Um Noventi zu retten, hat der Eigentümerverein FSA frisches Kapital in Millionenhöhe bereitgestellt – über ein Darlehen, für das als Sicherheit eine Immobilie in der Münchener Innenstadt herhalten muss. Der Vorgang wirft ein Schlaglicht auf Geldströme, die seit Jahren an den Apothekerinnen und Apothekern vorbeigehen, auf eine stille Millionenreserve der Landesapothekerverbände Bayern und Baden-Württemberg – und auf ein ungewöhnliches Geschäftsgebaren der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (Apobank).
Alleiniger Aktionär von Noventi ist der FSA, dem wiederum nur Apothekerinnen und Apotheker Mitglied beitreten können, die Kunden eines der verschiedenen Unternehmen der Gruppe sind. Die Konstruktion gibt es seit mehr 120 Jahren, sie soll gewährleisten, dass der Berufsstand Kontrolle und Einfluss nehmen kann – ein Ansatz, der zuletzt bekanntlich unter die Räder gekommen ist. Eine Dividende erhalten die aktuell mehr als 3000 Mitglieder dagegen nicht, anders als Genossenschaften wie Sanacorp und Noweda oder auch ARZ Haan ist der FSA laut Satzung nicht auf Gewinnerzielung aus.
Dennoch haben die Konsortialbanken die Verlängerung ihres Milliardenkredits angesichts der wirtschaftlichen Schieflage von Noventi auch davon abhängig gemacht, dass die Apotheker selbst noch einmal frisches Geld besorgen. 80 Millionen Euro wollte das alte Management noch über die Ausgaben von Genussscheinen besorgen, doch am Ende wurden es gerade einmal 2,5 Millionen Euro.
Stattliche 20 Millionen Euro hat stattdessen nun der FSA zusammengekratzt, und zwar über ein Darlehen von einem Unternehmen namens B.A.G. Grundstücksverwaltungsgesellschaft. Der Firma gehört die Gewerbeimmobilie im Tormannweg 6 in München, in der Noventi die Rezepte abrechnet und die bis vor zwei Jahren sogar der offizielle Unternehmenssitz war. Um das Darlehen an den FSA gewähren zu können, musste das Unternehmen seinerseits die Immobilie als Sicherheit beleihen.
Hinter dem Unternehmen steht zwar wiederum der FSA, allerdings nur mit einem Viertel der Anteile. Zu jeweils einem Drittel sind auch der Bayerische Apothekerverband (BAV) und der Landesapothekerverband Baden-Württemberg beteiligt. Entstanden war die Konstruktion bereits 1974 unter der Ägide des langjährigen Geschäftsführers Dr. Heribert Reber.
Ursprünglich dürfte das Engagement der Verbände aus dem Verständnis heraus entstanden sein, das damals noch unter dem Namen VSA (Verrechnungsstelle der Süddeutschen Apotheken) firmierende apothekereigene Unternehmen zu unterstützen. Auch beim ARZ Darmstadt sind die Landesapothekerverbände Hessen, Rheinland-Pfalz, Thüringen und Saarland beteiligt, beim ARZ Haan der Verband Nordrhein und früher auch der Verband Westfalen Lippe.
Doch bei Noventi sind nicht die beiden Verbände die Gesellschafter, sondern nur die Vermieter. Daher gab es auch eine monetäre Komponente, die zunehmend an Bedeutung gewann. Denn natürlich zahlen VSA beziehungsweise Noventi für die Nutzung der Immobilie eine Miete – Jahr für Jahr warfen die Einnahmen bei der B.A.G. einen Gewinn von rund einer halben Million Euro ab. Zuletzt hatten sich Gewinne von knapp 8 Millionen Euro aufgestaut; Ende 2020 standen neben Sachanlagen von 2,5 Millionen Euro und Verbindlichkeiten von 2,4 Millionen Euro auch Finanzanlagen von 7,5 Millionen Euro in den Büchern.
Während die Mitglieder der FSA also nie mit einer Ausschüttung rechnen durften, entstand in Gestalt der B.A.G. über die Jahre hinweg eine stattliche Rücklage, über die wohl nur wenige Eingeweihte Bescheid wussten. Man könnte es mit Blick auf die beteiligten Verbände auch so formulieren: Während die Apothekerinnen und Apotheker immer höhere Beiträge zahlen mussten und zuletzt etwa im Fall von Gedisa sogar mit einem zusätzlichen Obolus zur Kasse gebeten wurden, bunkerten ihre Verbände auf dem Konto ihrer Beteiligung eine stille Millionenreserve.
