Abrechnung und Warenwirtschaft

Die Jagd auf Noventi-Apotheken

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Berlin -

Noventi will sich im Zuge der Sanierung von drei EDV-Linien trennen und zudem die Kosten für Warenwirtschaft und Abrechnung bei den Apotheken erneut erhöhen. Der interne Umbruch dürfte auch im Markt für Verschiebungen sorgen: Eine aggressive Jagd auf Noventi-Kund:innen ist zwar im Markt noch nicht zu beobachten, aber die Wettbewerber stehen auf jeden Fall bereit, Apotheken aufzunehmen. Und der Außendienst schwärmt aus.

Die Ausgangssituation in den beiden Hauptgeschäftsfeldern der Gruppe – Rezeptabrechnung und Warenwirtschaft – ist unterschiedlich, sie müssen daher getrennt voneinander betrachtet werden.

Die Rezeptabrechnung

Die zur Abrechnung eingereichten Verordnungen sind die Lebensversicherung der Apotheken. Wenn es in diesem Bereich Probleme gibt, kann das für die Apotheke schnell existenzielle Folgen haben. Das war schon immer bekannt, wurde der Branche aber mit der AvP-Pleite erst schmerzhaft ins Bewusstsein gebracht. Das Insolvenzverfahren ist noch weit von einem Abschluss entfernt, die betroffenen Apotheken haben fünf-, sechs-, manche gar siebenstellige Beträge offen.

Als AvP im September 2020 in die Knie ging, mussten sich tausende Apotheken quasi über Nacht ein neues Rechenzentrum suchen. Noventi war damals besonders aktiv, lockte potenzielle Neukund:innen mit extrem günstigen Abrechnungsgebühren – Mitbewerber sagen: mit Dumpingkonditionen, die zu den heutigen Problemen des Branchenprimus beigetragen haben. Außerdem gewährte Noventi den AvP-Opfern sehr günstige Darlehen, um finanzielle Engpässe zu überbrücken.

Sonderkündigungsrechte bringen Druck

Schätzungen aus dem Markt zufolge verfing dieses aggressive Marketing: Etwa 1700 ehemalige AvP-Kunden sollen zur Noventi gewechselt sein, der Platzhirsch hatte seine Position gefestigt. Zumindest vorläufig: Denn im September 2022 – kurz vor dem Rauswurf des CEO und Finanzvorstands – wurden zusätzliche Gebühren für die Rezeptabrechnung ab November angekündigt. Im Zuge der Sanierung wird Noventi die Preise noch einmal erhöhen und damit erneut ein Sonderkündigungsrecht einräumen müssen.

Vor allem bei den ehemaligen AvP-Kund:innen dürfte aber weniger die Höhe der Abrechnungsgebühren ausschlaggebend sein für einen etwaigen Wechsel. Die Fälle AvP und Noventi mögen noch so unterschiedlich gelagert sein: Wer einmal sein Geld bei einem Rechenzentrum verloren hat, reagiert vermutlich nervöser auf Unruhe beim Dienstleister. Und die Entlassung von rund einem Fünftel der Belegschaft ist mehr als ein kleines Unwetter.

Noventi hat mit der Organisation der Zug-um-Zug-Abtretung in den vergangenen Monaten viel dafür getan, den Apotheken die Angst zu nehmen, und der neue Vorstand betont bei jeder Gelegenheit, dass Rezepte nirgends so sicher sein wie bei Noventi. Mal abgesehen davon, dass die Mitbewerber diese Aussage wohl nicht so stehen lassen möchten, wird Noventi womöglich auch irrationalen Ängsten begegnen.

Noch keine Jagd auf Noventi-Kunden

Paradoxerweise dürfte der Wunsch nach Sicherheit ebenso dazu führen, dass viele Apotheken ihr Rechenzentrum nie wechseln. Kontinuität in so einem zentralen Geschäftsbereich ist ein Wert an sich. Never change a running scanner.

Riesige Kampagnen der anderen großen Rechenzentren sind bislang ausgeblieben. Denn deren Management weiß nur zu genau, was es nicht will: Einen noch größeren Vertrauensverlust in den Markt und Grundsatzfragen über das heutige Modell der Rezeptabrechnung. Was die nächsten Wochen so spannend macht: Nicht jeder einzelne Vertriebler wird sich diese Zurückhaltung persönlich auferlegen.

Die Warenwirtschaft

In einem Punkt gibt es eine Parallel zur Rezeptabrechnung: Auch ein EDV-System wird der Inhaber oder die Inhaberin nicht leichtfertig austauschen. Während Apotheken beim Großhandel schon mal hin und her wechseln, ist die Umstellung des gesamten Teams auf eine andere Warenwirtschaft im laufenden Betrieb eher die Ausnahme.

Apotheken mit Systemen von Jump, Pharmasoft und Infopharm wird wohl nichts anderes übrig bleiben. Zwar hat Noventi die drei Softwarelinien im Zuge der Sanierung ins Schaufenster gestellt, aber in der EDV-Branche glaubt niemand ernsthaft daran, dass sich ein Käufer findet. Denkbar wäre allenfalls, einem oder mehreren Chefentwicklern die Software und den Kundenstamm für einen symbolischen Betrag zu überlassen. Aber auch das wäre wohl nur eine Galgenfrist.

Alte Systeme werden verschwinden

Infopharm und Pharmasoft gelten in der Branche als bewährte Systeme, die aber erkennbar in die Jahre gekommen sind. Jump wiederum war ursprünglich als hausinterne Neuentwicklung konzipiert, auf die alle Apotheken langfristig umgestellt werden sollten. Allerdings war in der Entwicklung ein ASP-Ansatz (Application Service Provider) verfolgt worden. Die Idee mit einem zentralen Server scheiterte seinerzeit jedoch schon an der Übertragungsrate. Also wurde das System letztlich doch lokal in den Apotheken betrieben. Es war ein recht verzweifelter Versuch, das System zu retten. Jump kam nie richtig zum Fliegen und soll nun ebenfalls weg.

Noventi hat es zu lange versäumt, bei den EDV-Systemen zu konsolidieren. Die AwintaOne-Strategie wurde wieder aufgegeben, nachdem klar war, dass es wenig Synergieeffekte geben und der Aufwand trotzdem erheblich sein würde. Jetzt haben die Wirtschaftsprüfer und Banken Noventi die Entscheidung gewissermaßen abgenommen. Zwar sollen bei den aussortierten Programmen die gesetzlichen Vorgaben weiter umgesetzt werden, bei allen Innovationen wären die Systeme aber außen vor. Und das kann alltägliche Dinge betreffen wie den zentralen Botendienst, Couponing oder die Anbindung an eine Plattform oder den Abholautomaten.

Die Jump-, Infopharm- und Pharmasoft-Apotheken werden sich also über kurz oder lang umsehen. Da die Software-Verträge meist längerfristig laufen, ist mit einer schleichenden Umverteilung zu rechnen. ADG und Pharmatechnik sind derzeit sicherlich in der Pole Position, CGM Lauer hatte zuletzt eher mit eigenen Problemen zu kämpfen. Es geht um die Spitzenposition im Markt, Noventi könnte auf Platz 3 abrutschen.

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