DocMorris & Co. wollen Daten verkaufen APOTHEKE ADHOC, 25.10.2018 10:28 Uhr
Seit Jahren beherrschen Iqvia und Insight Health den Markt für Arzneimitteldaten. Sie sammeln in den Apotheken und deren Rechenzentren umfassende Informationen zum Einkauf und zum Abverkauf und liefern Herstellern wertvolle Hinweise zur Optimierung des Vertriebs – mit einem Schönheitsfehler: Die Verkaufsdaten der Versandapotheken – nicht nur der ausländischen – liegen nur eingeschränkt vor. Zur Rose, Medpex sowie Shop-Apotheke wollen Branchengerüchten zufolge ein Gemeinschaftsunternehmen zur Vermarktung ihres Datenschatzes gründen.
Beim Bundeskartellamt wurden in diesem Sommer Gespräche über die Gründung eines IT-Gemeinschaftsunternehmens der drei Versender angemeldet. Am 8. Oktober gaben die Wettbewerbshüter grünes Licht. Zur Rose will sich zu den Absichten noch nicht äußern. Umso heftiger brodelt die Gerüchteküche. In Branchenkreisen ist man sich ziemlich sicher, dass die drei Marktführer – DocMorris und Medpex gehören demnächst beide zu Zur Rose – ihr Wissen über den wachsenden Onlinehandel mit Arzneimitteln versilbern wollen. Schon bald soll es losgehen.
Geteilter Meinung ist man bei den traditionellen Datenprofis über die Erfolgsaussichten des Coups. Die Herstellerbranche bevorzuge Daten aus einer Hand, heißt es dort. Kanalspezifische Daten der drei Versender machten keinen Sinn. Beim Marketing zähle der Multichannel-Überblick. Die Aufbereitung der Verkaufsdaten nach unterschiedlichen Absatzwegen sei nicht aussagefähig. Früheren Versuchen in diese Richtung hätten die Marketingchefs der großen Hersteller eine klare Absagte erteilt.
Andere hingegen sehen in dem möglichen neuen Angebot eine interessante Ergänzung. DocMorris, Medpex und Shop-Apotheke stehen für rund 50 Prozent im deutschen OTC-Versandhandel. Wer wisse, wann, wo und wie oft seine Kunden nach Arzneimitteln am PC klicke, könne seine Marketingaktivitäten optimieren. Und der nicht nur der Online-Markt wächst. Auch die Pharma-Werbebudgets steigen und verschieben sich – von Print zu TV und jetzt ins Internet.
Mehr noch: Manche OTC-Hersteller erzielen 50 Prozent ihres Umsatzes im Onlinehandel. Insbesondere für solche Anbieter könnte ein gemeinsames „Daten-Nischenprodukt“ von großen Interesse sein. „Das kommt gut an in der Industrie“, heißt es dort. Derzeit liefern DocMorris und auch andere Versender ihre Daten zumindest teilweise an Iqvia und Insight Health. Dafür zahlen beide einen kleinen Millionenbetrag.
Diese Summe könne man mit einem eigenen Produkt nur schwer erzielen, warnen die Skeptiker. Andererseits stehen die Analysen des Versandgeschäft auch deshalb auf dünnen Eis, weil Shop-Apotheke keine Daten liefert und viele Aussagen so auf Hochrechnungen basieren.
Mit eigenen Analysen könnten die Versender einen Nerv bei den Herstellern treffen: Schon heute lassen sich aus Zugriffsstatistik, Kundenkonto und Warenkorb mehr Informationen gewinnen, als die Warenwirtschaft der Apotheke vor Ort liefern kann. Die Versender wissen, wie die Kunden zu ihnen gefunden haben und wann sie sich welche Produkte angesehen beziehungsweise gekauft haben. Schon heute suchen viele Nutzer im Internet nicht mehr bei Google nach Produkten, sondern bei Amazon – oder im Fall von Arzneimitteln eben bei den großen Versandapotheken.
Die Webshops sind damit als Werbeflächen interessant, weil sie – in Echtzeit – passende Anzeigen und Hinweise ausspielen und so die Streuverluste minimieren können. Schon heute weisen einige Versender aus, was andere Kunden mit vergleichbarem Profil bei ihnen gekauft haben. Oder bei der Suche nach spezifischen Produkten werden Konkurrenten angezeigt, die die entsprechende Werbefläche gebucht haben. Kampagnen lassen sich so außerdem auch in die sozialen Medien verlängern. Am Ende ließen sich sogar neue Erlösmodelle auf dieser Basis konzipieren.
Andere Branchenkenner fragen sich, wie weit sich DocMorris, Medpex und Shop-Apotheke bei der Vermarktung ihrer Daten in die Karten schauen lassen wollen. „Im ersten Schritt erwarte ich keine volle Transparenz“, so ein Branchenkenner. Denn auch für die Versenderkonkurrenz wäre es interessant zu erfahren, welche Zielgruppe beim Wettbewerber besonders aktiv einkauft.
Als Vorbild für das Gemeinschaftsunternehmen könnte Kairion dienen. Der Experte für Media im E-Commerce hat mehrere kleine Versandapotheken wie Versandapo, Sanicare, Preisapo, Paulpille, Mycare, Myapozone und weitere unter seine Fittiche genommen und liefert den Marketingabteilungen der Industrie detaillierte Trackingdaten.
Über Kairion können die angeschlossenen Händler nicht nur Werbung schalten lassen: „Werbetreibende Marken profitieren so von einer messbar hohen Reichweite und davon, dass die Werbeschaltung genau in dem Moment erfolgt, wenn Konsumenten Marken- und Produktbotschaften die höchste Aufmerksamkeit entgegenbringen“, verspricht Kairion.
Händler generierten nicht nur zusätzliche Erlöse aus Media- und Marketing-Budgets, die Realtime-Werbung wirke sich auch nachweislich positiv auf den Warenkorb aus. Im Klartext: Wissen ist auch im Marketing Macht. Wer weiß, dass der Käufer über eine Werbeanzeige von Bild-Online zu einer bestimmten Uhrzeit auf sein Produkt gefunden hat, kann daraus Rückschlüsse ziehen. Auch die Warenkörbe liefern interessante Einblicke.
Unterschiedlich beurteilt wird in der Branche, wie schnell sich so ein schlagkräftiger Datenvermarkter aus dem Boden stampfen lässt. Zehn bis 15 Datenprofis könnten ausreichen. Das hängt vor allem davon ab, wie weit die Datenanalyse reichen soll. Für Hochrechnungen und Projektionen sei größere Erfahrung nötig, sagen Experten. Die Aufbereitung der reinen Verkaufsdaten lasse sich hingegen mit einem kleinen Team erledigen.
Für die niederländischen Versender wäre es übrigens nicht das erste Gemeinschaftsprojekt: DocMorris und die Europa Apotheek (heute: Shop-Apotheke) hatten im Februar 2016 das Rechenzentrum König übernommen. Bereits seit 2003 lassen die beiden Versandapotheken ihre Rezepte in Gottmadingen abrechnen.