Der Gründer der Drogeriektte dm, Professor Götz W. Werner, ist heute am späten Vormittag im Alter von 78 Jahren verstorben.
Seine Familie teilte mit, dass seine Kräfte in den zurückliegenden Monaten kontinuierlich nachgelassen hätten, sodass er seinen Tätigkeitsradius gesundheitsbedingt immer stärker einschränken musste. Dies habe er mit großer Tapferkeit ertragen. Sein Sohn Christoph Werner, Vorsitzender der Geschäftsführung von dm, sagte, sein Vater und außergewöhnlicher Lebensbegleiter sei friedlich verstorben, er und die Familie seien in tiefer und stiller Trauer.
Werner wurde als Sohn eines Drogisten 1944 in Heidelberg geboren. Es war sein größter Wunsch, eines Tages selbst Drogist zu werden und für die Kunden da zu sein. Der Weg vom „Zahnpasta-Verkäufer“ (Werner über Werner) zum Vorzeige-Unternehmer mit sozialem Touch war nicht unbedingt vorhersehbar: „In der Schule sitzengeblieben, nach elf Schuljahren abgegangen. Deutscher Jugendmeister im Rudern, Drogist gelernt, Prokurist geworden. Verstoßener Sohn. Realträumer. Gründer wider Willen“, beschrieb er den Werdegang in seiner Biografie.
Er absolvierte eine Drogistenlehre in Konstanz und trat nach abgeschlossener Ausbildung zunächst in die väterliche „Drogerie Werner“ ein. Seine Ideen fanden jedoch keinen Anklang, sein Vater hielt nichts von den „spinnerten“ Ideen des Sohnes und schmiss den 28-Jährigen aus dem Geschäft. Also verließ er 1969 seine Heimatstadt Heidelberg und trat in das Karlsruher Unternehmen „Drogerie Roth“ ein. Doch auch dort konnte er sich mit seiner Idee nicht durchsetzen.
Also entschloss sich Werner 1973, seine Ideen selbst zu verwirklichen. Nach der Pleite der elterlichen Drogerie eröffnete er sein erstes eigenes Geschäft in Karlsruhe – auf dreifacher Fläche und mit stark reduziertem Sortiment im Vergleich zu herkömmlichen Drogerien. Inspirieren ließ sich der damals 29-Jährige vom heutigen Konkurrenten Dirk Roßmann, der ein Jahr zuvor in Hannover mit seinem „Markt für Drogeriewaren“ an den Start gegangen war.
Schon nach Eröffnung des zweiten Geschäfts war Werner klar, dass das Konzept ein Erfolg werden würde. Was ihm für die Expansion fehlte, war das notwendige Kapital. So holte er sich im November 1974 Günther Lehmann als Geldgeber an Bord, im Gegenzug bekam der drei Jahre ältere Junior der Inhaberfamilie des Karlsruher Lebensmittelfilialisten Pfannkuch 50 Prozent der Anteile.
Die drei weiteren Partner, mit denen Werner die Drogerie im September 1973 ursprünglich aus der Taufe hob, gingen nach und nach von Bord: Hans Roth, ein Elektroingenieur aus Karlsruhe, schied bereits nach einem Jahr aus, Kaufmann Armin Föll 2004 und Hildegard Oswald, Inhaberin der Parfümerie Kontor Heidelberg, im Jahr 2013.
Vor einigen Jahren regelten auch Werner und Lehmann die Nachfolge: Nicht Werners sieben Kinder – drei aus erster Ehe, vier aus zweiter – erbten das Unternehmen. Er brachte seine Anteile vielmehr in eine Stiftung ein. Im April 2016 übertrug Lehmann im Alter von 76 Jahren seine Anteile an seinen Sohn, der damals gerade einmal 15 Jahre alt war.
Bei der Expansion nach Österreich nahm die Drogeriekette Werners früheren Ruderpartner Günter Bauer mit ins Boot. Das Osteuropa-Geschäft wird seitdem in der Günter-Bauer-Straße 1 in Salzburg koordiniert. Neben dem deutschen Mutterkonzern und Bauer ist die Handelsgruppe Spar beteiligt.
