„Die Auslese wird viel schneller gehen“ Patrick Hollstein, 30.10.2018 10:16 Uhr
Greifer, Display, Abholfach: Seit 25 Jahren digitalisiert Rowa die Apotheken. Mit so mancher Idee war man in Kelberg seiner Zeit voraus – Visavia oder Vshelf sind zwei Konzepte, die sich hierzulande nicht durchgesetzt haben. Im Interview erklären Dirk Wingenter und Antonios Vonofakos, alter und neuer Geschäftsführer, warum jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, an dem sich die Apotheke ändern muss.
ADHOC: Die Apotheken nehmen für sich in Anspruch, Vorreiter in Sachen Digitalisierung zu sein. Was sagen Sie?
WINGENTER: Den Apothekern, mit denen wir sprechen, würde ich spontan die Note 3 bis 4 geben – wobei zu unseren Kunden ja eher die aktiven Kollegen gehören. Der ABDA als Vertretung der Apotheker würde ich eine 6 geben.
ADHOC: Warum so ein schlechtes Zeugnis?
WINGENTER: Viele Apotheker haben noch nicht verstanden, was auf unsere Branche zukommt. Die rein transaktionale Dienstleistung der Abgabe und Abrechnung von Arzneimitteln ist auf lange Sicht nicht zukunftsfähig. Man sollte sich keine Illusionen machen: Der Versandhandel geht nicht wieder weg – und er ist unter rein logistischen Aspekten sogar der effizientere Weg, um Menschen mit Arzneimitteln zu versorgen. Also muss die Apotheke einen zusätzlichen Wert bieten, wenn sie nicht verschwinden will.
ADHOC: Ein Argument ist die persönliche Betreuung vor Ort.
WINGENTER: Ja, das ist ein Aspekt. Ich muss Ihnen aber ehrlich sagen, dass es – nach meiner ganz persönlichen Meinung – in den Augen der Apothekenkunden damit lange nicht so weit her ist, wie viele Apotheker sich das denken. Es geht doch bei persönlicher Betreuung nicht nur um pharmazeutische Notwendigkeiten. Hier braucht es einen holistischen Ansatz.
ADHOC: Viele Apotheker würden für sich in Anspruch nehmen, ihren Kunden mehr als eine reine Arzneimittelberatung zu bieten.
VONOFAKOS: Das wollen wir gar nicht abstreiten. Aber wenn man sich mit Zukunftsthemen auseinander setzen will, darf man sich nicht nur mit dem Status quo beschäftigen, sondern muss um die Bedürfnisse der Kunden von morgen in den Blick nehmen.
ADHOC: Und die wären?
VONOFAKOS: Wir sehen, dass eine ganz neue Generation von Apothekenkunden heranwächst, die eine ganz andere Erwartungshaltung hat als die heutige Klientel. Viele Menschen informieren sich online, das verändert das Verhältnis zu Arzt und Apotheker. Das ist Chance und Risiko gleichermaßen: Wachsende Ansprüche seitens der Kunden sind eine Gelegenheit, sich vom Versandhandel zu differenzieren. Gleichzeitig disqualifiziert sich jeder, der nur vorgibt, dem Kunden zu dienen, das Versprechen aber nicht einlöst. Die Auslese wird viel schneller vonstatten gehen als je zuvor.
ADHOC: Das klingt reichlich darwinistisch.
WINGENTER: Nicht dass wir falsch verstanden werden: Wir glauben an die Apotheke vor Ort und verstehen uns als deren Partner. Aber wenn das E-Rezept kommt, die Logistik noch ausgefeilter wird und irgendwann sogar Teile der Betreuung über künstliche Intelligenz abgewickelt werden, dann muss man sich die Frage stellen, wozu man gebraucht wird – wir als Dienstleister übrigens genauso wie der niedergelassene Apotheker. Wir alle müssen uns verändern, wenn wir überleben wollen. Unser Anspruch als BD Rowa ist es, die Apotheke zu befähigen sich weiterzuentwickeln und sie auch ein Stückweit in die Zukunft zu treiben – so fühlt es sich jedenfalls manchmal an.
ADHOC: Wie wollen sie das erreichen?
