Einkaufscenter, Lebensmittelmärkte und Gewerbeparks: Wo Kunden sind, wollen auch Apotheker sein. Doch in vielen Fällen halten Projektentwickler ihre Hände über die besten Flächen – und verdienen über Untermiet- und Leasingverträge kräftig mit. Im Schatten des Fremd- und Mehrbesitzverbotes hat sich ein schwer durchschaubarer Industriezweig für Apothekenimmobilien entwickelt. Zwar dürfen sich die Konditionen für solche Vereinbarungen laut Apothekengesetz (ApoG) nicht an Umsatz oder Gewinn der Apotheke orientieren. Doch ansonsten sind den An- und Vermietungsgesellschaften kaum Grenzen gesetzt. Der Grad zwischen Dienstleistungs- und Strohmann-Verhältnis ist schmal. APOTHEKE ADHOC liegen Verträge einer Kaufland-Apotheke vor, die zeigen, mit welchen Methoden im Hintergrund Kasse gemacht wird.
Die Apotheke war Mitte der 1990er-Jahre in einem Kaufland-Markt in den neuen Bundesländern eröffnet worden. Der Inhaber hatte eine ganze Reihe von Vereinbarungen mit den baden-württembergischen Unternehmern Joachim Birkle und Helmut Fritsch geschlossen – etwa über die Fläche, die Einrichtung und die EDV-Anlage. Bemerkenswert sind nicht nur die Vertragsinhalte, sondern auch die -laufzeiten.
Im Mittelpunkt der Vertragskonstruktion stand der Untermietvertrag. Da der Mietzins, den Kaufland von Birkle/Fritsch verlangte, unterjährig stark schwankte, lagen zwischen An- und Vermietungspreis Differenzen von 30 bis 200 Prozent. Zusätzlich wurden die Nebenkosten auf der Ebene der Zwischenvermieter pauschal verdoppelt. Auch bei der Laufzeit gab es erhebliche Abweichungen: Während die Standortentwickler bei Kaufland bis 2015 angemietet hatten, wurde mit dem Apotheker eine Kündigungsfrist von drei Monaten zum Quartalsende festgelegt – absolut unüblich und rechtlich fragwürdig für eine Apotheke.
Zusätzlich hatte der Apotheker Leasingverträge für die Apothekeneinrichtung und die EDV-Anlage geschlossen. Anders als der Mietvertrag hatten diese Vereinbarungen Laufzeiten von mehreren Jahren; eine vorherige ordentliche Kündigung war ausgeschlossen. Außerdem gab es eine Reihe von Beraterverträgen: Marketing, Buchhaltung und Steuerberatung wurden komplett in Baden-Württemberg abgewickelt. Sogar die Hausbank der Apotheke schickte ihre Korrespondenz teilweise über Birkles Büro an den Apotheker.
Beim Regierungspräsidium hätten solche Vereinbarungen in der Summe vermutlich Argwohn geweckt. Nicht umsonst sollen sich die Behörden nach Apothekengesetz alle Verträge vorlegen lassen, die mit der Einrichtung und dem Betrieb der Apotheke in Zusammenhang stehen. Die Betriebserlaubnis wurde trotzdem erteilt – vermutlich deshalb, weil wichtige Details nicht in den Verträgen, sondern in Zusatzvereinbarungen geregelt wurden.
So stand im Untermietvertrag zwischen dem Apotheker und Birkle/Fritsch eine Laufzeit von 17 Jahren; per Nachtrag wurde die Kündigungsfrist dann entsprechend gekürzt. Gleiches galt für Einrichtung und EDV-Anlage: Im Vertrag ist ein Kaufpreis ausgewiesen, der auch gezahlt, später aber – gemäß Zusatzvertrag – über Umwege an den künftigen Leasingnehmer zurückgezahlt wurde.
Auch bei der Finanzierung kam alles ganz anders: Der Darlehensvertrag, den eine große Bank dem Regierungspräsidium vorlegte, wurde von dem Apotheker vermutlich nie unterzeichnet. Stattdessen wurde nun das Netzwerk aktiv, das Fritsch und Birkle aufgebaut hatten: Mehrere Hunderttausend D-Mark gingen von anderen Kaufland-Apothekern aus ganz Deutschland sowie von Birkle auf dem Konto des Pharmazeuten ein. Als Kündigungsrecht wurde in den Darlehensverträgen eine Frist von einem Monat vereinbart.
Angesichts solcher Abhängigkeiten verwundert es wenig, mit welcher Beherztheit Birkle/Fritsch Erträge der Apotheke abgriffen: Aus der Differenz zwischen An- und Vermietungspreis flossen monatlich rund 3000 Mark, ebenso viel für das Leasing der Anlage von Pro Medisoft, dazu knapp 7200 Mark für die Einrichtung sowie 2800 Mark aus einem Marketing-Beratervertrag mit Birkle. Weitere Rechnungen stellten Buchhalterin und Steuerbüro.
In einem Wertgutachten aus dem Jahr 2000 kam die Steuerberatungsgesellschaft Treuhand Hannover zu dem Schluss, dass Miet- und Werbekosten deutlich über dem Durchschnitt liegen. Die Leasinggebühren für die Einrichtung wurden gleich gar nicht berücksichtigt: „Bei Berücksichtigung der Leasinggebühren in den Berechnungen, wäre ein Firmenwert für die Apotheke im Kaufland nicht errechenbar und somit auch am Markt nicht durchsetzbar. Der Gewinn würde sich dann soweit reduzieren, daß noch nicht mal ein Unternehmerlohn zur Verfügung stünde.“ Überhaupt würden Apotheken normalerweise nicht mit geleasten Einrichtungen betrieben.
Bis zu 1000 Apotheken werden laut Schätzungen von Branchenkennern in Untermietverhältnissen betrieben – von der einfachen Vertragsbeziehung über die umsatzabhängige Miete bis hin zur totalen Abhängigkeit ist alles drin. So mancher Apotheker konnte sich nie aus der „Startfinanzierung“ befreien. Vor allem an Standorte in Einkaufs- und Fachmarktzentren kommt man als einzelner Apotheker nicht leicht zum Zug. Die besten Flächen gehen direkt an professionelle Standortentwickler, die sie dann mit Aufschlag an Approbierte weitergeben.
Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hatten sich die Hoffnungen der Handelsketten auf eine Liberalisierung des Apothekenmarktes zerschlagen. Ein guter Mieter scheint derzeit mehr wert ist als ein leicht zu ersetzender Strohmann. Zumindest bei zweitklassigen Lagen kommen mittlerweile auch Apotheker wieder zum Zug.
Kaufland will nach mehreren Wechseln im Management ohnehin lieber direkt mit Pharmazeuten zusammenarbeiten, auch Globus scheint das Interesse an einem Zwischenmieter verloren zu haben. Immerhin: Auch in den Verträgen mit den Apothekern sollen Ausstiegsklauseln für den Fall des Fremdbesitzverbots enthalten sein.
Bei der Rechtsabteilung der ABDA hat man das Thema aus dem Blickfeld genommen, um keinen Präzedenzfall zu provozieren. Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 2002 im Fall des Mindener Apothekers Günter Stange hat gezeigt, dass man das Fremdbesitzverbot auch viel großzügiger auslegen kann, als es den Apothekern lieb wäre.
Archivbeitrag vom 11. November 2011
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