Der Rausschmeißer unter den Großhändlern Carolin Bauer, 27.03.2018 15:11 Uhr
Wer im Hamburger Kultviertel St. Pauli in den 1990er Jahren richtig abrocken wollte, musste an ihm vorbei: Jens Graefe. Der heutige Chef des Großhändlers AEP arbeitete während seines Studiums als Türsteher auf der Reeperbahn.
Graefe ist gebürtiger Hamburger. „Als Party-affiner Jugendlicher lebt man auf der Reeperbahn“, erinnert sich der AEP-Geschäftsführer an seine Studienzeit. Da er für sein Volkswirtschaftsstudium kein BAföG erhalten hat, arbeitete er teilweise bis früh in die Morgenstunden für den Veranstaltungsdienstleister Contro auf Konzerten oder vor Clubs. „Ich musste arbeiten, um zu leben“, sagt er. Geschadet habe die harte Arbeit nicht.
Von 1990 bis 1995 war Graefe für Contro in verschiedenen Jobs tätig. Er baute als „Stagehand“ Bühnen und die dazugehörige Technik auf Konzerten auf. Für den Job reiste er quer durch Deutschland. „Bei den Rolling Stones war ich dreimal dabei“, sagt er. Auch Auftritte der Kultband Scorpions, Pink Floyd oder damals berühmter Boybands wie New Kids on the Block betreute er mit. „Da sind vor dem Konzert schon hunderte Mädels umgekippt.“ Für Rocklegende Tina Turner habe er persönlich ihr Wohnzimmer bewacht.
Zwei Jahre stand er im Hamburger Rotlichtviertel mit fünf Kollegen vor der bekannten Musikkneipe Große Freiheit 36 und dem Veranstaltungszentrum Docks. „Das war lustig“, so Graefe. Richtig Stress oder gar Prügeleien habe es nie gegeben. „Für alles im Leben gibt es zwei Wege. Entweder hat man dicke Muskeln, die für sich sprechen, oder man löst Konflikte mit Empathie und Intelligenz.“ Er selbst habe sich für die zweite Variante entschieden.
Die Zeit als Türsteher sei „sehr intensiv“ gewesen, sagt Graefe. Der angehende Volkswirt regelte, wer in den Club kam und wer nicht. Er arbeitete während Konzerten, Diskobetrieb und Partys. Verwehrte er Feiernden den Einlass, habe er alle möglichen Sprüche gehört: „Ich kenne den Veranstalter, ich bin die Freundin des Bassisten, ich stehe auf der Gästeliste.“ Graefe ließ sich als Einlasser von den Überredungsversuchen nicht überzeugen und verwies auf das Hausrecht. „Ich war flexibel, emphatisch und wahrscheinlich auch durchsetzungsstark.“
Gearbeitet habe er teilweise bis vier Uhr früh. Der Stundenlohn lag bei 13 Mark. Bei 20-Stunden-Schichten habe er sich ordentlich etwas dazu verdienen können. Das Studium sei „dann und wann nur noch sehr rudimentär“ nebenbei gelaufen. Zudem habe er als Rudertrainer gearbeitet.
Nach seiner Zeit in Hamburg wechselte er für einen MBA-Studiengang nach Edinburgh. In dem Jahr frischte er sein Englisch auf. „Das war eine super Zeit“, so Graefe. Nebenher gejobbt habe er in Großbritannien nicht. Beinahe hätte er sich dort niedergelassen, hatte Jobangebote und eine Fast-Verlobte. Dann zog es ihn doch zurück nach Deutschland.
Als erste Tätigkeit nach dem Studium baute er einen Großhandel nach Estland auf. Dann kam ein Angebot von Unternehmenssanierer Kajo Neukirchen, der ihn bei der Metallgesellschaft (heute Gea Group) haben wollte. „Da konnte ich nicht Nein sagen“, so Graefe. Nach Stationen bei diversen Beratungsunternehmen wechselte er 2005 als Director M&A und Business Development zum Großhändler Celesio (heute McKesson Europe). Ende 2012, nach unterschiedlichen Auffassungen über die Geschäftspolitik mit dem damaligen Celesio-Chef Marcus Pinger, verließ er das Unternehmen und baute nachfolgend als Geschäftsführer AEP auf.