DocMorris hat zur Aufholjagd beim E-Rezept geblasen – und mobilisiert dafür die letzten Reserven. CEO Walter Hess hält höhere Marketingausgaben für gerechtfertigt, wie er im Interview mit der Nachrichtenagentur AWP erklärte. Denn es lohne sich, möglichst schnell neue Kunden zu gewinnen.
Die ersten dreieinhalb Monate des Jahres seien herausfordernd gewesen, so Hess. „Bei stationären Apotheken war das E-Rezept vor Ort einlösbar. Bei uns brauchte es dagegen noch immer einen Papierausdruck. Das haben wir zu spüren bekommen. Seit die volldigitale Cardlink-Lösung da ist, geht es aber aufwärts“, so Hess. „Seit Mitte April läuft es sehr gut.“
Dass der Umsatz nicht wie ursprünglich angepeilt um „mindestens 10 Prozent“, sondern nur noch um 5 bis 10 Prozent wachsen wird, hat laut Hess mit der Unsicherheit beim E-Rezept zu tun: „Die bisherige Guidance war immer indikativ. Wir konnten Anfang Jahr unmöglich sagen, wie das E-Rezept anläuft. Wir wussten auch nicht, wann die CardLink-Lösung kommt. Nach dem ersten Halbjahr konnten wir die Flughöhe aber abschätzen. So sind wir von einem indikativen zum jetzigen Ausblick gekommen.“
Beim „Basisgeschäft“ habe man im ersten Halbjahr wie angekündigt die operative Gewinnschwelle erreicht – und werde dies auch für das Gesamtjahr schaffen. „Beim E-Rezept haben wir uns vorbehalten, je nach Entwicklung die Investitionen anzupassen, und somit eine indikative Zielsetzung gegeben.“ Weil hier gerade massiv in Marketing investiert wird, wird es im Gesamtjahr negative Zahlen geben.
„Wir haben 2024 drei Phasen erlebt. Anfang Jahr mussten wir ins Marketing investieren, um die Kunden darüber zu informieren, dass sie von den Ärzten für das E-Rezept einen Papierausdruck verlangen müssen. Mit der CardLink-Lösung ging es darum, die volldigitale Lösung zu bewerben. Da testeten wir extrem viele Marketingmöglichkeiten. Daraus zogen wir unsere Lehren und entschieden, die Marketingausgaben zu erhöhen. Denn gerade jetzt können wir beim E-Rezept überproportional viele neue Kunden gewinnen“, so Hess.
Dass man trotz der angespannten Finanzlage mehr Geld ausgeben könne, verdanke man auch dem Liegenschaftsverkauf in der Schweiz. Dadurch sei der Cash-Bestand um 25,6 auf 220 Millionen Franken gewachsen. „Und die nächste Rückzahlung einer Anleihe ist erst im September 2026 fällig. Damit sind wir vor dem Hintergrund des Break-even im Basisgeschäft finanziell gut aufgestellt, um ins Marketing zu investieren.“
Laut Hess sind die Ausgaben strategisch zu rechtfertigen: „Zum einen ist bei neuen E-Rezept-Kunden in Deutschland der Deckungsbeitrag rund dreimal höher als bei bisherigen OTC-Kunden. Jeder neue E-Rezept-Kunde weist einen fünf- bis zehnmal höheren Customer-Lifetime-Value auf, je nachdem wie viele Medikamente er regelmäßig bezieht. Es lohnt sich also sehr, so schnell wie möglich Neukunden zu gewinnen.“
Der Verkauf der Aktivitäten in der Schweiz sei „emotional sehr schmerzhaft, aus strategischer Sicht aber richtig“ gewesen. „Denn das Schweizer Geschäft bestand zu drei Viertel aus Großhandel mit Belieferung von Ärzten. Nur ein Viertel bezog sich direkt auf Patienten und davon sehr viel in Kooperation mit Versicherern und Ärzten. Der mit dem Deutschland-Geschäft vergleichbare Teil war sehr gering.“
Mit dem Verkauf sei nicht nur der finanzielle Engpass gelöst worden; der Fokus auf das BTC-Geschäft sei für DocMorris als börsennotiertes Unternehmen strategisch richtig gewesen. „Ein klar fokussiertes Geschäft wird an der Börse immer besser bewertet.“
Und abermals wiederholt Hess die Aussage, dass auf lange Sicht ein zweistelliger Rx-Marktanteil möglich sei: „Bei OTC-Produkten haben Online-Apotheken in Deutschland einen Marktanteil von 25 Prozent. Es gibt keinen Grund, warum das bei rezeptpflichtigen Medikamenten nicht auch so sein wird. In den USA ist es bereits so. In Schweden, wo das E-Rezept vor sieben Jahren eingeführt wurde, liegt der Anteil schon zwischen 14 und 15 Prozent. Für Deutschland erwarten wir mittelfristig 10 Prozent. Und da es nur zwei große Anbieter auf dem Markt gibt, sehen wir für uns einen relevanten Marktanteil.“
Auch der Kauf von Teleclinic für immerhin 46,8 Millionen Franken sei richtig gewesen. „Die telemedizinische Plattform ist mit großem Abstand Marktführer in Deutschland und gewinnt derzeit fast jede Ausschreibung von Versicherungen und Verbänden, weil sie optimal auf deren Bedürfnisse ausgerichtet ist und es schlicht kaum Mitbewerber gibt. Zudem ist die Telemedizin in der neuen deutschen Gesetzgebung als Pfeiler des Gesundheitssystems im Bereich der medizinischen Versorgung verankert.“
Und wie will er das Vertrauen der Anleger zurückgewinnen? „Wir haben die letzten zwei Jahre intensiv auf den Break-even im Basisgeschäft hingearbeitet und das Fundament für ein stabiles und skalierbares E-Rezept-Geschäft geschaffen. Zudem waren wir stark mit verschiedensten Marktteilnehmern im Austausch. So sind wir heute sehr zuversichtlich, in diesem Markt bestehen und wachsen zu können.“
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