr zu leistender Zuzahlungsbetrag lag bei 5,71 Euro. Dieser Betrag stand auch auf der Zuzahlungsquittung, die zur Vorlage an die Krankenkasse mitgeschickt wurde. Vom Kundenkonto der Frau wurden tatsächlich jedoch nur 2,85 Euro abgebucht – also die Hälfte des Betrags.
Die quittierte Summe wurde somit gar nicht gezahlt – eine Konstellation, die auch nach dem EuGH-Urteil noch von Bedeutung ist. Denn daraus können sich finanzielle Vorteile ergeben, beispielsweise könnten Chroniker die Belastungsgrenze von 2 Prozent ihres Bruttoeinkommens schneller erreichen. Außerdem könne mit nicht gezahlten Beträgen die Einkommenssteuer verringert werden, stellte schon das LG im vergangenen Jahr in erster Instanz fest.
Durch die missverständliche Formulierung der Quittung werde der tatsächliche Zahlungsfluss verschleiert. Der Verbraucher wiederum könnte diesen Beleg missbräuchlich verwenden, ohne sich selbst falsch verhalten zu haben. Schon im Oktober 2015 hatte das LG Ravensburg gegen derartige Quittungen eine einstweilige Verfügung erlassen.
DocMorris hatte im Verfahren bestritten, dass mit der Gutschrift 50 Prozent des Zuzahlungsbetrags erlassen wurden. Tatsächlich handele es sich bei den gewährten Abschlag um einen „Willkommensrabatt“, so die Versandapotheke. Das Gericht hielt dies für unglaubwürdig, weil der Rabatt der Hälfte der Zuzahlung entsprach. Weil auch der Zeitpunkt des Erlasses übereinstimmte, lag der Zusammenhang für die Richter auf der Hand.
Obwohl der Streit noch aus einer Zeit vor dem EuGH-Urteil stammte, hat das OLG nun die Entscheidung der Vorinstanz bestätigt: Missverständlich ausgestellte Quittungen seien unlauter, da die Kunden Vorteile hätten, wenn sie den Beleg bei der Krankenkasse oder Steuerbehörde einreichten, entschied schon das LG. Das gehe über reine Gewährung eines Rx-Rabatts hinaus. Das LG hatte DocMorris zu eindeutig formulierten Rechnungsbelegen verpflichtet.
Um festzustellen, welcher Schadensersatz eingefordert werden kann, verpflichteten die Richter die Versandapotheke, sämtliche Fälle falsch ausgestellter Zuzahlungsquittungen offenzulegen, aufgeschlüsselt nach Kalendermonat und Bundesland sowie mit den Medikamenten erzielten Umsätzen. Für den Fall, dass die Versandapotheke nochmals eine missverständliche Quittung ausstellt, wurde ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro fällig.
Zuletzt hatte die Leipziger Kanzlei Hönig und Partner mit einem Testkauf nachgewiesen, dass DocMorris auf der Rechnung die Zuzahlung vermerkt sowie den Hinweis: „Die offene Forderung ist mit Erhalt der Rechnung fällig.“ Weil das Blatt mit Rechnungsnummer und -datum versehen sowie als „Seite 1/1“ gekennzeichnet sei, entstehe der Eindruck, der Patient habe nur die Rechnung erhalten, so Rechtsanwalt Fabian Virkus.
Mit dem Nachweis werde lediglich die Zahlung bestätigt. Einen Hinweis, dass die Zuzahlung nicht vollständig eingezogen werde, gebe es nicht. In der Übersicht zum Kundenkonto – ebenfalls auf einer Einzelseite – würden die Boni als Guthaben gelistet und mit der Forderung verrechnet, selbst wenn diese nur aus der Zuzahlung bestehe.
Im Kundenkonto werde die Rechnungsnummer wiederum nicht genannt, belegt Virkus. Damit werde verschleiert, dass die Zuzahlung nicht oder nicht vollständig eingezogen werde, so der Vorwurf. Der Krankenkasse sei es so unmöglich, ihrem Versicherten nachzuweisen, dass die Zuzahlung nicht voll bezahlt worden sei. „So werden dem Patienten auch im Falle der Aufdeckung der Zuzahlungsverkürzungen die heraus resultierenden Vorteile gesichert.“ Im Auftrag mehrerer Apotheker forderte Hönig und Partner den GKV-Spitzenverband auf, DocMorris von der Versorgung auszuschließen.
DocMorris hatte in der Vergangenheit argumentiert, der Bonus sei getrennt von der Zuzahlung zu betrachten. Wie Hönig und Partner vertritt dagegen auch Rechtsanwalt und Steuerberater Dr. Joachim Wüst von der Kölner Kanzlei PNHR Dr. Pelka und Sozien die Ansicht, dass Versandapotheken, die Rx-Boni nicht ausweisen, wegen Beihilfe zum Versicherungsbetrug belangt werden könnten. „Und das wäre ein Fall für den Staatsanwalt.“ Die Kassenchefs könnten sie wegen vorsätzlicher Untreue zur Rechenschaft gezogen werden. „Der richtige Weg in diesem Fall wäre die Anzeige. Die Apotheker haben die Chance, richtig Druck in den Kessel zu bringen.”
Auch an der zweiten Front stehen die niederländischen Versender unter Druck. Kohlpharma sieht nicht ein, DocMorris den Herstellerrabatt zu erstatten, solange nicht alle Bestimmungen aus dem Rahmenvertrag eingehalten werden. Der Importeur hat die Versandapotheke verklagt, um die in den vergangenen Jahren überwiesenen Beträge zurückzubekommen.
Rückendeckung gab es vom Bundessozialgericht (BSG): DocMorris müsse sich nicht der Preisbindung unterwerfen; diesen Wettbewerbsvorteil habe der EuGH im Ausland ansässigen Apotheken zuerkannt. „Das spricht aber nicht dafür, dass ausländischen Apotheken zusätzlich zu diesen Wettbewerbsvorteilen noch die sich aus dem deutschen Arzneimittelpreisrecht ergebenden Vorteile zu gewähren sind, solange diese Apotheken das Arzneimittelpreisrecht nicht insgesamt akzeptieren“, hieß es in einem Beschluss zu einem entsprechenden Verfahren.
Vor einem Monat hatte der Steuerberater und Rechtsanwalt Dr. Bernhard Bellinger im Auftrag mehrerer Apotheker alle großen Verbände der Pharmaindustrie angeschrieben. Weil sich DocMorris nicht an die Preisbindung hält, sollen die Hersteller der Versandapotheke auch den Herstellerabschlag nicht mehr erstatten, so der Aufruf.
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