Wie läuft es mit den Apps auf Rezept seit ihrem Start? Der heute veröffentlichte DiGA-Report der Techniker Krankenkasse (TK) und der Universität Bielefeld zieht ein Resümee, wie die Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) im Gesundheitssystem angekommen sind. Eine Patientenbefragung zeigt: 37 Prozent nutzen die Apps täglich, doch von ihrer Wirksamkeit sind nur 19 Prozent vollständig überzeugt.
Seit Oktober 2020 können Ärztinnen und Ärzte Apps auf Rezept verschreiben. Deutschland ist weltweit das erste Land, in dem die Kosten für die digitalen Helfer durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) übernommen werden. Bis Ende Dezember 2021 sind bei der TK insgesamt 19.025 Verordnungen für DiGA eingegangen. Am häufigsten verschrieben wurden Apps gegen:
Ein Blick auf die Altersverteilung zeigt, dass es auffallend weniger Verschreibungen bei den unter 30-Jährigen und den über 60-Jährigen gibt. Das Durchschnittsalter der DiGA-Nutzerinnen und -Nutzer liegt bei 45,5 Jahren. „Bei der Frage, wer die Apps verschrieben bekommt, spielt nicht das Alter eine Rolle, sondern die Erkrankungen“, so TK-Chef Dr. Jens Baas. „Jüngeren werden die Apps seltener verschrieben, weil weniger von ihnen an den Krankheiten leiden, die die Apps therapieren.“
Der Report zeigt, dass die Apps in den Arztpraxen noch nicht angekommen sind. Lediglich 4 Prozent aller Ärztinnen und Ärzte haben bislang Rezepte für DiGA ausgestellt (7000 von 180.000). Auffällig ist, dass in Berlin – wo auch die meisten DiGA-Hersteller sitzen – die Verordnungsquote am höchsten ist (2136 Rezepte, das entspricht 2,3 Rezepten pro 1000 Versicherten).
Die TK hat 244 Versicherte, die eine App verschrieben bekommen haben, zu Nutzung und Zufriedenheit befragt. Mit 84 Prozent gab die überwiegende Mehrheit an, ihre DiGA mindestens einmal pro Woche zu nutzen, davon 37 Prozent täglich. 10 Prozent gaben an, sich nur wenige Male im Monat einzuloggen. Lediglich 6 Prozent nutzten die App gar nicht.
Bei der Zufriedenheit zeichnet sich ein gemischtes Bild ab: 19 Prozent der Befragten geben an, dass die App ihre Beschwerden gelindert hat. 43 Prozent stimmen eher zu, dass die App ihnen geholfen hat. 34 Prozent geben jedoch an, dass die DiGA ihnen nicht oder eher nicht geholfen hat.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) prüft, welche Apps von den Krankenkassen übernommen werden können. Im ersten Zulassungsjahr können App-Anbieter die Preise frei bestimmen und müssen anschließend einen Nutzennachweis erbringen. Der Durchschnittspreis der DiGA lag im Oktober 2020 bei 329 Euro. Inzwischen haben vier Hersteller die Preise im ersten Jahr noch einmal erhöht. Im März 2022 lag der Durchschnittspreis bereits bei 456 Euro.
„Wir sehen, dass die Apps in der GKV-Erstattung plötzlich deutlich mehr kosten als vorher. Es ist ein Unding, dass die Preise im ersten Jahr quasi frei festgesetzt und sogar erhöht werden können“, sagt Baas. „Damit DiGA sich erfolgreich dauerhaft im Gesundheitssystem etablieren können, brauchen wir faire Preise. Es muss eine Verhältnismäßigkeit geben zwischen den Kosten für DiGA und den Kosten für analoge Arztbehandlungen.“ Im Moment kosteten DiGA teilweise mehr als analoge Therapien – und das, obwohl der Nutzennachweis für das erste Jahr noch ausstehe.
Der DiGA-Report zeigt anhand einer Modellrechnung, dass die geplante Höchstpreisbremse für das erste Jahr ein „Papiertiger“ ist. Die Bremse greift erst ab 2001 Rezepten und reduziert den Preis einer DiGA laut TK durchschnittlich lediglich um 6,6 Prozent. Ab dem zweiten Jahr werden die Preise zwischen DiGA-Herstellern und Kassen verhandelt. Bislang wurde erst eine solche Preisverhandlung abgeschlossen. Da es keine Einigung zwischen den Parteien gab, wurde der Preis von der Schiedsstelle festgelegt. Er liegt mit 225 Euro 52 Prozent unter dem Preis aus dem ersten Jahr.
„Fraglich ist, ob ein vom Hersteller gesetzter Preis im ersten Jahr rückblickend als angemessen gelten kann, wenn er mehr als doppelt so hoch war wie der spätere Vergütungsbetrag, der sich insbesondere am nachgewiesenen Nutzen einer Anwendung zu orientieren hat“, so Professor Dr. Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld. „Sollten sich derartige Differenzen zwischen freien und verhandelten Preisen auch in den weiteren Verhandlungsergebnissen widerspiegeln, muss der Preisbildungsmechanismus im ersten Jahr kritisch hinterfragt werden.“ Das gelte insbesondere auch dann, wenn vorläufig gelistete DiGA ihren Nutzen überwiegend nicht oder nur teilweise belegen können.
Die Migräne-App M-Sense ist eine der ersten DiGA, die nach einem Jahr Kostenerstattung wieder aus dem Leistungskatalog der GKV gestrichen wird, weil der Nutzen nicht nachgewiesen werden konnte. Ohne belegte Wirksamkeit wurde M-Sense 15 Monate von den Krankenkassen erstattet. Bei einem Preis von 219,98 Euro sind so für die Kassen Ausgaben von mehr als einer Million Euro entstanden. „Es besteht die Gefahr, dass viele Apps den Vertrauensvorschuss nicht einhalten können, den sie im Erprobungsjahr bekommen“, so Baas. „Bereits für die Listung beim BfArM muss es eine aussagekräftige Datengrundlage geben. Die bisherigen Anforderungen reichen nicht, um den Nutzen einer App abzuschätzen.“
Der Nachweis der Wirksamkeit einer DiGA muss klarer auf das primäre Behandlungsziel ausgerichtet sein. Das ist laut TK derzeit nicht gegeben. Um positive Versorgungseffekte von DiGA eindeutig beurteilen und die methodischen Aspekte des Fast-Track-Verfahrens besser nachvollziehen zu können, braucht es klare Nutzenkriterien und eine größere Transparenz der Entscheidungsgründe des BfArM. „Für die Preisverhandlungen wäre es daher sinnvoll, dass das BfArM Angaben zur Evidenzqualität und zum Effektausmaß der DiGA veröffentlicht“, so Greiner. „Nur wenn für alle an den Verhandlungen beteiligten Parteien transparent ist, in welchem Umfang die Wirkung einer DiGA nachgewiesen werden kann, ist eine faire Preisbewertung möglich.“
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