Deutschland als Apotheker-Reservat? APOTHEKE ADHOC, 29.06.2018 09:06 Uhr
Wie gefährlich ist Europa für die deutsche Apotheke? Unter diesem Motto haben kürzlich Dr. Klaus Michels vom Apothekerverband Westfalen-Lippe und Professor Dr. Christian Franken, Chefapotheker von DocMorris, ihre gegensätzlichen Positionen dargelegt und die Diskussion angeheizt. Anlass war das 200-jährige Jubiläum des Medizinprodukteherstellers Paul Hartmann.
Vor rund 400 Apothekern und Sanitätshausbetreibern machte Michels deutlich, dass es nicht nur die EU auf Veränderungen im Apothekenmarkt abgesehen habe. Auch in Berlin und bei den Kassen gebe es Interessen, das bestehende System zu verändern.
„Ich sehe keinen Bedarf für den Versandhandel”, stellte er fest und verwies darauf, dass aktuell etwa 1 Prozent der Medikamente über den Versandhandel bestellt werden. Das sei „Rosinenpickerei” und könne, auch bei noch so kleinem Anteil am derzeitigen Gesamtmarkt, auf Dauer örtlichen Apotheken die Existenzgrundlage entziehen.
Dem entgegnete Franken, dass er selber ausgesprochener Europäer sei und im Gegensatz dazu bei deutschen Apothekern „antieuropäische Tendenzen” feststelle. Der Patient mache dagegen keinen Halt vor europäischen Grenzen. „Warum sollen Kunden in allen Bereichen online einkaufen können, nur im Apothekenbereich nicht?”
Dass ausländische Versandapotheken auch bei rezeptpflichtigen Medikamenten den Kunden Preisnachlässe geben können, was den Apothekern in Deutschland verwehrt ist, verzerrt den Wettbewerb. Aber der DocMorris-Chefapotheker sieht in einem Rx-Versandverbot natürlich keine Lösung: Für ihn ist „der Patient der Souverän”, die Verbraucher müssen entscheiden dürfen, wo und wie sie einkaufen. „Wir müssen neue Wege gehen”, lautet sein Appell.
Richtig Fahrt nahm die Diskussion auf, als Michels den Servicecharakter der Apotheken als unverzichtbar hervorhob und Franken ihm klar widersprach. Schließlich habe DocMorris im ländlichen Hüffenhardt bereits einen Automaten erfolgreich getestet – inklusive Rundum-Beratung. Die Video-Apotheke sei also durchaus bereits Realität, so Franken.
Den Beweis, wonach das Ende der Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente in Deutschland zum Nachteil der Verbraucher wäre, konnte Michels nicht erbringen. Stattdessen betonte er, dass das bisherige „System in Deutschland bewährt und gut sei”. Mit seiner Bemerkung, wonach Apotheken in Deutschland, wenn sie erst einmal verschwunden seien, nicht mehr wiederkämen, sprach Michels zwischen den Zeilen aus, worum es wirklich geht, nämlich um Marktbereinigung.
Versandapotheken dürften weiter wachsen, stationäre Apotheken würden weiter schließen, bis sich der neue Markt ausgependelt habe, weshalb Franken auch für eine „Zusammenarbeit vor Ort” plädiert. In seinem Fazit belebt zwar Konkurrenz das Geschäft, aber es bleibt auch genügend Spielraum für die Digitalisierung im Apothekenbereich, die stationäre Apotheken nutzen können, was auch Michels so sieht.
Die Diskussion war eingebettet in das große Thema Pflege. Insgesamt wurde in etlichen Beiträgen und Diskussionen ausgelotet, wie Medizin und Pflege, Krankenhäuser und Apotheken, Arztpraxen und Pflegeheime in 10 bis 20 Jahren aussehen und funktionieren werden. Um den Wandel mitzugestalten, kündigte Andreas Joehle, CEO der Hartmann-Gruppe, zum Schluss an, eine Pflege-Initiative unter anderem mit dem Deutschen Pflegerat für den Herbst 2018 zu starten.