DocMorris darf bei Apotheken kassieren Patrick Hollstein, 09.04.2024 10:05 Uhr
Wenn es schnell gehen muss, kommen auch bei den Versendern die Vor-Ort-Apotheken ins Spiel. Sowohl DocMorris als auch Shop Apotheken bieten Expresslieferungen an, die von Partnern ausgeführt werden. Eine umsatzabhängige Provision ist dabei unzulässig, aber eine monatliche Pauschale ist erlaubt, entschied das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG). Erstmals überhaupt enthält das Urteil auch eine Einschätzung zu der gerade erst eingeführten Vorgabe, dass Plattformen keine Apotheken bevorzugen dürfen. Tenor: Ganz ohne Selektion geht es gar nicht. Nur wer zahlt, darf mitmachen.
Dabei ist die Bereitstellung einer Plattform, über die teilnehmende Apotheken gegen eine monatliche Grundgebühr auch rezeptpflichtige Arzneimittel an Kunden verkaufen können, noch kein Verstoß gegen das „Verbot des Rezeptmakelns“, wie es mit dem Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG) eingeführt und ein halbes Jahr später mit dem Digitale Versorgungs- und Pflege-Modernisierungsgesetz (DVPMG) noch einmal verschärft worden war.
Es ist für die [...] Dritten „unzulässig, Verschreibungen, auch Verschreibungen in elektronischer Form oder elektronische Zugangsdaten zu Verschreibungen in elektronischer Form, zu sammeln, an Apotheken zu vermitteln oder weiterzuleiten und dafür für sich oder andere einen Vorteil zu fordern, sich einen Vorteil versprechen zu lassen, anzunehmen oder zu gewähren.
Auf diese Weise sollte eine Gefährdung der freien Apothekenwahl und damit der flächendeckenden Versorgung durch wohnortnahe Apotheken unterbunden werden, so das OLG mit Verweis auf die Gesetzesbegründung. Gleichzeitig sei aber – unter Beachtung der genannten Vorschriften – mit der Einführung des E-Rezepts explizit die Möglichkeit von Mehrwertangeboten vorgesehen worden.
Erwünschte Mehrwertdienste
„Ein generelles Verbot, insbesondere digitaler Verkaufsplattformen, bei denen sich Kunden unbeeinflusst mit dem ihnen ausgestellten E-Rezept an eine Apotheke ihrer Wahl wenden und bei dieser Bestellungen der verordneten, verschreibungspflichtigen Medikamente aufgeben können, lässt sich der Gesetzesbegründung, wonach Mehrwertdienste Dritter auch unter Nutzung der von der Gematik bereitgestellten Schnittstelle trotz der Einführung des § 11 Abs. 1a ApoG gerade zulässig sein beziehungsweise bleiben sollen, nicht entnehmen.“
Versand als Risiko
Eine Gefährdung der wohnortnahen Versorgung durch ortsansässige Apotheken werde gegebenenfalls durch den Versandhandel insgesamt gefährdet, „was durch die gesetzgeberisch gewollte Einführung des E-Rezepts mit Blick auf verschreibungspflichtige Medikamente noch forciert werden könnte“, so das OLG. Aber da der Rx-Versand gerade nicht verboten sei, könnten erst recht nicht Plattformen generell, also ohne Prüfung der Vertragsbedingungen im Einzelfall, untersagt werden.
Allzu große Bedeutung wollten die Richter dem Marktplatz vor diesem Hintergrund nicht zuerkennen: Im Grunde wähle der Kunde nur aus einer Übersicht verschiedener Anbieter die gewünschte Apotheke aus – „vergleichbar der Auswahl aus einer Branchenübersicht oder der Werbung – sofern rechtlich für Apotheken zulässig – in einer (regionalen) Zeitung“.
Neutrale Nutzungsgebühr
Laut OLG stellt die Nutzungsgebühr eine Entschädigung für die Bereitstellung des technischen Dienstes dar. So führe die Plattform lediglich „den vom Kunden bereits festgelegten ‚Weg des (E-)Rezepts‘ an die von ihm ausgesuchte Apotheke“ aus. Wäre dies bereits vom gesetzlichen Makelverbot erfasst, müssten konsequenterweise auch Portogebühren für den Postversand von Papierrezepten verboten werden.
Als monatliche Pauschale sei die Gebühr einheitlich und falle unabhängig von der Anzahl bestimmter verkaufter Medikamente an –sie knüpfe also gerade nicht an bestimmte Leistungen im Zusammenhang mit Rezepten oder E-Rezepten an und sei damit nicht der Sache nach auf das „Makeln“ von Verordnungen angelegt. Und da sie auch nicht objektiv überhöht sei, könne man sie nicht als unzulässigen „Vorteil“ im Sinne der gesetzlichen Vorschrift werten. Eine unlautere Bevorzugung sei nicht zu erkennen.