Zusätzliche Brisanz gewinnt die Sache aber dadurch, dass es über Jahre hinweg noch einen vierten Anteilseigner gab. Mit 10 Prozent war auch die Apobank an der Immobilienfirma beteiligt – also ausgerechnet jene Bank, die auf die neuerliche Kapitalspritze des FSA bei Noventi gedrungen hat, für die der Verein sich wiederum Geld bei der B.A.G. leihen musste.
Die Apobank selbst trägt dieses Risiko aber nicht mehr mit: Sie war Ende 2021, vier Tage vor Weihnachten, als Gesellschafter bei B.A.G. ausgeschieden. Weder über die Hintergründe noch über den Kaufpreis war bislang etwas zu erfahren.
Laut Gesellschaftsvertrag soll in solchen Fällen aber der Verkehrswert herangezogen werden. Auf Basis des Bodenrichtwerts ergibt sich alleine für das knapp 2800 Quadratmeter große Grundstück ein Betrag von bis zu 15 Millionen Euro. Über die Mietzahlungen dürfte ein Ertragswert in einer ähnlichen Dimension zusammen kommen.
Für ihre Anteile dürfte die Apobank also einen niedrigen einstelligen Millionenbetrag vereinnahmt haben – Geld, das dem FSA und seinen befreundeten Verbänden jetzt bei ihrer Geldspritze zugunsten von Noventi fehlt. Hätte sich die Apobank nicht ausbezahlen lassen, wären die Schulden und damit auch die Zinslast wohl deutlich niedriger ausgefallen. Womöglich verdient die Apobank jetzt sogar an der Finanzierung mit. Hinzuzufügen wäre der Vollständigkeit halber noch, dass die Apobank auch Gesellschafter und Konsortialführer beim ARZ Haan ist.
Mit der Umschuldung und zusätzlichen Kapitaleinlage zieht der Fall Noventi nun weitere Kreise und erreicht auch die Apothekerverbände. In München und Stuttgart wird man sich in den kommenden Wochen kritischen Fragen der Mitglieder stellen müssen. Denn nur wenn die Sanierung von Noventi gelingt, sehen die Verbände das Geld wieder, von dem viele Mitglieder wohl gar nicht wussten, dass es existiert.
Beim BAV gibt man sich zuversichtlich: Bevor Vorstand und Beirat im Dezember dem Darlehen zugestimmt hätten, habe man sich ein genaues Bild von der Situation der Noventi gemacht, so Geschäftsführer Dr. Wolfgang Schneider, der seit Kurzem auch Dr. Andreas Lacher als Geschäftsführer bei B.A.G. abgelöst hat. Noventi habe in einem transparenten Austausch ein solides Konzept vorgelegt, das auch die Banken überzeugt habe.
Und auch Probleme mit der Rechtmäßigkeit sieht man nicht: „Der BAV ist auf jeden Fall überzeugt, dass die Stabilität von Noventi als Abrechnungszentrum essentiell für die Apotheken ist. Somit wird der Verband seiner satzungsmäßigen Aufgabe gerecht, nämlich der wirtschaftlichen Interessensvertretung seiner Mitglieder.“
Im Grunde genommen bleibt nur ein Ausweg aus der Misere, der möglicherweise bereits vorbereitet wird – der Verkauf der Immobilie an einen Investor, der das in die Jahre gekommene Areal neu erschließen und beispielsweise Eigentumswohnungen bauen will. Das könnte zwar nicht gleich zum Befreiungsschlag für Noventi/FSA reichen, aber den beiden Verbänden doch noch einen warmen Geldregen bescheren.
Und auch auf Noventi wäre dabei noch Rücksicht zu nehmen. Der alte Vorstand hatte vor zwei Jahren in Fußnähe im Gewerbekomplex Macherei nicht weniger als 11.000 Quadratmeter Bürofläche langfristig in der Erwartung angemietet, dass mit dem E-Rezept über kurz oder lang auch der Umgang mit Papierrezepten wegfallen würde.
Bekanntlich kam es anders. Und so hat Noventi nun auch hier ein Problem: Während es angesichts der geplanten Massenentlassungen auf im neuen Headquarter demnächst Leerstand geben könnte, dürften im Tormannweg auf absehbare Zeit weiter Rezepte eingescannt und im Keller eingelagert werden. Bis ein für alle Beteiligten optimaler Weg gefunden werden kann, ist es also wohl noch ein weiter und mit vielen Unsicherheiten verbundener Weg.
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