Der Wegfall der Preisbindung für Drogerieartikel im Jahr 1974 markierte den Startschuss der Drogeriemarktketten. Rossmann war seit zwei Jahren im Geschäft, dm seit wenigen Monaten. Friseurmeister Erwin Müller aus Ulm, der bis dahin in einem Wertkauf in München einen „Friseursalon mit Drogerie“ betrieb, hängte die Schere komplett an den Nagel. Und Metzgermeister Anton Schlecker, der 1967 zunächst mit einem SB-Warenhaus am Stadtrand von Ehingen aktiv war, eröffnete 1975 in Kirchheim unter Teck seinen ersten Drogeriemarkt.
Man kam sich kaum in die Quere, dm und Rossmann kauften zunächst sogar gemeinsam ein. Erst mit der Übernahme der Kaiser's Drogeriemärkte durch Rossmann im Jahr 2003 begannen sich die Gebiete zu überschneiden. Schlecker öffnete 1977 die 100. Filiale, dm ein Jahr später, Rossmann 1982. Die internationale Expansion begann in den 1990er Jahren.
Dm expandierte, setzte auf Allianzen, früh auf Bio und auf eine etwas andere Mitarbeiterführung. Kundenorientierung, Gewinnbeteiligung, das Unternehmen als sozialer Organismus mit „Lernlingen“ statt Lehrlingen und Theater-Workshops. Auch nach seinem Ausscheiden als dm-Chef 2008 besuchte Werner regelmäßig und unangemeldet seine Filialen – um ein Schwätzchen zu halten und nach dem Rechten zu sehen.
Branchenkenner bescheinigten dem Anthroposophen und Goethe-Fan, all das richtig gemacht zu haben, was sein langjähriger Konkurrent Schlecker falsch machte. Das Lebenswerk imponiert sogar seinem schärfsten Rivalen, Dirk Roßmann, der zu Götz Werners 75. Geburtstag sagte: „Sein Wissen, sein Ideenreichtum und die jahrzehntelange Verbundenheit zu ihm hat mir immer viel bedeutet.“
Werners Maxime der „permanenten, konstruktiven Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen“ und der daraus erwachsende Wille, das Unternehmen immer wieder zu verändern, prägten den Erfolg von dm maßgeblich. Der Konzern ist heute in 14 europäischen Ländern aktiv. Mehr als 66.000 Menschen bilden die Arbeitsgemeinschaft; dm ist mit einem Umsatz von 12,3 Milliarden Euro Marktführer in Europa. Anerkennung fand Werner auch in der akademischen Welt, als ihn die Universität Karlsruhe im Mai 2005 mit der Leitung des Interfakultativen Instituts für Entrepreneurship beauftragte und ihm den Professoren-Titel verlieh.
Bereits seit Anfang der 1990er-Jahre und verstärkt nach seinem Abschied aus der operativen Verantwortung 2008 widmete Werner seine Zeit der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens, für die er in vielen Vorträgen und Diskussionsbeiträgen warb. In ihr sah er einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag, um auch in Zeiten zunehmender Globalisierung, Digitalisierung und Automatisierung den Menschen Freiraum für Eigeninitiative zu ermöglichen und die Teilnahme wie die Teilhabe am Leben der freien Bürgergesellschaft zu ermöglichen. Das „Einkommen für alle“ – so der Titel seines Buches – hatte für ihn etwas mit der Würde des Menschen zu tun. „Angesichts des Überflusses, in dem wir leben, müssen wir unverzüglich handeln und unseren Sozialstaat so gestalten, dass jeder menschenwürdig leben kann.“ Altersarmut war für ihn grober Undank. „Unser Wohlstand wurzelt in der Leistungsbereitschaft früherer Generationen.“
Dass er die Vollendung dieser Idee nicht mehr erleben würde, war ihm stets bewusst. Gleichwohl hat er sich dafür mit großer Energie eingesetzt, weil er sie für sich als richtig und sinnvoll erkannte. Sein größter Wunsch war: „Dass meine Ideen als Unternehmer und Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens fortwirken und zu einer lebenswerten Welt beitragen.“
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