Während große Pharmakonzerne im Zusammenhang mit Corona-Impfstoffen bislang keine allzu glückliche Figur machten, läuft es bei Biontech wie am Schnürchen. Jetzt deckt sich Brüssel mit 1,8 Milliarden zusätzlichen Dosen ein – so viele Einwohner hat die EU gar nicht, dass alles verimpft werden könnte. Das Biotech-Startup mit Sitz „An der Goldgrube“ in Mainz macht alles richtig – und bringt nicht nur den Gründern, sondern auch der Strüngmann-Familie als Großaktionär ein Vermögen ein.
Immer wenn Kritik am viel zu langsamen Impftempo laut wird, rechtfertigen sich die Verantwortlichen bei der EU-Kommission und im Bundesgesundheitsministerium (BMG) damit, dass man bewusst auf verschiedene Pferde gesetzt habe. Schließlich habe man nicht wissen können, welche Firma ihren Impfstoff tatsächlich ins Ziel und in ausreichender Menge auf den Markt bringen würde.
Tatsächlich haben vor allem die großen Pharmakonzerne mit massiven Problemen zu kämpfen: Der französische Hoffnungsträger Sanofi etwa hat die Entwicklung nicht substanziell vorangebracht, sondern bietet sich sogar schon als Lohnhersteller an. AstraZeneca und Johnson & Johnson wiederum werden als unzuverlässige Lieferanten in wenigen Wochen ausgelistet.
So jetzt legt die EU-Kommission jetzt eine Kehrtwende hin und setzt komplett auf Biontech. Weitere 1,8 Milliarden Dosen sollen bis Ende 2023 beschafft werden; damit sollen Impfungen von Erwachsenen aufgefrischt und die 70 bis 80 Millionen Kinder in der EU gegen das Coronavirus immunisiert werden. Der Vertrag ist nach den Worten von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen fast fertig. „Wir werden in den nächsten Tagen abschließen“, versprach sie am Freitag beim Besuch eines Pfizer-Werks im belgischen Puurs.
Schon jetzt hat die EU zwei Rahmenverträge mit Biontech/Pfizer über 600 Millionen Impfdosen, die seit Ende 2020 nach und nach
ausgeliefert werden. Allein im zweiten Quartal – also von Anfang April bis Ende Juni – erwartet die EU 250 Millionen Impfdosen der
Hersteller. Insgesamt kauft also alleine Europa dem Unternehmen bislang 2,4 Milliarden Dosen ab. Der Preis lag dem Vernehmen nach zunächst bei 12 bis 15 Euro pro Dosis.
Seit Bekanntwerden des XXL-Deals mit Brüssel ist der Kurs von Biontech seit Anfang April von 80 auf 145 Euro angestiegen. An der Börse ist Biontech damit rund 35 Milliarden Euro wert. Und knapp die Hälfte davon (47 Prozent) entfällt auf den Großaktionär AT Impf, hinter dem die Brüder Andreas und Thomas Strüngmann stehen. 17 Prozent gehören Firmengründer Professor Dr. Ugur Sahin, der das Unternehmen gemeinsam mit seiner Frau Özlem Türeci in ihrer Funktion als Chief Medical Officer leitet.
Schon bei Sahins erstem Projekt Ganymed waren die Strüngmann-Brüder als Investoren dabei. Mit dem Verkauf von Hexal an Novartis hatten sie 2005 ein Vermögen von 5,6 Milliarden Euro gemacht, das sie unter anderem in verschiedene Biotechfirmen steckten. Ihr Traum war es, nach all den Jahren im Generikageschäft ein Medikament auf den Markt zu bringen, das schwere Krankheiten chronisch beherrschbar macht oder sogar heilen kann. Die Rendite war dabei zweitrangig, auch wenn sich einzelne Investments wie eben Ganymed durchaus auszahlten: Die auf Antikörper gegen Krebs spezialisierte Biotechfirma wurde 2015 für knapp 1,3 Milliarden Euro an den japanischen Pharmakonzern Astellas verkauft.
Auch bei Biontech waren die Strüngmanns von Anfang an dabei: 150 Millionen Euro stellten sie 2008 als Startkapital zur Verfügung. Ende 2019 wurde das Unternehmen an die Börse gebracht, gerade rechtzeitig, um Geld für die späteren Projekte einzusammeln. Der Ausgabepreis lag bei 15 Euro, von Corona ahnte damals noch niemand etwas: Eigentlich sollte die mRNA-Technologie genutzt werden, um Krebsmedikamente zu entwickeln. Als die ersten Informationen über das Coronavirus aus China auftauchten, legten Sahin und sein Team die laufenden Projekte auf Eis und stürzten sich in die Entwicklung eines Impfstoffs. Lightspeed (Lichtgeschwindigkeit) tauften sie das Projekt.
Was die Politik an Biontech heute fasziniert, ist nicht nur, dass die Firma als erstes Unternehmen einen wirksamen und sicheren Impfstoff entwickelt hat, sondern auch, dass sie zuverlässig und geräuschlos liefert. Das ist sicher auch der Zusammenarbeit mit dem US-Pharmakonzern Pfizer geschuldet, die schon vor Corona eingefädelt worden war und nun für beide Seiten ein Glücksfall ist. Und so kommt das Unternehmen, anders als etwa Curevac, auch noch ohne staatliche Unterstützung aus, wenn man von den 240 Millionen Euro aus dem Fördertopf des Forschungsministeriums und der Unterstützung bei der Übernahme des Novartis-Standorts in Marburg absieht. Dass die mRNA-Technologie ursprünglich von Curevac-Gründer Ingmar Hoerr entwickelt wurde und dass der Konkurrent demnächst den (noch) besseren Impfstoff durch die Zulassung bringen will, wird derzeit genauso wenig kritisch gesehen wie die Ankündigung von Pfizer, nunmehr selbst in den Bereich einzusteigen.
Dass Biontech so professionell agiert und die Konkurrenz im Schatten stehen lässt, dürfte auch für die Strüngmann-Brüder eine späte Genugtuung für alle die bösartigen Einwürfe von Big Pharma in den frühen Hexal-Jahren sein. Anmerken lassen sie sich das freilich nicht: „Ugur und sein Team haben großartige Arbeit geleistet, in so kurzer Zeit einen Impfstoff gegen Covid zu entwickeln“, sagte Strüngmann Ende vergangenen Jahres gegenüber APOTHEKE ADHOC. Für ihn sei der Erfolg aber auch eine Bestätigung des Konzepts von Biontech insgesamt: „Darüber hinaus freue ich mich, dass die mRNA-Platform mit diesem Impfstoff validiert worden ist. Viele neue therapeutische Ansätze können mit mRNA angegangen werden.“
APOTHEKE ADHOC Debatte