In einem anderen Fall habe der Bundesgerichtshof (BGH) bereits entschieden, dass es – jedenfalls berufsrechtlich – nicht zu beanstanden sei, dass ein Zahnarzt auf einer Internetplattform ein Gegenangebot zu dem Heil- und Kostenplan oder Kostenvoranschlag eines Kollegen abgegeben und dem Betreiber dafür einen Teil seines Honorars als Entgelt für die Nutzung des virtuellen Marktplatzes abgegeben hatte. „Diese Überlegungen sind auf den Streitfall, in dem gegen eine monatliche Grundgebühr eine Marktplatzinfrastruktur genutzt werden kann, über die auch verschreibungspflichtige Medikamente von Apotheken angeboten werden können, nach Ansicht des Senats übertragbar.“
Apotheken als Erfüllungsgehilfen
Mit der Tatsache, dass nicht alle Apotheken gleichwertig gelistet sind beziehungsweise überhaupt erst am Ende des Bestellvorgangs angezeigt werden, wollte sich das OLG nicht auseinander setzen: Einerseits habe die Apothekerkammer Nordrhein, die DocMorris abgemahnt hatte, ihre Behauptungen diesbezüglich nicht ordentlich bewiesen, andererseits sei die geforderte Unterlassung auch gar nicht auf eine bestimmte Ausgestaltung – etwa hinsichtlich der Reihenfolge der Anzeige der teilnehmenden Apotheken – ausgelegt gewesen. Vielmehr habe DocMorris der Betrieb insgesamt untersagt werden sollen.
Kein Angst vor Ausbeutung
Unerheblich seien daher auch rein theoretische Überlegungen zu einer eventuell drohenden Marktmacht der Plattform und einer daraus resultierenden möglichen „Ausbeutung“ teilnehmender Apotheken. „Denn der hier geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist nicht auf solche – möglicherweise rechtlich zu beanstandende – nicht näher dargelegten ‚ausbeuterischen‘ Vertragskonditionen gerichtet, sondern zielt generell auf die Untersagung der Bereitstellung einer digitalen Verkaufsplattform an niedergelassene Apotheken zu der genannten monatlichen Grundgebühr, wenn darüber (auch) (E-)Rezepte eingelöst werden können.“
Aus Sicht des Gerichts besteht für die teilnehmenden Apotheken sogar ein potentieller Mehrwert: „Denn hierdurch können Apotheken am Wettbewerb um Kunden, die ihre Medikamente unter Nutzung digitaler Angebote erwerben wollen, teilnehmen, ohne eigene digitale Infrastruktur vorhalten beziehungsweise aufbauen zu müssen, und hierdurch in Konkurrenz zu reinen Versandapotheken treten.“
Platzierung ist Ermessenssache
Dass auf dem Marktplatz nur Apotheken angezeigt werden, die einen Vertrag mit DocMorris unterschreiben und ein Entgelt entrichten, spielt laut OLG für die Bewertung keine Rolle – solange die Teilnahme grundsätzlich jeder Apotheke offensteht. Aus der Vorgabe, dass standardisiert die im Verzeichnisdienst der Gematik hinterlegten Daten der Apotheken zu nutzen seien, um eine diskriminierungsfreie Anbindung sicherzustellen, folge nicht, „dass alle bundesweit im Verzeichnisdienst der Gematik gelisteten Apotheken dem Nutzer potentiell als Lieferanten in Betracht kommende Apotheken angezeigt werden oder zur Auswahl zur Verfügung stehen müssten“, so das OLG.
Und auch dass DocMorris selbst entscheiden kann, in welcher Reihefolge die Apotheken aufgeführt werden, sei nicht zu beanstanden: Selbst die Gematik-App liste zunächst wohnortnahe Apotheken auf. „Es ist weder sinnvoll noch möglich, sämtliche Apotheken, die deutschlandweit potentiell zur Lieferung des verschriebenen Medikaments bereit wären, in einer App – noch dazu im Gleichrang – aufzulisten. Dies ist bereits in der ‚analogen‘ Welt nicht gewährleistet und gefährdet für sich genommen weder die Apothekenwahlfreiheit noch die flächendeckende Versorgung der Patienten durch wohnortnahe Apotheken.“
Dass mit dem Digitalgesetz (DigiG) zuletzt noch – zumindest für die Übermittlung der erforderlichen Daten zu E-Rezepten außerhalb der Telematikinfrastruktur (TI) ein diskriminierungsfreier Zugang vorgeschrieben wurde – ändert laut Gericht nichts an der Auslegung: Da kommerzielle Mehrwertangebote gerade nicht generell verboten werden sollten, stelle allein der Umstand, dass bei einer kommerziell betriebenen Plattform nur die das Entgelt entrichtenden Apotheken dem Nutzer als potentielle Bezugsquelle zur Auswahl stehen, keine „Bevorzugung von Apotheken oder Gruppen von Apotheken“ dar, so das OLG.
Denn gerade im Zusammenhang mit grundsätzlich zulässigen entgeltpflichtigen Leistungen ist es erkennbar nicht sinnvoll, dass Apotheken, die diese nicht in Anspruch nehmen wollen, dennoch vom Leistungsanbieter kostenlos aufgeführt werden müssen.
Von einem Verstoß wäre nur auszugehen, wenn von den an der Plattform der Klägerin teilnehmenden Apotheken einzelne Apotheken oder Gruppen „sachwidrig bevorzugt“ würden. „Allenfalls könnte die vom Bundestag beschlossene Gesetzesänderung auch erfordern, dass alle Apotheken diskriminierungsfrei Zugang zu der Plattform haben müssen.“ Ein Verstoß sei aber weder beanstandet worden, noch gebe es Indizien dafür. „Insbesondere gibt es keine belastbaren Anhaltspunkte, dass die Klägerin ihre Plattform nach Inkrafttreten des geänderten Gesetzes nicht nach dessen Vorgaben betreiben wird.“