WINGENTER: Zunächst einmal sollte man sich nicht dadurch paralysieren lassen, dass irgendwann vielleicht Drohnen die Medikamente liefern oder dass man sich Arzneimittel sogar zu Hause ausdrucken kann. Es geht nicht darum, sich auf irgendein vermeintliches Endstadium einzustellen. Wir leben in permanenten Übergangsprozessen, und diese müssen gestaltet werden. Darum geht es uns.
ADHOC: Was heißt das konkret für Rowa und seine Kunden?
VONOFAKOS: Unsere Produktstrategie fußt auf drei Säulen. Erstens: Automatisierung. In Deutschland haben derzeit 6000 Apotheken einen Automaten, wir glauben aber, dass 15.000 Apotheken infrage kommen. Hier gibt es also nach wie vor Potenzial, das wir auch durch neue Angebote wie kleinere Automaten heben wollen. Zweitens: Digitalisierung der Offizin. Wir wollen mit Konzepten wie Vmotion und Vpoint ein neues Einkaufserlebnis schaffen, das die verschiedenen Bedürfnisse der Kunden vernetzt. Und drittens: Verblisterung. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, Schlauchbeutel auch im ambulanten Bereich zu etablieren.
ADHOC: Ein umstrittenes Thema.
VONOFAKOS: Wir kennen die Vorbehalte. Es ist aber erwiesen, dass Schlauchbeutel das Arzneimittelmanagement und die Compliance verbessern. Trotzdem tut sich hier seit Jahren nichts. Das wird sich aber jetzt ändern, denn das Modell hat durch die Übernahme von Pillpack durch Amazon gewissermaßen den Ritterschlag erhalten. Das Potenzial der Verblisterung ist aus unserer Sicht nicht zu bestreiten. Die Frage ist also, ob die Apotheke den Raum ausfüllt oder solange wartet, bis es zu spät ist.
ADHOC: Vorauseilender Gehorsam kann auch riskant sein.
VONOFAKOS: Man kann die Zukunft aber auch nicht aussitzen. Der Bruch zur neuen Welt ist spürbar, bei den Endkunden, aber auch bei uns allen. Trotzdem sehen wir im Apothekenmarkt eine Verweigerungshaltung, gerade seitens der Standespolitik, die die Apotheker teuer zu stehen kommen könnte. Die Welt verändert sich, der Trend hin zu digitalen Medien ist unumkehrbar. Die Kunden wollen und müssen also dort abgeholt werden. Dem kann man sich als Unternehmer nicht entziehen.
ADHOC: Was sollten Apotheker jetzt vor allem tun?
VONOFAKOS: Die Reise beginnt damit, dass man offen für Veränderung ist. Wenn wir in Gesprächen mit Apothekern die Frage stellen, wo sie sich in fünf bis zehn Jahren sehen, dann gibt es oft nur ein Schulterzucken. Das ist schade, denn es ist eigentlich so etwas wie ein beruflicher Offenbarungseid.
ADHOC: Welche Antwort würden Sie denn erwarten?
WINGENTER: Es gibt gar nicht die allgemein gültige Antwort. Die Lösung ist immer individuell. Aber man muss eine gewisse Vorstellung entwickeln.
ADHOC: Sie lagen in der Vergangenheit auch schon falsch.
WINGENTER: Experimentieren gehört bei uns zum Programm: Es ist okay, wenn man viele Sachen ausprobiert und manche Dinge nicht funktionieren. Aber es muss nicht jeder alles neu erfinden und dieselben Fehler machen – schon gar nicht, wenn die Existenz auf dem Spiel steht.
ADHOC: Also was ist Ihr Beitrag?
VONOFAKOS: Wir sehen uns als Technologiepartner, der Apotheken hilft, neue Wege zu gehen. Unsere Aufgabe ist eine unterstützende: Wir wollen Konzepte entwickeln, die dann wie eine Blaupause individuell auf die jeweilige Apotheke übertragen werden können, und das Ganze damit finanzier- und handlebar machen.
ADHOC: Wann sollte man also bei Ihnen anrufen?
VONOFAKOS: Am besten sofort! Die Gefahr ist, dass Veränderungen langsam beginnen, dann geht es meist sehr schnell. Wenn jetzt nichts geschieht, wird der Wandel viele Apotheker sehr unvorbereitet treffen.